Sterilität der Frau – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Sterilität der Frau dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie häufig gynäkologische Erkrankungen (z. B. Endometriose, Myome, Zysten an den Eierstöcken, Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs), Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs), Mammakarzinom (Brustkrebs)?
  • Bestehen in Ihrer Familie hormonelle Störungen (z. B. Hyperprolaktinämie, Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2, Morbus Basedow) oder unerfüllter Kinderwunsch?
  • Gibt es bekannte Erbkrankheiten (z. B. Klinefelter-Syndrom, Turner-Syndrom, Hämophilie (Bluterkrankheit), Sichelzellanämie)?
  • Ist Ihre Mutter oder ggf. auch Ihre Schwester vorzeitig in die Menopause (Wechseljahre) gekommen?

Soziale Anamnese

  • Welchen Beruf üben Sie aus?
  • Sind Sie in Ihrem Beruf schädigenden Arbeitsstoffen ausgesetzt?
  • Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen oder Belastungen aufgrund Ihrer familiären Situation?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Wie lange versuchen Sie schon mit Ihrem Partner ein Kind zu zeugen?
  • Kam es in der Vergangenheit schon einmal zu einer Schwangerschaft?
    • Mit diesem oder einem früheren Partner?
    • Wurde die Schwangerschaft ausgetragen oder kam es zu einem Abort (Fehlgeburt)?
  • Hatten Sie Fehlgeburten, Totgeburten oder Schwangerschaftsabbrüche?
  • Sexualanamnese
    • Seit wann besteht Ihre Partnerschaft?
    • Alter des Partners?
      • Bestehen Vorerkrankungen beim Partner?
    • Liegen partnerschaftliche Störungen vor?
      • Wie stehen Sie zum Kinderwunsch?
      • Wie steht Ihr Partner zum Kinderwunsch?
    • Wie ist Ihre Libido (Lust auf Sex)?
    • Wie häufig haben Sie Geschlechtsverkehr (pro Woche/Monat)?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Wann war Ihre erste Periode?
  • Ist Ihre Zyklusdauer bzw. -länge (vom ersten Tag der Blutung bis zum letzten Tag vor der nächsten Blutung) normal (25-35 Tage)?
  • Gab es Veränderungen in Dauer, Stärke oder Regelmäßigkeit der Blutung?
  • Sind Sie über- oder untergewichtig? Bitte geben Sie Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Ernähren Sie sich ausgewogen bzw. vollwertig?
  • Treiben Sie viel (exzessiv) Sport?
  • Trinken Sie gerne Kaffee, schwarzen oder grünen Tee? Wenn ja, wie viele Tassen pro Tag?
  • Trinken Sie andere koffeinhaltige Getränke? Wenn ja, wie viel davon pro Tag?
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche und wie häufig?

Eigenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • Hormonstörungen (z. B. Polyzystisches Ovar Syndrom (PCO-Syndrom))
    • Gynäkologische Erkrankungen (z. B. Endometriose, Myome)
    • Diabetes mellitus
    • Autoimmunerkrankungen (z. B. Hashimoto-Thyreoiditis)
    • Psychosomatische Erkrankungen (z. B. Anorexia nervosa, Bulimie)
  • Wurden Operationen im Bereich des kleinen Beckens durchgeführt?
  • Wurden Sie im Bereich des kleinen Beckens bestrahlt?
  • Bestehen bekannte Allergien?

Medikamentenanamnese

  • Zytostatika (Substanzen, die das Zellwachstum bzw. die Zellteilung hemmen)

Die nachfolgend genannten Wirkstoffe bzw. Wirkstoffgruppen können eine Hyperprolaktinämie [1-3] auslösen und damit die Follikelreifung (Eizellreifung) beeinträchtigen. Dieses kann eine Corpus-luteum-Insuffizienz (Gelbköprerschwäche) zur Folge haben oder in schweren Fällen zu einer Amenorrhoe (Ausbleiben der Regelblutung länger als 3 Monate) führen:

  • Adrenalin
  • Angiotensin II
  • Antiarrhythmika (Verapamil)
  • Antidepressiva
    • MAO-Hemmer (Moclobemid, Rasagilin, Selegilin, Tranylcypromin)
    • Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRI (Selective Serotonin-Reuptake-Inhibitoren) (Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin)
    • Trizyklische Antidepressiva (Amitryptilin, Amitriptylin­oxid, Clomipramin, Desipramin, Dopexin, Imipramin, Maprotilin, Nortriptylin, Opipramol, Tranylcypromin, Trimipramin)
  • Antiemetika (Domperidon, Metoclopramid)
  • Antihistaminika (Synonyme: Histamin-Rezeptorblocker oder Histamin-Rezeptorantagonisten)
  • Antihypertensiva (Clonidin, Methyldopa)
    • Calciumkanalblocker (Amlodipin, Dilitiazem, Nifedipin))
  • Antipsychotika (Neuroleptika)
    • Konventionelle (Klassische) Antipsychotika (Neuroleptika)
      • Butyrophenone – Benperidon, Fluspirilen, Haloperidol, Melperon, Pipamperon
      • Trizyklische Neuroleptika
        • Phenothiazine (Chlorpromazin, Fluphenazin, Levomepromazin, Perazin, Perphenazin, Promethazin, Thioridazin)
        • Thioxanthene (Chlorprothixen, Flupentixol, Zuclopenthixol)
    • Atypische Antipsychotika (Neuroleptika)
      • Benzamide – Sulpirid
      • Benzisoxazolpiperidin – Risperidon
      • Dibenzodiazepine – Olanzapin, Quetiapin
  • Antisympathotonika (Reserpin)
  • Beta-2-Sympathomimetika mit kurzer Wirkdauer (SABA) – Patientinnen mit SABA benötigten zu 30 % häufiger 12 Monate oder länger, um schwanger zu werden (adjustierte Odds Ratio, OR: 1,30; 95-Prozent-Konfidenzintervall 0,93 bis 1,81) [5]
  • Endogene Opiate (Endorphine)
  • Endorphin
  • Hormone
    • Antiandrogene (Cyproteronacetat)
    • GnRH
    • Melatonin
    • Östrogene
    • TRH
    • TSH-Releasing-Hormon (Synonyme: Thyroid-Stimulating Hormone, Thyrotropin)
  • H2-Rezeptorenblocker (Cimetidin, Ranitidin)
  • Opioide (Hydromorphon, Morphin)
  • Oxytocin
  • Psychopharmaka (Phenothiazine, Thioxanthene)
  • Serotonin
  • Vasopressin

Beachte: Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) – Auswirkungen auf Ovulation, Implantation und Fehlgeburtsrisiko

Umweltanamnese

  • Besteht eine hohe Lärmbelastung? (höheres Risiko für Unfrucht­barkeit bei Frauen mit Straßenverkehrslärm assoziiert [6]) 
  • Sind Sie beruflich Narkosegasen ausgesetzt?
  • Verzehren Sie häufig pestizidbelastete Lebensmittel? (→ Anstieg der klinischen Aborte (Fehlgeburten) versus pflanzlicher Kost mit geringer Pestizidlast (→ Abnahme der klinischen Aborte) [4])
  • Nutzen Sie regelmäßig Kosmetika oder Desinfektionsmittel mit Triclosan (polychloriertes Phenoxyphenol)?
    • Durch die Einwirkung von Sonnenstrahlung, Ozon, Chlor und Mikroorganismen können aus Triclosan chlorierte Dioxine entstehen. Triclosan ist enthalten in Desinfektionsmitteln, Zahnpasta, Deodorants, Mundwasser, Seifen, Kosmetika, Händedesinfektionsmitteln, Haushaltsreiniger oder Waschmittel sowie in Textilien, Schuhen und Spielzeug.
  • Haben Sie Kontakt zu Chemikalien wie Weichmachern (z. B. Bisphenol A)?

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.

Literatur

  1. M Stauber, T Weyerstahl: Gynäkologie und Geburtshilfe. Thieme Verlag Stuttgart, 2005
  2. T Karow, R Lang-Roth: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 18. Auflage 2010
  3. AS Fauci, E Braunwald, DL Kasper, SL Hauser, DL Longo, JL Jameson, Loscalzo: Harrisons Innere Medizin, 17. Auflage. Hrsg.: M Dietel, N Suttorp, M Zeitz. ABW Wissenschaftsverlag Berlin, 2009
  4. Chiu YH et al.: Association Between Pesticide Residue Intake From Consumption of Fruits and Vegetables and Pregnancy Outcomes Among Women Undergoing Infertility Treatment With Assisted Reproductive Technology. JAMA Intern Med. Published online October 30, 2017. doi:10.1001/jamainternmed.2017.5038
  5. Grzeskowiak LE ett al.: Asthma treatment impacts time to pregnancy: evidence from the international SCOPE study. European Respiratory Journal 2018 51: 1702035; doi: 10.1183/13993003.02035-2017
  6. Sørensen M et al.: Long term exposure to road traffic noise and air pollution and risk of infertility in men and women: nationwide Danish cohort study BMJ 2024;386:e080664