Ulcus molle – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Beschreibung des Erregers
- Erreger: Haemophilus ducreyi ist ein gramnegatives, fakultativ anaerobes Bakterium aus der Familie Pasteurellaceae. Es ist stäbchenförmig und besitzt keine Kapsel.
- Genom: Das Genom von Haemophilus ducreyi kodiert für verschiedene Virulenzfaktoren (Infektionskraft-Faktoren), die das Bakterium bei der Gewebsinvasion und der Umgehung der Immunabwehr unterstützen.
- Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz von Haemophilus ducreyi beruht auf seiner Fähigkeit, in die Schleimhaut einzudringen und dort lokalisierte Entzündungen auszulösen. Es produziert verschiedene Zytotoxine, die Zellschäden verursachen und die Bildung schmerzhafter, ulzerierender Läsionen (geschwürartige Hautveränderungen) fördern.
Epidemiologie und Übertragungsweg
- Verbreitung: Ulcus molle (weicher Schanker) tritt vorwiegend in tropischen und subtropischen Regionen auf, insbesondere in Entwicklungsländern Afrikas, Asiens und der Karibik. Die Erkrankung ist in diesen Gebieten endemisch.
- Hauptübertragungsweg: Der Erreger wird überwiegend durch direkten sexuellen Kontakt übertragen, wobei der Kontakt mit infektiösen Sekreten und ulzerierten Läsionen das Infektionsrisiko erhöht.
- Weitere Übertragungswege: Eine Übertragung kann auch durch indirekten Kontakt mit kontaminierten Gegenständen oder durch mangelhafte Hygiene erfolgen, ist jedoch selten.
- Infektiosität (Ansteckungsfähigkeit): Die Infektiosität ist hoch, insbesondere bei Personen mit bereits vorhandenen Haut- oder Schleimhautverletzungen, da das Bakterium durch kleinste Läsionen in den Körper eindringen kann.
Eintrittspforte des Erregers
- Haupteintrittspforte: Die Hauptpforte für Haemophilus ducreyi sind mikroskopisch kleine Haut- oder Schleimhautläsionen im Genitalbereich. Durch diese Verletzungen kann das Bakterium in das Gewebe eindringen und dort die Infektion auslösen.
- Nebeneintrittspforten: Auch andere Hautregionen (z. B. an Händen oder im Perianalbereich) können infiziert werden, wenn sie mit infektiösen Sekreten in Kontakt kommen.
Pathogenese des Erregers
- Initiale Vermehrung und Ansiedlung:
- Nach dem Eindringen in die Haut oder Schleimhaut heften sich die Bakterien mithilfe von Adhäsinen (Anheftungsproteinen) an die Epithelzellen.
- Durch lokale Gewebeinvasion und Zytotoxine (zellschädigende Substanzen) kommt es zur Zerstörung der Zellstrukturen und zur Ausbildung einer entzündlichen Reaktion.
- Bildung der Primärläsion:
- Es entwickelt sich eine entzündliche Papeln (kleine, erhabene Hautveränderungen), die sich rasch zu einem schmerzhaften Ulkus (Geschwür) mit einem weichen Rand ausbildet.
- Diese Läsion ist stark entzündlich, ulzeriert (geschwürig verändert) und in der Regel von einem erythematösen (geröteten) Randsaum umgeben.
- Ausbreitung und systemische Beteiligung:
- Die Bakterien können über die Lymphbahnen in die regionalen Lymphknoten gelangen und dort ebenfalls schmerzhafte Entzündungen hervorrufen.
- In schweren Fällen kann es zur Ausbildung von eitrigen Lymphknotenabszessen (bubonenartige Schwellungen) kommen, die mit Fieber und allgemeinem Krankheitsgefühl einhergehen.
Wirtsreaktion
- Lokale Immunantwort:
- Am Infektionsort kommt es zur Aktivierung der angeborenen Immunantwort, wobei neutrophile Granulozyten (unspezifische Abwehrzellen) und Makrophagen (Fresszellen) in großer Zahl an den Infektionsort einwandern.
- Diese Immunzellen versuchen, das Bakterium zu eliminieren, was jedoch häufig nicht gelingt, da das Bakterium verschiedene Mechanismen zur Abwehr der Immunantwort besitzt.
- Systemische Immunantwort:
- Es kommt zur Bildung spezifischer Antikörper gegen Haemophilus ducreyi, doch aufgrund der schnellen Gewebezerstörung und des zytotoxischen Potenzials des Erregers ist die Immunantwort oft ineffektiv.
- Patienten entwickeln häufig keine vollständige Immunität, was eine erneute Infektion nach Heilung der ersten Erkrankung ermöglicht.
- Anpassungsmechanismen des Erregers:
- Haemophilus ducreyi produziert verschiedene Proteine, die die Apoptose (programmierten Zelltod) der Immunzellen auslösen und so die lokale Immunantwort schwächen.
- Der Erreger kann zudem das Immunsystem durch Veränderung seiner Oberflächenantigene täuschen, wodurch er sich der Immunüberwachung entzieht.
Organaffinität und Gewebeschäden
- Bevorzugte Zielorgane: Die bevorzugten Zielorgane sind die Genitalien und der perianale Bereich, wo das Bakterium in den Schleimhautzellen persistieren und chronische, ulzerative Entzündungen auslösen kann.
- Resultierende Gewebeschäden:
- Bildung eines oder mehrerer schmerzhafter Ulzera (Geschwüre) mit weichem, nekrotischem Rand.
- In schweren Fällen kann es zur Ausbildung von multiplen Ulzera kommen, die miteinander konfluieren (zusammenfließen) und größere Gewebeschäden verursachen.
- Bei Ausbreitung in die Lymphknoten entstehen schmerzhafte Lymphadenopathien (Lymphknotenschwellungen) mit Eiterbildung.
Klinische Manifestation
- Symptomatologie:
- Die Erkrankung beginnt typischerweise mit einer schmerzhaften Papeln an der Infektionsstelle, die sich innerhalb von wenigen Tagen zu einem schmerzhaften Ulkus entwickelt.
- Das Ulkus ist weich, schmerzhaft und hat eine unregelmäßige Form mit nekrotischem Grund.
- Im Verlauf können weitere Läsionen auftreten, und es kann zu einer Ausbreitung auf umliegende Gewebe kommen.
- Komplikationen:
- Die häufigste Komplikation ist die Entzündung der regionalen Lymphknoten (Lymphadenitis), die zu schmerzhaften, eitrigen Abszessen führen kann.
- Bei unbehandelten Infektionen besteht das Risiko einer chronischen Ulzeration mit Narbenbildung und Gewebeverziehungen.
- In seltenen Fällen kann es zu systemischen Komplikationen mit Fieber und Sepsis (Blutvergiftung) kommen.
- Verläufe und Schweregrade:
- Leichte Verläufe: Einzelne, isolierte Ulzera, die sich ohne Narbenbildung zurückbilden.
- Schwere Verläufe: Multiple, konfluierende Ulzera mit Lymphadenopathie und ausgedehnter Gewebsschädigung.
Prognosefaktoren
- Wirtsfaktoren:
- Immunkompetenz: Patienten mit Immunsuppression oder HIV-Infektion sind besonders anfällig für schwere Verläufe.
- Hygiene: Schlechte Hygienepraktiken können das Risiko einer Sekundärinfektion und Gewebezerstörung erhöhen.
- Erregerfaktoren: Unterschiedliche Stämme von Haemophilus ducreyi weisen unterschiedliche Virulenzprofile auf, was die Schwere der Erkrankung beeinflussen kann.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Ulcus molle ist eine sexuell übertragbare Infektion, die durch das Bakterium Haemophilus ducreyi verursacht wird. Die Erkrankung ist durch schmerzhafte, weiche Ulzera im Genitalbereich und eine Entzündung der regionalen Lymphknoten gekennzeichnet. Sie tritt vorwiegend in tropischen Regionen auf, ist jedoch auch in anderen Teilen der Welt bei Risikogruppen verbreitet. Eine frühzeitige Diagnose und antibiotische Therapie sind entscheidend, um Komplikationen wie chronische Ulzerationen (Geschwürbildungen)oder Abszesse (Eiterhöhlen) zu vermeiden.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Geographische Faktoren – Entwicklungsländer
Verhaltensbedingte Ursachen
- Drogenkonsum inkl. gemeinsamer Gebrauch von Drogenbesteck
- Sexuelle Übertragung
- Promiskuität (sexuelle Kontakte mit relativ häufig wechselnden verschiedenen Partnern)
- Prostitution
- Männer, die Sex mit Männern haben (engl. men who have sex with men (MSM))
- Sexuelle Kontakte im Urlaubsland
- Ungeschützter Koitus
- Sexuelle Praktiken mit hohem Risiko der Schleimhautverletzung (z. B. ungeschützter Analverkehr/Analsex)
Krankheitsbedingte Ursachen
- Andere sexuell übertragbare Erkrankungen wie Syphilis