Tollwut (Rabies) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Beschreibung des Erregers
- Erreger: Das Tollwut-Virus (Rabiesvirus) gehört zur Familie der Rhabdoviridae und zur Gattung Lyssavirus. Es ist ein umhülltes, einzelsträngiges RNA-Virus mit negativer Polarität.
- Genom: Das Virusgenom besteht aus einer einzelsträngigen RNA mit negativer Polarität, die für fünf Hauptproteine kodiert: Nukleoprotein (N), Phosphoprotein (P), Matrixprotein (M), Glykoprotein (G) und die RNA-Polymerase (L). Diese Proteine sind entscheidend für die Virusreplikation, die Infektion der Nervenzellen und die virale Ausbreitung.
- Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz des Tollwut-Virus beruht auf seiner Fähigkeit, gezielt an Nervenzellen zu binden und sich entlang der Nervenbahnen in das zentrale Nervensystem (ZNS) auszubreiten. Das Glykoprotein G ist ein wesentlicher Faktor, da es die Bindung an Acetylcholinrezeptoren ermöglicht und das Eindringen des Virus in die Nervenzellen vermittelt.
Epidemiologie und Übertragungsweg
- Verbreitung: Tollwut kommt weltweit vor, mit Ausnahme einiger tollwutfreier Gebiete wie Australien, Neuseeland und Teilen Westeuropas. In Entwicklungsländern ist sie insbesondere bei Hunden verbreitet, während in Europa und Nordamerika vor allem wild lebende Tiere wie Füchse, Fledermäuse und Waschbären betroffen sind.
- Hauptübertragungsweg: Die Übertragung erfolgt durch den Speichel infizierter Tiere, meist durch Bisse oder Kratzverletzungen.
- Weitere Übertragungswege: In seltenen Fällen ist auch eine Übertragung über Schleimhautkontakt mit infiziertem Speichel, Organtransplantationen oder Aerosole möglich.
- Virusreservoir: Hauptreservoire sind wild lebende Fleischfresser (z. B. Füchse, Waschbären) sowie Fledermäuse. In endemischen Regionen sind streunende Hunde die Hauptüberträger.
- Infektiosität (Ansteckungsfähigkeit): Die Infektiosität ist hoch, da das Virus bereits in geringen Mengen im Speichel infizierter Tiere vorhanden ist. Besonders gefährlich sind Bisswunden im Kopf- und Halsbereich aufgrund der kurzen Distanz zum Gehirn.
Eintrittspforte des Erregers
- Haupteintrittspforte: Die Hauptpforte ist die Haut, wenn sie durch Bisse oder Kratzer verletzt wird. Das Virus gelangt so in das darunterliegende Gewebe und die peripheren Nerven.
- Nebeneintrittspforten: Die Schleimhäute (z. B. Augen oder Mund) können ebenfalls Eintrittspforten sein, wenn sie mit kontaminiertem Speichel in Kontakt kommen.
Pathogenese des Erregers
- Initiale Vermehrung und Ansiedlung:
- Nach dem Eindringen durch die Haut oder Schleimhaut verbleibt das Virus zunächst in der Umgebung der Bissstelle.
- Dort bindet es an die Acetylcholinrezeptoren (Rezeptoren für den Neurotransmitter Acetylcholin) auf der Oberfläche der Muskel- und Nervenzellen.
- Eindringen in die peripheren Nerven:
- Das Virus nutzt das Glykoprotein G, um in die Nervenendigungen einzudringen.
- Nach dem Eindringen wird das Virus in Vesikeln (Membranbläschen) entlang der Axone (Nervenfortsätze) retrograd (entgegen der physiologischen Nervenleitung) zum Rückenmark und ins Gehirn transportiert.
- Ausbreitung im Nervensystem:
- Über die peripheren Nerven gelangt das Virus in das Rückenmark und breitet sich schließlich im gesamten zentralen Nervensystem aus.
- Im ZNS kommt es zu einer massiven Virusreplikation und zu ausgeprägten entzündlichen und degenerativen Veränderungen in den betroffenen Hirnregionen (z. B. Medulla oblongata (verlängertes Mark), Thalamus (Teil des Zwischenhirns), Hippocampus (paarige Hirnstruktur, die zum limbischen System gehört)).
- Ausbreitung in periphere Organe:
- Nach der Virusvermehrung im Gehirn breitet sich das Virus erneut entlang der Nervenbahnen aus und gelangt zu peripheren Organen wie Speicheldrüsen, Haut, Herz und anderen Organen.
- Diese periphere Ausbreitung ist verantwortlich für die hohe Virulenz im Speichel, wodurch das Virus leicht auf andere Wirte übertragen werden kann.
Wirtsreaktion
- Lokale Immunantwort:
- In der unmittelbaren Umgebung der Eintrittsstelle kommt es zur Aktivierung von Immunzellen (z. B. Makrophagen und dendritische Zellen), die jedoch oft nicht ausreicht, um das Virus zu eliminieren.
- Systemische Immunantwort:
- Sobald das Virus in die Nervenzellen eindringt, ist es vor der humoralen (Antikörper-vermittelten) Immunantwort geschützt, da das Immunsystem in den meisten Fällen nicht direkt auf infizierte Nervenzellen zugreifen kann.
- In späteren Stadien führt die Immunantwort zu ausgeprägten Entzündungsreaktionen im Gehirn, die zu den klassischen neurologischen Symptomen beitragen.
- Anpassungsmechanismen des Erregers:
- Das Virus hat die Fähigkeit, sich im Nervensystem zu verstecken und der Immunerkennung zu entgehen.
- Die Bildung von virusbeladenen Vesikeln ermöglicht einen schnellen Transport entlang der Nerven, ohne dass das Immunsystem eingreifen kann.
Organaffinität und Gewebeschäden
- Bevorzugte Zielorgane: Das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) ist das Hauptzielorgan des Tollwut-Virus.
- Resultierende Gewebeschäden:
- Die Infektion führt zu einer ausgeprägten Enzephalitis (Gehirnentzündung) mit neuronalen Degenerationen und dem Zelltod von Neuronen.
- In den betroffenen Hirnregionen kommt es zu Einschlusskörperchen (sogenannte Negri-Körper), die ein histopathologisches Kennzeichen der Tollwut sind.
- Die periphere Ausbreitung des Virus in andere Organe führt in der Regel nicht zu schwerwiegenden Gewebeschäden.
Klinische Manifestation
- Symptomatologie:
- Die Erkrankung verläuft in verschiedenen Stadien:
- Prodromalstadium: Unspezifische Symptome wie Fieber, Kopfschmerzen, Unwohlsein, Übelkeit und Missempfindungen an der Bissstelle.
- Akutes neurologisches Stadium: Angstzustände, Hyperaktivität, Halluzinationen, Lähmungen, Hydrophobie (Wasserangst), Krampfanfälle und Muskelspasmen.
- Paralytisches Stadium: Fortschreitende Lähmungen, Bewusstseinsverlust, Koma und schließlich Tod.
- Die Erkrankung verläuft in verschiedenen Stadien:
- Komplikationen: Ohne rechtzeitige postexpositionelle Prophylaxe endet die Tollwutinfektion fast immer tödlich. Die häufigste Todesursache ist Atemlähmung.
- Verläufe und Schweregrade: Der Verlauf ist abhängig von der Lokalisation des Bisses und der Virusmenge. Bisse in Kopf- und Halsregionen führen aufgrund der Nähe zum Gehirn zu einer rascheren und schwereren Krankheitsentwicklung.
Prognosefaktoren
- Wirtsfaktoren:
- Lokalisation des Bisses: Bisse in Kopf- und Halsregionen sind besonders gefährlich.
- Zeitpunkt der Behandlung: Eine sofortige postexpositionelle Prophylaxe (PEP) kann das Ausbrechen der Krankheit verhindern.
- Erregerfaktoren:
- Unterschiedliche Genotypen des Rabiesvirus können zu variierenden Krankheitsverläufen führen, beeinflusst durch deren Virulenz und Neurotropismus (Neigung, Nervenzellen zu infizieren).
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Tollwut ist eine fast immer tödlich verlaufende Viruserkrankung, die hauptsächlich durch den Biss infizierter Tiere übertragen wird. Die Pathogenese wird durch die Fähigkeit des Virus bestimmt, entlang der Nervenbahnen in das zentrale Nervensystem zu gelangen und schwere neuronale Schädigungen zu verursachen. Präventive Maßnahmen wie die postexpositionelle Prophylaxe sind essenziell, um den Ausbruch der Krankheit zu verhindern. Eine frühzeitige Diagnosestellung und Behandlung sind von entscheidender Bedeutung, da die Erkrankung nach dem Auftreten erster Symptome nicht mehr heilbar ist.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Berufe
- Tierärzte, Jäger, Forstpersonal u. a. Personen mit Umgang mit Tieren in Gebieten mit neu aufgetretener Wildtiertollwut
- Personen mit beruflichem engen Kontakt zu Fledermäusen
- Laborpersonal mit Expositionsrisiko gegenüber Tollwutviren
Weitere Ursachen
- Schleimhautkontakt mit Speichel eines infizierten Tieres