Syphilis – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Beschreibung des Erregers
- Erreger: Treponema pallidum ist ein gramnegatives, mikroaerophiles Bakterium aus der Familie der Spirochaetaceae. Es ist spiralig geformt (Spirochäte) und besitzt eine ausgeprägte Beweglichkeit, die durch periplasmatische Flagellen (Bewegungsstrukturen innerhalb der Bakterienzellwand) ermöglicht wird.
- Genom: Das Genom von Treponema pallidum besteht aus einer einzelsträngigen DNA, die für zahlreiche Proteine kodiert, die dem Bakterium helfen, sich an die Wirtszellen anzuheften und die Immunantwort des Wirts zu umgehen.
- Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz von Treponema pallidum beruht auf der Fähigkeit, das Immunsystem zu umgehen und in den Wirtszellen persistieren zu können. Das Bakterium besitzt mehrere Oberflächenproteine, die es ihm ermöglichen, sich an verschiedene Wirtsgewebe zu binden und sich so effektiv im Körper zu verbreiten. Es fehlen jedoch klassische Pathogenitätsfaktoren wie Endotoxine und Exotoxine.
Epidemiologie und Übertragungsweg
- Verbreitung: Syphilis tritt weltweit auf, wobei die Prävalenz in Entwicklungsregionen und bei Risikogruppen (z. B. Männer, die Sex mit Männern haben (MSM)) erhöht ist. In den letzten Jahren sind die Fallzahlen auch in Industrienationen wieder gestiegen.
- Hauptübertragungsweg: Die Übertragung erfolgt überwiegend durch direkten sexuellen Kontakt (vaginal, anal, oral) mit einer infizierten Person, bei dem das Bakterium über mikroskopische Haut- und Schleimhautläsionen in den Körper gelangt.
- Weitere Übertragungswege:
- Diaplazentare Übertragung (Übertragung von der infizierten Mutter auf das ungeborene Kind während der Schwangerschaft).
- Parenterale Übertragung (durch Bluttransfusionen oder Nadelstiche; heute jedoch selten).
- Infektiosität (Ansteckungsfähigkeit): Syphilis ist hochinfektiös in der Primär- und Sekundärphase, da das Bakterium in hohen Mengen im Körpergewebe und in den Läsionen vorhanden ist.
Eintrittspforte des Erregers
- Haupteintrittspforte: Die Hauptpforte für Treponema pallidum ist die Haut- oder Schleimhautoberfläche im Genital-, Anal- oder Mundbereich. Das Bakterium kann auch durch kleine Verletzungen und Mikrorisse eindringen.
- Nebeneintrittspforten: Eine Übertragung über die Plazenta ist ebenfalls möglich, insbesondere im späten ersten und zweiten Trimester (Schwangerschaftsdrittel) der Schwangerschaft.
Pathogenese des Erregers
- Initiale Vermehrung und Ansiedlung:
- Nach dem Eindringen in den Körper haftet sich das Bakterium an die Endothelzellen der kleinen Blut- und Lymphgefäße an.
- Es vermehrt sich lokal in der Umgebung der Inokulationsstelle und löst eine entzündliche Reaktion aus.
- Innerhalb weniger Tage kommt es zur Ausbildung des sogenannten Primärkomplexes (Hauptmerkmal der Primärphase), der als Ulcus durum (harter Schanker) an der Eintrittsstelle sichtbar wird.
- Systemische Ausbreitung:
- Treponema pallidum gelangt in die regionalen Lymphknoten und breitet sich über die Blut- und Lymphbahn im gesamten Organismus aus (sogenannte Bakteriämie).
- Diese systemische Verteilung führt zur sekundären Phase der Syphilis, in der das Bakterium in vielen verschiedenen Geweben und Organen (z. B. Haut, Schleimhäute, Leber, Herz, ZNS) persistieren kann.
- Eine Besonderheit ist die Fähigkeit des Erregers, in die Plazenta überzutreten und eine angeborene Syphilis beim Fötus zu verursachen.
- Persistenz und Gewebeschäden:
- Während der Tertiärphase persistiert das Bakterium über Jahre in verschiedenen Organen (z. B. Herz, Aorta, Nervensystem) und löst chronische Entzündungen aus.
- Diese Phase ist gekennzeichnet durch die Bildung von Gummen (knotige, granulomatöse Läsionen), die zu ausgedehnten Gewebeschädigungen führen.
Wirtsreaktion
- Lokale Immunantwort:
- An der Eintrittsstelle kommt es zu einer lokalen Entzündungsreaktion mit Aktivierung von Makrophagen und dendritischen Zellen.
- Diese Immunzellen präsentieren treponemale Antigene an T-Lymphozyten, was zur Freisetzung von Zytokinen und zur weiteren Rekrutierung von Immunzellen führt.
- Systemische Immunantwort:
- Bei systemischer Verbreitung wird eine humorale Immunantwort mit Bildung von IgM- und IgG-Antikörpern gegen verschiedene treponemale Antigene ausgelöst.
- Trotz einer starken Immunantwort ist das Bakterium in der Lage, durch Antigenvariation (Änderung der Oberflächenantigene) der Immunüberwachung zu entkommen.
- Die Persistenz des Erregers führt zu einer chronischen Entzündungsreaktion, die für die späten Stadien der Syphilis charakteristisch ist.
- Anpassungsmechanismen des Erregers:
- Treponema pallidum besitzt wenige Oberflächenantigene, was die Erkennung durch das Immunsystem erschwert.
- Es ist in der Lage, sich durch das Gewebe zu bewegen und sich vor den Immunzellen zu verstecken.
- Die chronische Persistenz des Erregers und die langsame Teilungsrate tragen zur Ausbildung einer langjährigen Latenzphase bei.
Organaffinität und Gewebeschäden
- Bevorzugte Zielorgane: Treponema pallidum kann nahezu alle Organe befallen, insbesondere Haut, Schleimhäute, Herz-Kreislaufsystem und das zentrale Nervensystem.
- Resultierende Gewebeschäden:
- In der Primärphase kommt es zur Bildung des harten Schankers (Ulcus durum) an der Eintrittsstelle.
- In der Sekundärphase entstehen makulopapulöse Hautausschläge (syphilitisches Exanthem) sowie Schleimhautläsionen.
- In der Tertiärphase kommt es zur Bildung von Gummen (Granulome), Aortenaneurysmen (Gefäßaussackungen) und Neurosyphilis (ZNS-Beteiligung mit Demenz, Ataxie (Gangstörungen) und Sensibilitätsstörungen).
Klinische Manifestation
- Symptomatologie:
- Primärsyphilis:
- Ulcus durum (harter Schanker) an der Inokulationsstelle (häufig an Genitalien, Rektum (Mastdarm), Mundhöhle).
- Schmerzarme, harte Läsion mit einem Durchmesser von 0,5-2 cm.
- Regionale Lymphknotenschwellung.
- Sekundärsyphilis:
- Generalisierter Hautausschlag (Exanthem) mit makulösen, papulösen oder pustulösen Läsionen.
- Schleimhautplaques (Condylomata lata) an den Genitalien oder perianal.
- Fieber, allgemeines Krankheitsgefühl, Haarausfall.
- Tertiärsyphilis:
- Gummen (granulomatöse Knoten) in Haut, Knochen, Leber.
- Aneurysmen (Gefäßaussackung) der Aorta (syphilitische Aortitis).
- Neurosyphilis mit Tabes dorsalis (Rückenmarksschädigung), Paresen (Lähmungen) und Demenz.
- Primärsyphilis:
- Komplikationen:
- In der Tertiärphase kann es zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie Aortenaneurysmen, Herzinsuffizienz (Herzschwäche) und neurologischen Ausfällen kommen.
- Angeborene Syphilis (diaplazentare (über die Plazenta) Übertragung) führt zu Missbildungen, geistiger Behinderung und schwerer Organschädigung.
- Verläufe und Schweregrade:
- Syphilis verläuft in verschiedenen Stadien (Primär-, Sekundär-, Tertiär- und Latenzsyphilis).
- Der Verlauf ist ohne Behandlung progredient, wobei es nach der Sekundärphase zu einer langjährigen asymptomatischen Latenz kommen kann.
Prognosefaktoren
- Wirtsfaktoren: Alter, genetische Prädisposition, Immunstatus und Schwangerschaft beeinflussen die Schwere des Krankheitsverlaufs.
- Erregerfaktoren: Die Virulenz verschiedener Treponema-Stämme beeinflusst die Ausprägung der Erkrankung.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Syphilis ist eine chronisch verlaufende bakterielle Infektion, die unbehandelt zu schweren systemischen Schädigungen führen kann. Die Erkrankung verläuft in mehreren Stadien, die durch unterschiedliche Symptome gekennzeichnet sind. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie mit Penicillin sind entscheidend, um schwere Krankheitsverläufe und die Übertragung auf andere Personen zu verhindern.
Ätiologie (Ursachen)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Drogenkonsum inkl. gemeinsamer Gebrauch von Drogenbesteck
- Sexuelle Übertragung
- Promiskuität (sexuelle Kontakte mit relativ häufig wechselnden verschiedenen Partnern)
- Prostitution, vor allem bei Frauen aus Zentral- und Osteuropa oder Lateinamerika
- Männer, die Sex mit Männern haben (engl. men who have sex with men (MSM)) (15-mal höher als bei anderen Männern) [1]
- Sexuelle Kontakte im Urlaubsland
- Ungeschützter Koitus
- Sexuelle Praktiken mit hohem Risiko der Schleimhautverletzung (z. B. ungeschützter Analverkehr/Analsex)
Krankheitsbedingte Ursachen
- Andere sexuell übertragbare Erkrankungen
- Früher durchgemachte Syphilis-Infektion
- HIV-Infektion
Literatur
- Tsuboi M et al.: Prevalence of syphilis among men who have sex with men: a global systematic review and meta-analysis from 2000-20. Lancet Global Health July 08, 2021 doi:https://doi.org/10.1016/S2214-109X(21)00221-7