Norovirusinfektion – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Beschreibung des Erregers

  • Erreger: Noroviren (früher als Norwalk-like-Viren bezeichnet) sind RNA-Viren, die zur Familie der Caliciviridae gehören. Sie sind die häufigste Ursache für virale Gastroenteritis (Magen-Darm-Entzündung) weltweit. Noroviren lassen sich in fünf Gengruppen (GG I-V) unterteilen, wobei GG I, II und IV humanpathogen (beim Menschen krankheitserregend) sind. Die Gengruppen III und V sind primär bei Tieren nachweisbar.
  • Genom: Noroviren besitzen ein einzelsträngiges RNA-Genom (Ribonukleinsäure), das in drei offene Leserahmen (Open Reading Frames, ORF) unterteilt ist. Das Genom kodiert für nicht-strukturelle Proteine, das Kapsidprotein (Schutzhülle des Virus) und die für die Replikation (Vermehrung) notwendigen Enzyme.
  • Virulenz: Die Virulenz (Krankheitserzeugungskraft) des Norovirus wird durch mehrere Faktoren vermittelt:
    • Hohe Infektiosität: Bereits eine sehr geringe Virusmenge (ca. 10–100 Viruspartikel) reicht aus, um eine Infektion auszulösen.
    • Umweltstabilität: Noroviren sind extrem stabil gegenüber Umwelteinflüssen und widerstehen selbst gängigen Desinfektionsmitteln sowie extremen Temperaturen.
    • Genetische Variabilität: Aufgrund ihrer hohen Mutationsrate (Veränderung des Erbguts) entstehen kontinuierlich neue Varianten, die dem Immunsystem entgehen können, was zu wiederholten Infektionen führt.

Epidemiologie und Übertragungsweg

  • Verbreitung: Noroviren sind weltweit verbreitet und die häufigste Ursache viraler Gastroenteritiden, besonders in Gemeinschaftseinrichtungen wie Krankenhäusern, Altenheimen und Kindergärten. Die meisten Ausbrüche treten in den Wintermonaten auf.
  • Hauptübertragungsweg: Die Übertragung erfolgt primär fäkal-oral (durch Kontakt mit Stuhl) oder durch Aufnahme virushaltiger Tröpfchen, die beim Erbrechen freigesetzt werden.
  • Weitere Übertragungswege: Die Infektion kann auch durch kontaminierte Speisen und Getränke übertragen werden. Besonders gefährdet sind Rohkost, Meeresfrüchte (z. B. Austern) und verunreinigtes Wasser.
  • Reservoir: Der Mensch ist das einzige Erregerreservoir des Norovirus.
  • Infektiosität: Noroviren sind extrem infektiös. Die Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt leicht durch kontaminierte Hände, Oberflächen oder Aerosole (feinste Tröpfchen).

Eintrittspforte des Erregers

  • Haupteintrittspforte: Die Infektion erfolgt über die Schleimhäute des Magen-Darm-Trakts nach oraler Aufnahme des Virus.
  • Nebeneintrittspforten: Übertragung durch Tröpfchen-Aerosole, die bei heftigem Erbrechen entstehen und anschließend über die Atemwege verschluckt werden.

Pathogenese des Erregers

  1. Adhäsion und Eintritt in die Zielzellen: Nach Aufnahme über den Mund durchdringen die Noroviren die saure Magenbarriere und gelangen in den Dünndarm. Sie binden spezifisch an bestimmte Kohlenhydratstrukturen (z. B. Histo-Blutgruppenantigene) auf der Oberfläche der Enterozyten (Darmzellen) und treten in die Zellen ein.
  2. Virusreplikation: Nach dem Eindringen in die Enterozyten setzt das Virus seine RNA frei und beginnt mit der Vermehrung. Die virale RNA wird direkt in virale Proteine umgewandelt, die für die Struktur und Replikation des Virus notwendig sind. Innerhalb der Zellen kommt es zur Produktion neuer Viruspartikel, die anschließend freigesetzt werden.
  3. Zytopathische Wirkung und Gewebeschädigung: Die massenhafte Virusvermehrung führt zur Zerstörung der befallenen Enterozyten. Dies resultiert in einer Störung der Nährstoff- und Wasserrückresorption im Dünndarm, was zu einer gesteigerten Flüssigkeitssekretion und wässrigem Durchfall führt.
  4. Aktivierung des Enterischen Nervensystems: Die Schädigung der Enterozyten und die Freisetzung von Zytokinen (Entzündungsbotenstoffen) führen zu einer Aktivierung des enterischen Nervensystems (Teil des Nervensystems im Magen-Darm-Trakt). Dies verstärkt die Motilität (Bewegung) des Darms und verursacht die typischen Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und krampfartige Bauchschmerzen.
  5. Auslösen von Autoimmunreaktionen: In seltenen Fällen können Noroviren Autoimmunphänomene auslösen, die zu chronischen Darmentzündungen führen. Dies ist vermutlich durch die durch Superantigene vermittelte Aktivierung von T-Zellen (weiße Blutkörperchen) bedingt.

Wirtsreaktion

  • Lokale Immunantwort: Die Infektion aktiviert die mukosale Immunabwehr (Darm-Schleimhautabwehr), insbesondere durch die Aktivierung von Makrophagen (Fresszellen) und dendritischen Zellen, die proinflammatorische Zytokine (entzündungsfördernde Botenstoffe) wie Interferone und Interleukine freisetzen. Dies führt zu einer starken Entzündungsreaktion in der Darmmukosa.
  • Systemische Immunantwort: Aufgrund der kurzen Krankheitsdauer (1-3 Tage) ist die Immunantwort auf die Virusinfektion oft unvollständig. Eine langfristige Immunität wird nur selten erworben, was erneute Infektionen ermöglicht. Genetische Faktoren wie bestimmte Histo-Blutgruppenantigene beeinflussen die Anfälligkeit für Norovirusinfektionen.

Organaffinität und Gewebeschäden

  • Bevorzugte Zielorgane: Noroviren befallen hauptsächlich die Enterozyten des Dünndarms. Bei systemischer Verbreitung können in seltenen Fällen auch andere Organe wie Leber und Bauchspeicheldrüse betroffen sein.
  • Resultierende Gewebeschäden:
    • Darm: Zerstörung der Mikrovilli (kleine Ausstülpungen der Darmzellen) führt zu einer reduzierten Resorptionskapazität und einer gestörten Aufnahme von Nährstoffen.
    • Nervensystem: Über die Aktivierung des enterischen Nervensystems werden Brechreiz und vermehrte Darmmotilität vermittelt.

Klinische Manifestation

  • Frühsymptome: Übelkeit, Erbrechen, wässrige Durchfälle, Bauchkrämpfe und allgemeines Krankheitsgefühl. Symptome treten in der Regel 12 bis 48 Stunden nach der Infektion auf.
  • Fortgeschrittene Symptome: In schweren Fällen kommt es zu starkem Flüssigkeitsverlust, Elektrolytstörungen und Dehydratation (Austrocknung). Besonders gefährdet sind ältere Menschen, Kleinkinder und immungeschwächte Personen.
  • Komplikationen: In seltenen Fällen kann es bei stark geschwächten Patienten zu einer chronischen Norovirusinfektion kommen, die länger als 2 Wochen andauert.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Noroviren sind hochinfektiöse RNA-Viren, die weltweit akute Gastroenteritiden verursachen. Die Pathogenese wird durch die Zerstörung der Enterozyten im Dünndarm und die Aktivierung des enterischen Nervensystems vermittelt, was zu starkem Erbrechen und wässrigen Durchfällen führt. Die klinische Relevanz liegt in der raschen Isolierung infizierter Patienten und der Implementierung strenger Hygienemaßnahmen, um die Ausbreitung in Gemeinschaftseinrichtungen zu verhindern. Eine spezifische antivirale Therapie existiert derzeit nicht, weshalb die Behandlung symptomatisch erfolgt (Flüssigkeits- und Elektrolytausgleich).

Ätiologie (Ursachen)

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Kontakt zu Infizierten
  • Verzehr von kontaminierten Lebensmitteln