Milzbrand (Anthrax) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Beschreibung des Erregers
- Erreger: Bacillus anthracis ist ein hochpathogenes, grampositives, sporenbildendes Stäbchenbakterium (bakterielle Form mit stabförmiger Struktur). Es gehört zur Familie der Bacillaceae und bildet unter ungünstigen Umweltbedingungen resistente Sporen (Dauerformen des Bakteriums), die über Jahre in der Umwelt überleben können. Diese Sporen sind für die Infektion und Krankheitsentstehung beim Menschen verantwortlich.
- Genom: Bacillus anthracis besitzt ein einzelnes, doppelsträngiges DNA-Genom, das die Informationen für die Bildung der Virulenzfaktoren (Krankheitserreger-Eigenschaften) wie Toxine und Kapselproteine enthält. Zusätzlich zu seinem Chromosom besitzt B. anthracis zwei Plasmide (ringförmige DNA-Elemente), pXO1 und pXO2, die für die Toxinproduktion und Kapselbildung notwendig sind.
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Virulenz: Die Virulenz des Erregers wird durch zwei Hauptfaktoren vermittelt:
- Toxine: Bacillus anthracis produziert drei Haupttoxine:
- Letalfaktor (LF): Stört die Signalwege innerhalb der Zellen und führt zum Zelltod.
- Ödemfaktor (EF): Verursacht eine Ansammlung von Flüssigkeit (Ödem) in den Geweben.
- Schutzantigen (PA): Bindet an Zellrezeptoren und dient als Eintrittsweg für die anderen Toxine.
- Toxine: Bacillus anthracis produziert drei Haupttoxine:
- Kapselbildung: Die bakterielle Kapsel (Schutzhülle) aus Poly-D-Glutaminsäure schützt das Bakterium vor Phagozytose (Aufnahme durch Fresszellen) und ermöglicht es ihm, das Immunsystem zu umgehen.
Epidemiologie und Übertragungsweg
- Verbreitung: Milzbrand kommt weltweit vor und betrifft vor allem landwirtschaftlich genutzte Tiere wie Rinder, Schafe und Ziegen. Die Sporen können jahrzehntelang in der Umwelt überleben und durch den Kontakt mit kontaminierten Böden oder Tierprodukten auf den Menschen übertragen werden.
- Hauptübertragungswege:
- Hautmilzbrand: Durch Eindringen der Sporen über kleine Hautverletzungen.
- Lungenmilzbrand: Über Inhalation (Einatmen) von Sporen aus kontaminierten Aerosolen (Luftpartikeln).
- Darmmilzbrand: Durch den Verzehr von kontaminiertem Fleisch oder Tierprodukten.
- Injektionsmilzbrand: Durch Injektion von kontaminierten Substanzen oder Materialien, insbesondere bei Drogenabhängigen.
- Reservoir: Hauptreservoir sind infizierte Tiere und deren Kadaver sowie kontaminierte Böden.
- Infektiosität: Milzbrand ist nicht primär von Mensch zu Mensch übertragbar, mit Ausnahme von Hautmilzbrand in seltenen Fällen.
Eintrittspforte des Erregers
- Haupteintrittspforte: Abhängig vom Milzbrandtyp:
- Hautmilzbrand: Über Hautläsionen (kleinste Verletzungen der Haut).
- Lungenmilzbrand: Über Inhalation von Sporen in die Lunge.
- Darmmilzbrand: Über die Magen-Darm-Schleimhaut nach dem Verzehr kontaminierter Nahrungsmittel.
- Nebeneintrittspforten: Direkter Kontakt mit infizierten Tierprodukten (z. B. Wolle, Felle) oder kontaminierten Materialien.
Pathogenese des Erregers
- Sporeneintritt und Keimung: Nach dem Eintritt in den Körper durch Haut, Lunge oder Darm gelangen die Sporen von Bacillus anthracis in das Gewebe, wo sie unter günstigen Bedingungen (nährstoffreiche Umgebung, Temperatur) keimen und sich zur vegetativen, vermehrungsfähigen Form entwickeln.
- Toxinproduktion: Die vegetativen Bakterien beginnen, die toxischen Proteine LF, EF und PA zu produzieren, die in das umliegende Gewebe freigesetzt werden. Diese Toxine binden an die Wirtszellen und dringen in das Zytoplasma (Zellinneres) ein.
- Zytotoxische Wirkung und Zellzerstörung:
- Der Letalfaktor (LF) hemmt wichtige Signalwege in der Zelle und verursacht Zelltod (Apoptose).
- Der Ödemfaktor (EF) führt zu einer vermehrten Ansammlung von Flüssigkeit in den Geweben, was zu Ödemen (Schwellungen) und einer gestörten Funktion der betroffenen Organe führt.
- Das Schutzantigen (PA) vermittelt die Bindung der Toxine an die Zellen und unterstützt deren Eindringen in das Zellinnere.
- Systemische Ausbreitung: Bei schweren Infektionsverläufen gelangt das Bakterium in den Blutkreislauf (Bakteriämie) und verteilt sich systemisch im Organismus. Dies kann zu einer ausgeprägten Sepsis (Blutvergiftung) mit Multiorganversagen führen.
- Hämorrhagische Komplikationen: Die Toxine führen zu einer Schädigung der Blutgefäße, was zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität (Durchlässigkeit der Blutgefäße) und zu Blutungen (hämorrhagische Nekrose) in verschiedenen Organen führt.
- Umweltkontamination: Bei einer letalen Infektion können die Bakterien in den Sekreten des Patienten erneut Sporen bilden und die Umwelt kontaminieren.
Wirtsreaktion
- Lokale Immunantwort: Die Infektion aktiviert Makrophagen und dendritische Zellen (Abwehrzellen des Immunsystems), die versuchen, das Bakterium zu phagozytieren (aufzunehmen und abzubauen). Die Kapsel des Bakteriums erschwert jedoch die Phagozytose und ermöglicht es den Bakterien, sich in den Immunzellen zu vermehren.
- Systemische Immunantwort: Die massive Toxinfreisetzung führt zur Aktivierung proinflammatorischer Zytokine (z. B. IL-1, TNF-α), die zu einer systemischen Entzündungsreaktion führen und das Risiko einer Verbrauchskoagulopathie (gerinnungsbedingte Blutungen) erhöhen.
Organaffinität und Gewebeschäden
- Bevorzugte Zielorgane: Lunge, Haut, Darm und das zentrale Nervensystem (bei systemischer Ausbreitung).
- Resultierende Gewebeschäden:
- Lunge: Schwere Lungenentzündung mit ausgedehnten Blutungen (hämorrhagische Pneumonie).
- Haut: Nekrose (Absterben von Gewebe) und typische schwarz verfärbte Hautläsionen („Anthraxkarbunkel“).
- Darm: Blutungen und Ulzerationen (Geschwürbildung) in der Darmschleimhaut.
- Zentrales Nervensystem: Hirnblutungen und Meningitis (Hirnhautentzündung) bei systemischer Ausbreitung.
Klinische Manifestation
- Frühsymptome: Abhängig vom Eintrittsweg:
- Hautmilzbrand: Rote, schmerzlose Hautläsionen, die sich zu schwarzen, nekrotischen Geschwüren entwickeln.
- Lungenmilzbrand: Grippeähnliche Symptome wie Fieber, Husten, Atemnot, die rasch zu einer schweren Ateminsuffizienz führen.
- Darmmilzbrand: Übelkeit, Erbrechen, blutiger Durchfall und starke Bauchschmerzen.
- Fortgeschrittene Symptome: Bei systemischer Ausbreitung kann es zur Sepsis, Multiorganversagen und hämorrhagischen Komplikationen kommen.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Milzbrand ist eine hochgefährliche bakterielle Infektion, die durch das Sporenbildner-Bakterium Bacillus anthracis ausgelöst wird. Die Pathogenese wird durch die Bildung von Toxinen und die bakterielle Kapsel vermittelt, die eine ausgeprägte Gewebsschädigung und eine systemische Sepsis verursachen können. Die klinische Relevanz liegt in der raschen Diagnosestellung und Therapie (Antibiotikagabe und Antitoxintherapie), um schwere Verläufe und eine Umweltkontamination zu verhindern.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Berufe – Arbeiter in folgenden Berufen sind besonders gefährdet:
- Verarbeitung von Tieren (Felle/Häute, Knochen etc.)
- Tiermedizin
- Landwirtschaft
- Forstwirtschaft
- Jagdwirtschaft
Krankheitsbedingte Ursachen
Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)
- Drogenabhängigkeit (intravenöser Heroinkonsum)