Leptospirose (Morbus Weil) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Beschreibung des Erregers

  • Erreger: Leptospirose wird durch verschiedene Serovare (Untergruppen) der Leptospiren verursacht, einer spiralförmigen Bakteriengattung. Zu den wichtigsten humanpathogenen Serovaren zählen Leptospira icterohaemorrhagica (Verursacher des Morbus Weil), Leptospira canicola, Leptospira bataviae und Leptospira pomona.
  • Genom: Leptospiren besitzen ein doppelsträngiges, ringförmiges DNA-Genom und sind durch ihre beweglichen Endoflagellen (eingeschlossene Geißeln, die die Bakterienbewegung ermöglichen) besonders anpassungsfähig.
  • Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz der Leptospiren beruht auf ihrer Fähigkeit, durch intakte Schleimhäute und kleine Hautverletzungen in den Körper einzudringen, sowie auf ihrer Anpassung an das wässrige Milieu und der Fähigkeit, in verschiedenen Tierreservoiren zu überleben.

Epidemiologie und Übertragungsweg

  • Verbreitung: Leptospirose ist weltweit verbreitet, insbesondere in tropischen und subtropischen Regionen. In Europa tritt die Infektion bevorzugt in ländlichen Gebieten auf. In Deutschland kommt es insbesondere bei Landwirten, Forstarbeitern und Wasserarbeitern zu Infektionen.
  • Hauptübertragungsweg:
    • Die Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt mit Urin infizierter Tiere (Ratten, Hunde, Schweine) oder durch indirekten Kontakt mit kontaminiertem Wasser, Schlamm oder Abwasser.
    • Leptospiren dringen über kleinste Hautläsionen oder die unverletzte Bindehaut in den Körper ein.
  • Weitere Übertragungswege:
    • Eine Infektion ist auch durch kontaminiertes Trinkwasser oder durch das Baden in infizierten Gewässern möglich.
  • Reservoir: Die Hauptreservoire sind Nagetiere, insbesondere Ratten, aber auch Hunde, Rinder, Schweine und Wildtiere.
  • Infektiosität: Die Infektiosität ist hoch, da Leptospiren in feuchten Milieus über Wochen bis Monate überleben können und schon eine geringe Bakterienlast ausreicht, um eine Infektion auszulösen.

Eintrittspforte des Erregers

  • Haupteintrittspforte: Die Leptospiren dringen durch kleinste Hautverletzungen, intakte Schleimhäute oder die Bindehaut in den Körper ein. Häufig erfolgt die Infektion durch den Kontakt mit kontaminiertem Wasser oder Schlamm in feuchten Umgebungen.
  • Nebeneintrittspforten: In seltenen Fällen kann die Infektion auch durch Einatmen kontaminierter Aerosole (z. B. in Abwasseranlagen) erfolgen.

Pathogenese des Erregers

  1. Eintritt und erste Ausbreitung im Körper:
    • Nach dem Eindringen über die Haut oder Schleimhäute gelangen die Leptospiren in den Blutkreislauf und verursachen eine erste Bakteriämie (Vorhandensein von Bakterien im Blut).
    • Während dieser Phase breiten sie sich über die Blutbahn auf verschiedene Organe aus, darunter Leber, Nieren, Lunge, Gehirn und Milz.
  2. Akute Phase – Schädigung der Endothelzellen:
    • Die Leptospiren binden sich an die Endothelzellen (Zellen, die die Blutgefäße auskleiden) der kleinen Blutgefäße und verursachen eine direkte Schädigung der Zellwände.
    • Dies führt zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität (Durchlässigkeit der Gefäße) und einer Störung der Mikrozirkulation, was zu Blutungen, Ödemen und Entzündungen in den betroffenen Geweben führt.
    • Die Gefäßschäden resultieren in hämorrhagischen Manifestationen (Blutungen) und der klassischen hämorrhagischen Diathese (vermehrte Blutungsneigung), die typisch für den Morbus Weil ist.
  3. Organbefall und Gewebeschäden:
    • Leber: Die Leptospiren verursachen eine Entzündung der Leber mit Nekrosen (Zelluntergang) und führen zu einer Gelbsucht (Ikterus), was dem Krankheitsbild Morbus Weil den Namen gibt.
    • Nieren: In den Nieren kommt es zu einer tubulären Nekrose (Schädigung der Nierenkanälchen) und einer interstitiellen Nephritis (Entzündung des Nierenzwischengewebes), was zur akuten Niereninsuffizienz führt.
    • Lunge: Bei schwerem Verlauf kann eine Lungenblutung auftreten, die zu einer hämorrhagischen Pneumonitis führt.
    • Zentralnervensystem: Die Leptospiren können die Bluthirnschranke überwinden und eine aseptische Meningitis (Entzündung der Hirnhäute) auslösen.
  4. Immunantwort und Erholungsphase:
    • Während der akuten Phase versucht das Immunsystem, die Bakterien durch die Aktivierung von Makrophagen und die Freisetzung von Zytokinen zu eliminieren.
    • In einigen Fällen gelingt es dem Immunsystem, die Erreger zu kontrollieren, was zu einer klinischen Erholung führt.
    • Bei unzureichender Immunantwort persistieren die Bakterien in den Organen und verursachen chronische Gewebeschäden, besonders in den Nieren.
  5. Chronische Infektion und Langzeitschäden:
    • Die chronische Form der Leptospirose führt zu dauerhaften Schäden an den Nieren, die sich als chronische Niereninsuffizienz manifestieren können.
    • Langzeitschäden an der Leber und im Zentralnervensystem sind ebenfalls möglich.

Wirtsreaktion

  • Lokale Immunantwort:
    • Die Aufnahme der Bakterien durch Makrophagen (Fresszellen) führt zur Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen (entzündungsfördernde Botenstoffe) wie TNF-α, IL-6 und IL-8, die die Entzündungsreaktion verstärken.
    • Die Leptospiren entkommen jedoch der Immunantwort, indem sie Komplementfaktoren binden und die Phagozytose (Aufnahme der Bakterien durch Abwehrzellen) hemmen.
  • Systemische Immunantwort:
    • Die adaptive Immunantwort wird durch die Aktivierung von T-Lymphozyten und die Bildung von spezifischen Antikörpern (IgM und später IgG) gegen die Leptospiren verstärkt.
    • Diese Immunantwort kann die Bakterien im Blut kontrollieren, jedoch persistieren die Erreger in den Nieren und anderen Organen, was zu chronischen Infektionen führt.
  • Anpassungsmechanismen des Erregers:
    • Leptospiren besitzen spezielle Oberflächenproteine, die ihnen ermöglichen, an die Endothelzellen zu binden und in die Zellen einzudringen.
    • Sie sind außerdem in der Lage, das Komplementsystem zu hemmen und die Freisetzung von reaktiven Sauerstoffspezies in den Phagosomen zu unterdrücken.

Organaffinität und Gewebeschäden

  • Bevorzugte Zielorgane:
    • Leptospira icterohaemorrhagica befällt primär die Leber, die Nieren und die Lunge.
  • Resultierende Gewebeschäden:
    • Die intensive Entzündung führt zu Nekrosen in der Leber und Nieren, was zur akuten Leber- und Niereninsuffizienz (gestörte Leber - und Nierenfunktion) führt.
    • In der Lunge kann es zu hämorrhagischen Infiltraten kommen, die das Lungengewebe schädigen und die Sauerstoffaufnahme beeinträchtigen.

Klinische Manifestation

  • Symptomatologie:
    • Die Leptospirose verläuft in zwei Phasen:
      1. Frühphase: Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen, Konjunktivitis (Bindehautentzündung).
      2. Spätphase: Ikterus (Gelbsucht), Nierenversagen, Blutungen, aseptische Meningitis.
  • Komplikationen:
    • Akutes Nierenversagen, hämorrhagische Pneumonitis (Lungenblutung), Herzrhythmusstörungen und in schweren Fällen septischer Schock.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Der Morbus Weil ist die schwere Form der Leptospirose, die durch Leptospira icterohaemorrhagica verursacht wird. Die Pathogenese ist gekennzeichnet durch eine direkte Schädigung der Endothelzellen, eine diffuse Gefäßentzündung und Organversagen. Eine frühzeitige Diagnose und antibiotische Therapie sind entscheidend, um die hohe Morbidität (Krankheitslast) und Mortalität (Sterblichkeit) zu senken.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Berufe – Kanalarbeiter, Tierpfleger oder Mitarbeiter von Klärwerken oder in landwirtschaftlichen Betrieben; des Weiteren Veterinäre, Landwirte und Fischer

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Hobbys – Wassersport und Camping

Krankheitsbedingte Ursachen

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Infektion mit dem Bakterium
    • direkt durch Kontakt mit infizierten Tieren
    • indirekt durch Kontakt zu infiziertem Wasser etc.

Beachte: In Deutschland kommt es zu den meisten Infektionen durch den Kontakt mit Abwässern oder Schlämmen, die mit dem Urin von infizierten Nagern kontaminiert sind. Auch Pferde und Hunde kommen als Überträger infrage [1].

Literatur

  1. Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts, 2015; doi: 10.17886/EpiBull-2015-012