Lepra – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Beschreibung des Erregers
- Erreger: Lepra wird durch das Mycobacterium leprae und seltener durch das verwandte Mycobacterium lepromatosis verursacht. Beide Erreger gehören zur Familie der Mycobacteriaceae und zeichnen sich durch ihre säurefeste Zellwand aus, die ihnen eine hohe Widerstandsfähigkeit verleiht.
- Genom: Mycobacterium leprae hat ein reduziertes Genom, das viele Gene verloren hat, die für das Überleben außerhalb des Wirts notwendig wären. Es vermehrt sich extrem langsam, mit einer Teilungszeit von etwa 12 bis 14 Tagen, was eine lange Inkubationszeit von 2 bis 10 Jahren zur Folge hat.
- Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz von Mycobacterium leprae beruht auf seiner Fähigkeit, Schwann-Zellen (Zellen, die die peripheren Nerven umhüllen) zu infizieren und eine chronische, langsam fortschreitende Entzündung auszulösen, die zu Nervenschäden und Hautveränderungen führt.
Epidemiologie und Übertragungsweg
- Verbreitung: Lepra tritt vor allem in tropischen und subtropischen Regionen auf, insbesondere in Indien, Brasilien, Indonesien und Teilen Afrikas. Etwa 200.000 neue Fälle werden weltweit jährlich gemeldet.
- Hauptübertragungsweg:
- Die Übertragung erfolgt vermutlich durch die Inhalation von Aerosolen (feinste Tröpfchen) aus den Nasensekreten oder durch direkten Kontakt mit infiziertem Nasen- oder Hautsekret.
- Weitere Übertragungswege:
- Eine Infektion kann auch über kleine Hautläsionen bei Kontakt mit offenen Wunden oder infiziertem Gewebe erfolgen.
- Reservoir: Das Hauptreservoir sind infizierte Menschen. Einige Tiere, insbesondere Gürteltierarten in Nord- und Südamerika, können ebenfalls als Reservoir für die Bakterien dienen.
- Infektiosität: Die Infektiosität ist gering. Nur etwa 5 % der Menschen, die mit dem Erreger in Kontakt kommen, entwickeln Symptome. Ein längerer enger Kontakt ist erforderlich, um eine Infektion auszulösen.
Eintrittspforte des Erregers
- Haupteintrittspforte: Der Erreger dringt über die Atemwege durch Inhalation von legionellenhaltigen Aerosolen oder durch kontaminierte Nasensekrete in den Körper ein. Alternativ kann Mycobacterium leprae über kleine Hautläsionen in den Körper gelangen.
- Nebeneintrittspforten: In seltenen Fällen kann die Infektion auch über Schleimhäute oder Augenkontakt mit kontaminiertem Material erfolgen.
Pathogenese des Erregers
- Eintritt und Bindung an Makrophagen und Schwann-Zellen:
- Nach Eintritt in den Körper bindet Mycobacterium leprae an Makrophagen (Fresszellen) und Schwann-Zellen (Stützzellen des peripheren Nervensystems) über spezifische Oberflächenrezeptoren wie das Laminin-2-Rezeptorprotein.
- Die Bindung ermöglicht das Eindringen in die Zellen, wo die Bakterien beginnen, sich langsam zu vermehren.
- Intrazelluläre Vermehrung und Ausbreitung:
- Die Bakterien verhindern die Fusion von Phagosomen mit Lysosomen, wodurch sie in den Makrophagen und Schwann-Zellen überleben und sich vermehren können.
- Die intrazelluläre Vermehrung führt zur Zerstörung der Zellen und zur Ausbreitung der Bakterien entlang der peripheren Nervenbahnen. Dies verursacht eine chronische Entzündung und eine allmähliche Zerstörung der Nervenfasern.
- Immunevasion und unterschiedliche Verlaufsformen:
- Die Art und Weise, wie das Immunsystem auf Mycobacterium leprae reagiert, bestimmt den Verlauf und die Schwere der Krankheit:
- Tuberkuloide Lepra: Eine starke Th1-Immunantwort (zelluläre Immunität) führt zur lokalen Begrenzung der Infektion. Die betroffenen Hautstellen sind durch wenige, gut abgegrenzte Hautläsionen mit Hypopigmentierung (verminderte Pigmentierung) und lokalem Sensibilitätsverlust gekennzeichnet.
- Lepromatöse Lepra: Eine geschwächte zelluläre Immunantwort (Th2-Antwort) ermöglicht die weitere Ausbreitung der Bakterien in die Haut, Schleimhäute und peripheren Nerven. Es kommt zur Bildung zahlreicher Knötchen (Lepromatome) und Nervenläsionen, was zu schweren Entstellungen führt.
- Die Art und Weise, wie das Immunsystem auf Mycobacterium leprae reagiert, bestimmt den Verlauf und die Schwere der Krankheit:
- Lokale und systemische Entzündungsreaktionen:
- Die Immunantwort führt zur Bildung von Granulomen (entzündlichen Knoten) in der Haut und den Nerven, was zur Zerstörung des Gewebes und zu Nervenentzündungen führt.
- Die chronische Entzündung verursacht eine Degeneration der Nerven und führt zu Sensibilitätsverlust, Muskelschwäche und letztlich zu Lähmungen.
- Fortschreitende Nervenschäden und sekundäre Komplikationen:
- Die Zerstörung der peripheren Nervenfasern führt zu motorischen und sensorischen Defiziten, insbesondere in den Händen, Füßen und im Gesicht.
- Aufgrund des Verlusts der Schmerzwahrnehmung kommt es häufig zu sekundären Verletzungen und Infektionen, die zu Geschwüren und in schweren Fällen zur Selbstverstümmelung führen.
Wirtsreaktion
- Lokale Immunantwort:
- Die Aktivierung der angeborenen Immunantwort erfolgt durch die Erkennung der Bakterienwandbestandteile über Toll-like-Rezeptoren (TLR2 und TLR4) auf den Makrophagen. Dies führt zur Freisetzung von Zytokinen wie TNF-α und IL-12, die die Entzündungsreaktion verstärken.
- Die Bakterien entkommen jedoch der Immunabwehr durch die Hemmung der Phagosomen-Lysosomen-Fusion und durch Neutralisation der toxischen Sauerstoffspezies in den Makrophagen.
- Systemische Immunantwort:
- Die adaptive Immunantwort variiert stark je nach Verlaufsform:
- Tuberkuloide Lepra: Eine starke Th1-Antwort führt zur Bildung von Granulomen und zur lokalen Begrenzung der Bakterien.
- Lepromatöse Lepra: Eine überwiegende Th2-Antwort (humorale Immunität) fördert die systemische Ausbreitung und führt zu einer schwachen Immunabwehr.
- Die adaptive Immunantwort variiert stark je nach Verlaufsform:
- Anpassungsmechanismen des Erregers:
- Mycobacterium leprae besitzt eine spezielle Zellwand, die es ihm ermöglicht, in den Nervenzellen und Makrophagen zu überleben.
- Die Bakterien produzieren Proteine, die die Immunantwort modulieren und die Phagosomenreifung hemmen.
Organaffinität und Gewebeschäden
- Bevorzugte Zielorgane:
- Mycobacterium leprae befällt primär die peripheren Nerven, die Haut, die Schleimhäute und in schweren Fällen die Augen und oberen Atemwege.
- Resultierende Gewebeschäden:
- Die chronische Entzündung führt zu Nervenzerstörung, Gewebeverlust und Entstellungen, besonders im Gesicht, an den Händen und Füßen.
Klinische Manifestation
- Symptomatologie:
- Tuberkuloide Lepra: Hypopigmentierte Hautläsionen mit Sensibilitätsverlust, lokalisierten Nervenschäden und in einigen Fällen Muskelschwäche.
- Lepromatöse Lepra: Knötchenbildung, Hautverdickungen, Entstellungen im Gesicht und an den Gliedmaßen, Schädigung der Schleimhäute und systemische Nervenschäden.
- Komplikationen:
- Sekundäre bakterielle Infektionen, Verstümmelungen und Erblindung.
- Nierenversagen und Atemwegsinfektionen bei schwerer systemischer Beteiligung.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Lepra ist eine chronische Infektionskrankheit, die durch Mycobacterium leprae verursacht wird. Die Pathogenese ist durch eine chronische Nervenentzündung und Gewebeschäden gekennzeichnet. Der Krankheitsverlauf wird stark von der zellulären Immunantwort beeinflusst, was zu unterschiedlichen Krankheitsformen führt. Eine frühzeitige Diagnose und antimikrobielle Therapie sind entscheidend, um die Schädigung der Nerven zu verhindern und die Krankheit zu kontrollieren.
Ätiologie (Ursachen)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Längerer intensiver Kontakt zu an Lepra erkrankten Personen