Herpes labialis – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Beschreibung des Erregers

  • Erreger: Herpes labialis wird hauptsächlich durch das Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) verursacht. In selteneren Fällen kann auch das Herpes-simplex-Virus Typ 2 (HSV-2), das üblicherweise mit Herpes genitalis assoziiert ist, eine Infektion im Lippenbereich auslösen. Beide Viren gehören zur Familie der Herpesviridae.
  • Genom: Herpesviren besitzen ein doppelsträngiges DNA-Genom (genetisches Material in Form von doppelsträngiger DNA) und sind von einer Lipidmembran umgeben, die verschiedene Glykoproteine enthält, die für die Bindung an Wirtszellen und die Verbreitung im Körper verantwortlich sind.
  • Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz basiert auf der Fähigkeit der Herpes-simplex-Viren, nach der Erstinfektion lebenslang im Körper zu persistieren und durch Reaktivierungen rezidivierende Infektionen (wiederkehrende Infektionen) auszulösen. Sie sind in der Lage, sich in den Ganglien des Nervensystems zurückzuziehen und so der Immunerkennung zu entgehen.

Epidemiologie und Übertragungsweg

  • Verbreitung: Herpes-simplex-Viren sind weltweit verbreitet. Bis zu 90 % der Erwachsenen haben Antikörper gegen HSV-1, was auf eine frühzeitige Exposition hinweist. Die Infektion tritt häufig schon im Kindesalter auf.
  • Hauptübertragungsweg:
    • Die Übertragung erfolgt hauptsächlich durch direkten Kontakt mit Speichel, Bläscheninhalt oder Schleimhautsekreten einer infizierten Person. Dies geschieht meist durch Küssen oder gemeinsame Nutzung von Essutensilien.
  • Weitere Übertragungswege:
    • HSV-1 kann auch durch Schmierinfektion übertragen werden, wenn virushaltige Sekrete in offene Hautläsionen oder Schleimhäute gelangen.
    • Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist bei aktiven Herpesläsionen besonders hoch.
  • Reservoir: Der Mensch ist das einzige Reservoir für Herpes-simplex-Viren. Nach einer Primärinfektion persistiert das Virus lebenslang im Körper.
  • Infektiosität: Die Infektiosität ist während der Vesikelphase (Bläschenphase) am höchsten, da das Bläschensekret große Mengen an Viruspartikeln enthält.

Eintrittspforte des Erregers

  • Haupteintrittspforte: Die Viren gelangen über Mikroverletzungen der Lippenhaut, der Schleimhäute im Nasen-Rachen-Bereich oder durch den direkten Kontakt mit der Augen- und Genitalschleimhaut in den Körper.
  • Nebeneintrittspforten: In seltenen Fällen kann HSV-1 durch kontaminierte Gegenstände (z. B. Zahnbürsten oder Handtücher) übertragen werden.

Pathogenese des Erregers

  • Erstinfektion:
    • Die Erstinfektion erfolgt häufig asymptomatisch (ohne erkennbare Symptome) oder verursacht leichte Beschwerden wie Gingivostomatitis (Entzündung von Zahnfleisch und Mundschleimhaut) oder Pharyngitis (Rachenentzündung).
    • Die Viren gelangen über die Schleimhäute oder die Haut in die lokalen Epithelzellen (Zellen der äußeren Gewebeschicht), wo sie sich intensiv vermehren.
  • Virusvermehrung in den Epithelzellen:
    • Die akute Virusreplikation (Vermehrung des Virus) findet hauptsächlich in den Epithelzellen der Nasen-Rachen-Schleimhaut, der Lippen und in einigen Fällen auch in den Augen und im Anogenitaltrakt statt.
    • Durch die intensive Vermehrung kommt es zur Zelllyse (Zerstörung der infizierten Zellen) und zur Freisetzung neuer Viren, was die charakteristischen Bläschen und Läsionen an den betroffenen Stellen verursacht.
  • Retrograder Transport ins Nervensystem:
    • Nach der Erstinfektion wandern die Viruspartikel entlang der sensorischen Nervenfasern zu den sensorischen Ganglien (Ansammlungen von Nervenzellen) des Trigeminusnervs (Hirnnerv, der das Gesicht versorgt) oder bei HSV-2 in die Sakralganglien (Nervenwurzeln des Kreuzbeins).
    • Dort bleiben die Viren in einem laten­ten Zustand (ruhender Zustand) und verursachen keine weiteren Symptome.
  • Latenzphase in den Ganglien:
    • Während der Latenzphase liegt das virale Erbgut als episomale DNA (ringförmiges DNA-Molekül) im Zellkern der Nervenzellen vor.
    • In diesem Zustand sind keine aktiven Viruspartikel nachweisbar, und das Immunsystem erkennt das Virus nicht.
  • Reaktivierung und Rezidiv:
    • Unter bestimmten Bedingungen wie Stress, UV-Strahlung, Fieber oder Immunschwäche kann das Virus aus seiner latenten Phase reaktiviert werden.
    • Es wandert entlang der Nervenfasern zurück zu den Epithelzellen der Haut und Schleimhäute, wo es sich erneut vermehrt und die klassischen Herpesläsionen auslöst.
    • Typischerweise befällt das Virus dieselben Hautareale, die bereits bei der Erstinfektion betroffen waren.

Wirtsreaktion

  • Lokale Immunantwort:
    • Die Virusvermehrung in den Epithelzellen aktiviert die angeborene Immunantwort (erste Abwehrreaktion) durch die Freisetzung von Zytokinen und die Rekrutierung von Neutrophilen (Form der weißen Blutkörperchen) und Makrophagen (Abwehrzellen), was zu einer lokalen Entzündungsreaktion führt.
    • Diese Entzündungsreaktion äußert sich als Rötung, Schwellung und Schmerzen in den betroffenen Bereichen.
  • Systemische Immunantwort:
    • Die adaptive Immunantwort (spezifische Abwehr) wird durch die Aktivierung von T-Lymphozyten und die Produktion von Antikörpern (IgM und IgG) verstärkt, die das Virus begrenzen und die Ausbreitung hemmen.
    • Trotz der Immunantwort können die Viren im Nervensystem verbleiben und erneut reaktiviert werden.
  • Anpassungsmechanismen des Erregers:
    • Herpesviren können durch die Induktion latenter Phasen (ruhende Stadien) der Immunerkennung entgehen.
    • Sie besitzen zudem die Fähigkeit, die Interferon-Signalwege zu hemmen, wodurch die Immunantwort unterdrückt wird.

Organaffinität und Gewebeschäden

  • Bevorzugte Zielorgane:
    • HSV-1 bevorzugt das Trigeminusganglion (Nervenknoten im Gesicht), während HSV-2 eher das Sakralganglion (Nervenknoten im unteren Rücken) befällt.
  • Resultierende Gewebeschäden:
    • Die intensive Virusvermehrung führt zur Zerstörung der Epithelzellen und zur Bildung der typischen Bläschen, die nach dem Platzen schmerzhafte ulzerative Defekte (Geschwüre) hinterlassen.

Klinische Manifestation

  • Symptomatologie:
    • Der klassische Verlauf eines Herpes labialis beginnt oft mit Brennen, Schmerzen und Kribbeln in der betroffenen Region.
    • Dies wird gefolgt von Rötung, Papeln, Bläschenbildung, Ulzerationen (Geschwürbildung) und schließlich Verkrustung.
    • Typische Symptome sind Juckreiz, Schwellung und Schmerzen im Bereich der Lippen oder der angrenzenden Haut.
  • Komplikationen:
    • In seltenen Fällen kann HSV eine Herpes-simplex-Enzephalitis (Gehirnentzündung) oder Herpes-Pharyngitis (Rachenentzündung) verursachen.
    • Bei immunsupprimierten Patienten kann es zu schweren, disseminierten Infektionen kommen.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

Herpes labialis ist eine rezidivierende Infektion (wiederkehrende Infektion), die meistens durch HSV-1 verursacht wird. Die Pathogenese ist durch eine latente Phase im Nervensystem und eine Reaktivierung unter bestimmten Triggerfaktoren gekennzeichnet. Die typischen Bläschen und Läsionen sind stark infektiös. Eine frühzeitige antivirale Therapie kann die Krankheitsdauer verkürzen und die Schwere der Symptome mindern.

Folgende Faktoren können den Herpes labialis triggern:

Ätiologie (Ursachen)

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Emotionaler Stress, psychische Belastungen

Krankheitsbedingte Ursachen

Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Immunschwäche, nicht näher bezeichnet

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Fiebrige Infektionserkrankungen

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)

  • Schwangerschaft

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Verletzungen, nicht näher bezeichnet

Weitere Ursachen

  • Prämenstruell und menstruell (vor/während der Menstruation)
  • Herpes solaris durch Sonneneinstrahlung