Hepatitis B – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Beschreibung des Erregers
- Erreger: Das Hepatitis-B-Virus (HBV) gehört zur Familie der Hepadnaviridae. Es ist ein teilweise doppelsträngiges, umhülltes DNA-Virus.
- Genom: Das Virusgenom besteht aus einer zirkulären, teilweise doppelsträngigen DNA. Es hat eine komplexe Replikationsstrategie, die über eine RNA-Vorstufe verläuft (RT-abhängige Replikation), ähnlich wie bei Retroviren.
- Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz des HBV wird durch seine hohe Replikationskapazität und die Fähigkeit zur Integration in das Wirtsgenom bestimmt. Die Immunantwort des Wirtes ist maßgeblich für die Schwere der Leberentzündung verantwortlich. In chronischen Fällen kann das Virus eine langfristige Entzündung und schwere Leberschäden verursachen.
Epidemiologie und Übertragungsweg
- Verbreitung: Hepatitis B ist weltweit verbreitet, mit hoher Prävalenz in Afrika, Asien und Teilen Südamerikas. Es wird geschätzt, dass etwa 240 Millionen Menschen chronisch mit HBV infiziert sind.
- Hauptübertragungsweg: Die Übertragung erfolgt parenteral (Umgehung des Verdauungstrakts), vor allem durch Kontakt mit infiziertem Blut oder Blutprodukten (z. B. durch Nadelstichverletzungen, unsichere Bluttransfusionen, kontaminierte Nadeln).
- Weitere Übertragungswege: Sexuelle Übertragung und perinatale Übertragung (von der Mutter auf das Kind während der Geburt) sind häufig. Eine Übertragung durch Speichel ist möglich, jedoch seltener.
- Infektiosität (Ansteckungsfähigkeit): Das Hepatitis-B-Virus ist hochinfektiös. Schon kleinste Mengen infektiösen Blutes reichen aus, um eine Infektion zu übertragen.
Eintrittspforte des Erregers
- Haupteintrittspforte: Der Eintritt erfolgt in der Regel über Haut- und Schleimhautverletzungen (z. B. Nadelstichverletzungen, kleine Risse bei sexuellen Kontakten) oder durch die direkte Injektion in den Blutkreislauf.
- Nebeneintrittspforten: Übertragung kann auch über kontaminierte Gegenstände (z. B. Rasierer, Zahnbürsten) erfolgen, wenn diese mit infiziertem Blut in Kontakt kommen.
Pathogenese des Erregers
- Initiale Vermehrung und Ansiedlung:
- Nach dem Eindringen in den Blutkreislauf wird das Virus von den Hepatozyten (Leberzellen) aufgenommen.
- In der Leber vermehrt sich das Virus innerhalb der Hepatozyten, indem die virale DNA in den Zellkern gelangt und dort als kovalent geschlossenes zirkuläres DNA-Molekül (cccDNA) stabil verbleibt.
- Die cccDNA dient als Vorlage für die Synthese viraler RNA, welche für die Produktion neuer Viruspartikel notwendig ist.
- Virale Replikation:
- Das Hepatitis-B-Virus besitzt eine besondere Replikationsstrategie: Die virale DNA wird über eine RNA-Zwischenstufe repliziert, und die Reverse Transkriptase (RT) des Virus wandelt die RNA zurück in DNA um.
- Die neuen Viruspartikel werden in den Hepatozyten gebildet und anschließend in den Blutkreislauf freigesetzt.
- Wirtsreaktion:
- Die Immunantwort des Wirtes (insbesondere zytotoxische T-Zellen) führt zur Zerstörung infizierter Hepatozyten und zur Entstehung einer entzündlichen Reaktion in der Leber (Hepatitis).
- In akuten Fällen kann eine effektive Immunantwort das Virus eliminieren, was zur Ausheilung der Infektion führt.
- In chronischen Fällen bleibt das Virus als cccDNA im Zellkern der Hepatozyten erhalten und verursacht eine persistierende Entzündung.
- Anpassungsmechanismen des Erregers:
- Das Virus integriert sich in das Wirtsgenom und kann in infizierten Zellen über lange Zeit persistieren.
- Das Virus kann durch verschiedene Mutationen (z. B. Prä-Core-Mutationen) der Immunantwort des Wirtes entgehen und so die Kontrolle durch das Immunsystem umgehen.
- Dadurch kann es zu einer langfristigen Virusvermehrung und chronischer Entzündung kommen.
Organaffinität und Gewebeschäden
Bevorzugte Zielorgane: Die Leber ist das Hauptzielorgan. Hepatozyten dienen als primärer Ort der Virusvermehrung.
Resultierende Gewebeschäden:
- Die Leberentzündung (Hepatitis) entsteht hauptsächlich durch die Immunantwort gegen infizierte Hepatozyten.
- Es kommt zu einer Nekrose (Absterben) und Apoptose (programmierter Zelltod) der Leberzellen, was zu einer Schädigung des Lebergewebes und zur Freisetzung von Leberenzymen führt.
- Eine chronische Entzündung kann zur Bildung von Fibrosen (Bindegewebsvermehrung), Zirrhose (Vernarbung der Leber) und langfristig zu hepatozellulärem Karzinom (Leberkrebs) führen.
Klinische Manifestation
Symptomatologie:
- Akute Hepatitis B:
- Symptome treten meist 1-4 Monate nach der Infektion auf und umfassen Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit und Gelbsucht (Ikterus).
- Die meisten Infektionen verlaufen jedoch asymptomatisch, insbesondere bei Kindern.
- Chronische Hepatitis B:
- Viele chronisch infizierte Patienten haben über Jahre hinweg keine Symptome, aber die Entzündung kann zu einer schleichenden Zerstörung des Lebergewebes führen.
- In späteren Stadien treten Symptome einer Leberzirrhose auf (Aszites, Blutungsneigung, Enzephalopathie).
Komplikationen:
- Akutes Leberversagen bei schwerem Verlauf der akuten Hepatitis.
- Chronische Hepatitis führt in 20–30 % der Fälle zur Leberzirrhose.
- Risiko der Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms (Leberkrebs) bei chronischer Infektion.
Verläufe und Schweregrade:
- Akute Hepatitis B heilt bei den meisten Erwachsenen vollständig aus, während Kinder und immungeschwächte Personen ein höheres Risiko für die Entwicklung einer chronischen Hepatitis haben.
- Chronische Hepatitis verläuft in den meisten Fällen über Jahrzehnte und führt ohne Behandlung zu schweren Leberschäden.
Prognosefaktoren
- Wirtsfaktoren:
- Alter: Das Risiko einer chronischen Infektion ist bei Neugeborenen und Kindern unter 5 Jahren besonders hoch.
- Immunkompetenz: Immunsupprimierte Personen haben ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Verläufe und chronische Infektionen.
- Erregerfaktoren:
- Mutationen im HBV-Genom können die Immunantwort beeinflussen und die Entwicklung einer chronischen Hepatitis begünstigen.
- Hohe Viruslast (Anzahl der Viruspartikel im Blut) ist ein wichtiger Prädiktor für die Entwicklung schwerer Leberschäden.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Hepatitis B ist eine weltweit verbreitete, durch das Hepatitis-B-Virus verursachte Lebererkrankung, die zu akuten und chronischen Infektionen führen kann. Die Pathogenese wird durch die Immunreaktion des Wirts gegen infizierte Hepatozyten bestimmt. In vielen Fällen verläuft die akute Hepatitis B asymptomatisch und heilt aus. Bei chronischen Infektionen kann es jedoch zu einer fortschreitenden Zerstörung der Leber und einem erhöhten Risiko für Leberzirrhose und Leberkrebs kommen. Eine rechtzeitige Impfung und präventive Maßnahmen sind entscheidend, um die Verbreitung der Krankheit einzudämmen und schwere Komplikationen zu vermeiden.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung
- Genetische Erkrankungen
- Trisomie 21 (Down-Syndrom) – spezielle Genommutation beim Menschen, bei der das gesamte 21. Chromosom oder Teile davon dreifach (Trisomie) vorliegen. Neben für dieses Syndrom als typisch geltenden körperlichen Merkmalen sind in der Regel die kognitiven Fähigkeiten des betroffenen Menschen beeinträchtigt; des Weiteren liegt ein erhöhtes Risiko für eine Leukämie vor.
- Genetische Erkrankungen
- Berufe – Beschäftigte im medizinische Bereich und im Rettungsdienst
- Sozioökonomische Faktoren – niedriger sozioökonomischer Status
- Geographische Faktoren – Hochprävalenzländern (Ferner Osten, tropische Länder)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Genussmittelkonsum
- Alkohol (Frau: > 40 g/Tag; Mann: > 60 g/Tag)
- Drogenkonsum (intravenös, d. h. durch die Vene)
- Gemeinsamer Gebrauch von Alltagsgegenständen wie Nagelschere oder Rasierapparat
- Ohrloch stechen
- Piercings
- Tätowierungen
- Sexuelle Übertragung
- Promiskuität (sexuelle Kontakte mit relativ häufig wechselnden verschiedenen Partnern oder mit parallel mehreren Partnern)
- Prostitution
- Männer, die Sex mit Männern haben (engl. men who have sex with men (MSM))
- Sexuelle Kontakte im Urlaubsland
- Ungeschützter Koitus (Geschlechtsverkehr)
Krankheitsbedingte Ursachen
- Alkoholabhängigkeit
- Dialysepatienten – Personen, die wegen einer Nierenerkrankung eine Dialyse (Blutwäsche) als Nierenersatztherapie durchführen müssen
- Hepatitis C (Leberentzündung)
- HIV-Infektion
- Hodgkin-Lymphom – bösartige Erkrankung des Lymphsystems
- Lepra – chronische tropische Infektionskrankheit
- Leukämie (Blutkrebs)
- Polyarteriitis nodosa (PAN) – Autoimmunerkrankung, die zu einer Vaskulitis (Blutgefäßentzündung) mit Einengung des Gefäßlumens führt
- Tuberkulose (Schwindsucht) – Infektionserkrankung, die vor allem die Lunge betrifft
Medikamente
- Blutprodukte
Weitere Ursachen
- Horizontale Infektion (nicht-sexuell) – Erregerübertragung von Wirt zu Wirt der gleichen Generation:
- Beschäftigte im Gesundheitswesen
- Bewohner und Angestellte von Betreuungseinrichtungen
- Häftlinge
- Vertikale Infektion – Erregerübertragung von einem Wirt (hier. die Mutter) zu seinen Nachkommen (hier: das Kind):
- Übertragung der Infektion während der Geburt von der Mutter auf das Kind (perinatal) [Risiko der Übertragung: 90 %]
- Übertragung durch Muttermilch (postnatale Infektion)
- Iatrogene Übertragung