HIV – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Beschreibung des Erregers

  • Erreger: Das Humane Immundefizienz-Virus (HI-Virus oder HIV) gehört zur Familie der Retroviridae und ist ein RNA-Virus, das das Immunsystem angreift.
  • Genom: Das Virusgenom besteht aus einer einzelsträngigen RNA, die durch das virale Enzym Reverse Transkriptase in eine doppelsträngige DNA umgeschrieben wird. Diese DNA wird anschließend in das Genom der Wirtszelle integriert.
  • Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz von HIV beruht auf der Fähigkeit, gezielt CD4-positive Zellen, insbesondere T-Helferzellen, zu infizieren. Das Virus nutzt den CD4-Rezeptor und zusätzliche Korezeptoren wie CCR5 oder CXCR4, um in die Zellen einzudringen. Dies führt langfristig zur Zerstörung der T-Helferzellen und zu einer schweren Immunschwäche (Immundefizienz).

Epidemiologie und Übertragungsweg

  • Verbreitung: HIV ist weltweit verbreitet, wobei die höchsten Prävalenzen in Subsahara-Afrika auftreten. Auch in anderen Regionen wie Südostasien und Osteuropa nimmt die Verbreitung zu.
  • Hauptübertragungsweg: Die Übertragung erfolgt vorwiegend durch ungeschützten Geschlechtsverkehr (vaginal, anal, oral), bei dem infektiöse Körperflüssigkeiten (Blut, Sperma, Vaginalsekrete) auf Schleimhäute gelangen.
  • Weitere Übertragungswege:
    • Perinatale Übertragung: Von der infizierten Mutter auf das Kind während der Geburt oder über die Muttermilch.
    • Blutprodukte: Übertragung durch kontaminierte Blutprodukte, Nadeln (bei intravenösem Drogengebrauch) oder nicht-steriles medizinisches Equipment.
  • Infektiosität (Ansteckungsfähigkeit): HIV ist hochinfektiös bei direktem Kontakt mit Blut oder anderen infektiösen Körperflüssigkeiten. Im Vergleich zu anderen Viren ist die Ansteckungsgefahr bei intakter Haut jedoch gering.

Eintrittspforte des Erregers

  • Haupteintrittspforte: Schleimhäute des Genitaltrakts, Anorektalbereichs und der Mundhöhle sind die primären Eintrittspforten, durch die das Virus in den Körper gelangt.
  • Nebeneintrittspforten: Direkte Blutkontakte über offene Wunden oder kontaminierte Nadeln.

Pathogenese des Erregers

  • Initiale Vermehrung und Ansiedlung:
    • Nach Eintritt in den Körper infiziert HIV zunächst die dendritischen Zellen und Makrophagen der Eintrittspforte.
    • Die infizierten Zellen transportieren das Virus zu den regionalen Lymphknoten, wo es auf die CD4-positiven T-Helferzellen trifft.
    • In diesen Zellen vermehrt sich das Virus stark und führt zur ersten Virusfreisetzung (Primärvirämie).
  • Systemische Ausbreitung:
    • HIV verbreitet sich im Blut (erste Virämie) und erreicht andere Lymphknoten sowie Milz und Thymus.
    • Die CD4-positiven T-Zellen in diesen Organen werden nach und nach infiziert und zerstört.
  • Integration und Latenz:
    • HIV-DNA wird mithilfe der viralen Integrase in das Genom der Wirtszelle integriert.
    • Es kann eine Latenzphase (Ruhephase) auftreten, während der die infizierte Zelle kein neues Virus produziert, aber das Virusgenom weiterhin in der Zelle verbleibt.
  • Zerstörung des Immunsystems:
    • Die Virusvermehrung in den CD4-positiven Zellen führt zur direkten Zerstörung der infizierten T-Helferzellen.
    • Langfristig kommt es zu einem erheblichen Rückgang der T-Helferzellzahl im Blut, was zur Immunschwäche (Immundefizienz) führt.

Wirtsreaktion

  • Lokale Immunantwort:
    • Die Infektion der Schleimhautzellen löst eine lokale Entzündungsreaktion aus, die zunächst versucht, das Virus einzudämmen.
    • Dendritische Zellen und Makrophagen präsentieren Virusantigene, um eine T-Zell-Antwort zu aktivieren.
  • Systemische Immunantwort:
    • Es kommt zu einer Aktivierung der zellulären Immunantwort durch CD8-positive zytotoxische T-Zellen, die infizierte Zellen zerstören.
    • Gleichzeitig werden Antikörper gegen verschiedene Virusbestandteile gebildet (humorale Immunantwort).
  • Anpassungsmechanismen des Erregers:
    • HIV kann durch seine hohe Mutationsrate der Immunüberwachung entgehen und Resistenzmechanismen gegen antivirale Medikamente entwickeln.
    • Zudem kann das Virus Immunzellen wie Makrophagen und dendritische Zellen nutzen, um unentdeckt im Körper zu verbleiben und sich weiterzuverbreiten.

Organaffinität und Gewebeschäden

  • Bevorzugte Zielorgane: HIV befällt bevorzugt Organe und Gewebe, die reich an CD4-positiven Zellen sind, wie Lymphknoten, Milz, Thymus und das zentrale Nervensystem (ZNS).
  • Resultierende Gewebeschäden:
    • Zerstörung der T-Helferzellen führt zu einer Dysregulation des gesamten Immunsystems.
    • Das Virus kann auch andere Organe wie das Gehirn (HIV-assoziierte Enzephalopathie) und das Knochenmark (Verminderung der Blutbildung) befallen.
    • Die progressive Zerstörung des Immunsystems führt zur Entwicklung von opportunistischen Infektionen und malignen Erkrankungen (z. B. Kaposi-Sarkom).

Klinische Manifestation

  • Symptomatologie:
    • Akute HIV-Infektion (Akute retrovirale Syndrom):
      • Fieber, Lymphknotenschwellungen, Halsentzündungen, Hautausschlag, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen.
      • Symptome treten in den ersten Wochen nach Infektion auf und werden oft als grippeähnlich fehlgedeutet.
    • Asymptomatische Phase:
      • Nach der akuten Phase folgt eine jahrelange asymptomatische Phase, in der das Virus weiterhin die CD4-Zellen zerstört.
      • Das klinische Bild ist durch milde unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Gewichtsverlust und Nachtschweiß gekennzeichnet.
    • Symptomatische HIV-Infektion:
      • Mit fortschreitendem Verlust der T-Helferzellen treten opportunistische Infektionen wie Candidiasis (Pilzinfektion), Herpes simplex und Tuberkulose auf.
    • AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome):
      • Bei einer T-Helferzellzahl unter 200/µl treten AIDS-definierende Erkrankungen wie Pneumocystis-Pneumonie, Toxoplasmose und aggressive maligne Erkrankungen auf.
      • Typische Symptome sind Fieber, starke Gewichtsabnahme (Wasting-Syndrom), chronische Diarrhö und neurologische Symptome.
  • Komplikationen:
    • Opportunistische Infektionen und Tumoren aufgrund der Immunsuppression.
    • HIV-assoziierte neurokognitive Störungen (HAND) und HIV-assoziierte Enzephalopathie.
    • Multiorganschäden und erhöhte Sterblichkeit.
  • Verläufe und Schweregrade:
    • Der Krankheitsverlauf variiert je nach Wirtsfaktoren (Alter, genetische Disposition, Ko-Infektionen) und Erregerfaktoren (Virulenz und Genotyp).

Prognosefaktoren

  • Wirtsfaktoren: Alter, genetische Polymorphismen (z. B. CCR5-Mutationen) und Immunkompetenz beeinflussen den Krankheitsverlauf.
  • Erregerfaktoren: Mutationen im Virusgenom (z. B. Resistenz gegen antivirale Medikamente) sowie die Virulenz verschiedener HIV-Subtypen beeinflussen den Verlauf.

Zusammenfassung und klinische Relevanz

HIV ist ein chronisch verlaufendes Virus, das primär das Immunsystem befällt und langfristig zur Immunschwäche führt. Die Erkrankung verläuft in verschiedenen Stadien, beginnend mit einer akuten Phase, gefolgt von einer langen Latenzperiode, bis hin zur Entwicklung von AIDS. Die frühzeitige Diagnose und Therapie mit antiretroviralen Medikamenten sind entscheidend, um die Viruslast zu kontrollieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhalten.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Männer, die Sex mit Männern haben (engl. men who have sex with men (MSM))

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Drogenkonsum
    • intravenös, d. h. durch die Vene
    • Sexualverkehr unter dem Einfluss von synthetischen Drogen (Chemsex: GHB (Gamma-Butyrolacton)/GBL (Gamma-Butyrolacton), Ketamin, Crystal Meth oder Mephedron)
  • Needle-Sharing – gemeinsames Benutzen von Nadeln und anderem Injektionsbesteck bei Drogenabhängigen
  • Ungeschützter Geschlechtsverkehrungeschützter Analverkehr/Analsex ist die risikoreichste Praktik für beide Personen (rezeptiv 0,82 % pro Kontakt, insertiv 0,07 % pro Kontakt); ungeschützter Vaginalverkehr gilt als zweitrisikoreichster Ansteckungsweg

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Infektion mit dem Fadenwurm Wuchereria bancrofti (2,17-fach) [1]
  • Immungeschwächte Personen
  • Patienten mit einer sexuell übertragbaren Krankheit (STI – sexually transmitted infection), wie beispielsweise Gonorrhoe (Tripper) oder Syphilis (Lues), haben ein um das zwei- bis zehnfach höhere Risiko für eine HIV-Übertragung durch eine HIV-positive Person (wg. STI-bedingter Läsionen bzw. Ulzera/Geschwüre); ebenso ist ein HIV-positiver Patient mit einer STI kontagiöser (ansteckender)
  • Vaginalflora (Scheidenflora) mit einem Mangel an Lactobacillus-Bakterien (4-fach erhöhtes Risiko bei jungen Frauen aus einer Hochendemieregion in Südafrika) [2]

Weitere Ursachen

  • Blutprodukte
  • Horizontale Übertragung – von der Mutter auf das Kind bei der Geburt
  • Nadelstichverletzung – vor allem bei Beschäftigten im Gesundheitswesen: Das Infektionsrisiko bei einer Nadelstichverletzung mit viruspositivem Blut beträgt bis zu 0,3 %.
  • Organtransplantate

Literatur

  1. Kroidl I et al.: Effect of Wuchereria bancrofti infection on HIV incidence in southwest Tanzania: a prospective cohort study doi: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(16)31252-1
  2. Gosmann C et al.: Lactobacillus-Deficient Cervicovaginal Bacterial Communities Are Associated with Increased HIV Acquisition in Young South African Women. Immunity 2017; 46, 1–9 January 17, 2017 ª 2017 Elsevier Inc. http://dx.doi.org/10.1016/j.immuni.2016.12.013