Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Beschreibung des Erregers
  • Erreger: Das FSME-Virus (Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus) gehört zur Familie der Flaviviridae und ist ein RNA-Virus.
  • Genom: Es besitzt eine einzelsträngige RNA mit positivem Polarityp.
  • Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz (Infektionskraft) wird durch die Fähigkeit des Virus vermittelt, das zentrale Nervensystem (ZNS) zu infizieren und entzündliche Reaktionen hervorzurufen.
Epidemiologie und Übertragungsweg
  • Verbreitung: Die FSME tritt vor allem in Europa und Asien auf und ist insbesondere in Wald- und Wiesenregionen weit verbreitet. In Deutschland sind besonders die südlichen Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg betroffen.
  • Hauptübertragungsweg: Übertragung erfolgt meist durch den Stich der Zeckenart Ixodes ricinus (Holzbock).
  • Weitere Übertragungswege: In seltenen Fällen kann die Infektion auch durch den Verzehr von Rohmilchprodukten infizierter Ziegen, Schafe oder Kühe erfolgen.
  • Virusreservoir: Hauptreservoir sind Kleinsäuger wie Mäuse, Ratten und andere Nagetiere, die das Virus über den Zeckenstich in ihrem Kreislauf tragen.
  • Infektiosität: Die Infektiosität des Virus ist hoch, da bereits geringe Virusmengen beim Zeckenstich übertragen werden können.
Eintrittspforte des Erregers
  • Haupteintrittspforte: Die FSME-Viren gelangen durch den Stich von infizierten Zecken in die Haut des Wirtes.
  • Nebeneintrittspforte: Eine Übertragung über die Schleimhäute (z. B. durch Milchprodukte) ist selten, aber möglich.
Pathogenese des Erregers
  • Initiale Vermehrung und Ansiedlung:
    • Nach dem Stich der Zecke dringen die FSME-Viren in die Langerhans-Zellen (spezielle Immunzellen in der Haut) ein.
    • In diesen Zellen vermehren sich die Viren lokal und nutzen diese als Transportmittel zu den benachbarten Lymphknoten.
  • Erste Virämie (erste Phase der Virusverbreitung im Blut):
    • Nach Erreichen der regionalen Lymphknoten kommt es zu einer ersten Freisetzung der Viren ins Blut.
    • Diese erste Virämiephase verläuft meist asymptomatisch.
  • Zweite Virämie und Invasion des zentralen Nervensystems:
    • Die Viren verbreiten sich weiter über das Blut und erreichen das zentrale Nervensystem.
    • Diese Phase ist verantwortlich für die typischen neurologischen Symptome, die bei etwa 30 % der infizierten Personen auftreten.
Wirtsreaktion
  • Lokale Immunantwort:
    • In der Haut kommt es nach dem Zeckenstich zu einer Aktivierung von Makrophagen und dendritischen Zellen (Immunzellen, die für die Antigenpräsentation zuständig sind).
    • Diese Zellen bekämpfen die lokale Virusvermehrung, was jedoch häufig nicht ausreicht, um die Infektion zu stoppen.
  • Systemische Immunantwort:
    • Im Verlauf der zweiten Virämie werden humorale und zelluläre Immunantworten gegen das Virus ausgelöst.
    • Die Bildung von neutralisierenden Antikörpern kann die Virusvermehrung im Blut einschränken und das Risiko einer ZNS-Infektion vermindern.
  • Anpassungsmechanismen des Erregers:
    • Das FSME-Virus besitzt verschiedene Mechanismen, um der Immunabwehr zu entkommen, wie die Hemmung der Interferon-Signalwege, was die Virusvermehrung erleichtert.
Organaffinität und Gewebeschäden
  • Bevorzugte Zielorgane: Das zentrale Nervensystem ist das Hauptzielorgan. Betroffen sind vor allem Gehirn (Enzephalitis), Rückenmark (Myelitis) und Meningen (Meningitis).
  • Resultierende Gewebeschäden:
    • Die Virusvermehrung führt zu einer ausgeprägten Entzündungsreaktion in den betroffenen Hirnregionen.
    • Es kommt zur Nekrose (Absterben) von Nervenzellen und zu Schädigungen der weißen Substanz im Gehirn.

Klinische Manifestation

  • Symptomatologie:
    • Die FSME beginnt meist mit unspezifischen Symptomen wie Fieber, Kopfschmerzen und Gliederschmerzen (grippeähnliche Beschwerden).
    • Nach einer kurzen Fieberpause kann es in der zweiten Phase zu einer Beteiligung des ZNS mit schweren neurologischen Symptomen kommen, darunter:
      • Meningitis (Entzündung der Hirnhäute): Nackensteifigkeit, Kopfschmerzen
      • Enzephalitis (Entzündung des Gehirns): Verwirrtheit, Krampfanfälle, Bewusstseinsstörungen
      • Myelitis (Entzündung des Rückenmarks): Lähmungen und Sensibilitätsstörungen
  • Komplikationen:
    • Langfristige neurologische Defizite wie Ataxie (Störungen der Bewegungskoordination), kognitive Einschränkungen und Lähmungen können auch nach der Akutphase bestehen bleiben.
  • Verläufe und Schweregrade:
    • Mildere Verläufe beschränken sich oft auf Fieber und Kopfschmerzen ohne ZNS-Beteiligung.
    • Schwere Verläufe mit Enzephalitis haben eine hohe Morbidität und Mortalität.
Prognosefaktoren
  • Wirtsfaktoren:
    • Alter: Ältere Menschen und Kinder sind besonders gefährdet, schwere Verläufe zu entwickeln.
    • Komorbiditäten wie bestehende neurologische Erkrankungen erhöhen das Risiko für Komplikationen.
  • Erregerfaktoren:
    • Die Virulenz (Infektionskraft) des FSME-Virus kann zwischen verschiedenen Stämmen variieren, was die Schwere des Krankheitsbildes beeinflussen kann.

Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die Frühsommer-Meningoenzephalitis ist eine durch Zecken übertragene virale Infektion, die zu schwerwiegenden neurologischen Schäden führen kann. Die Pathogenese wird durch eine initiale Vermehrung in der Haut und eine anschließende Virusverbreitung über das Blut in das zentrale Nervensystem bestimmt. Präventionsmaßnahmen wie Zeckenschutz und FSME-Impfung sind die effektivsten Maßnahmen, um eine Infektion zu verhindern. Eine frühzeitige Diagnose und unterstützende Therapie sind essenziell, um schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Disposition: das Erkrankungsrisiko ist wahrscheinlich von genetischen Faktoren abhängig.
  • Berufe – Beschäftigte in der Forst- und Landwirtschaft sowie Jäger

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Aufenthalt in einem FSME-Risikogebiet und/oder Konsum von Milchprodukten aus unpasteurisierter Milch
    • Aufenthalt in bewaldeten Gebieten ohne adäquate Kleidung oder Schutz durch Repellentien (Insektenschutz) (> 90 % der Infektionen werden während der Freizeit erworben) [1]

Risikogruppen (in den entsprechenden Risikogebieten)

  • Förster
  • Landwirte
  • Kindergartenkinder im Waldkindergarten
  • Waldarbeiter
  • Wanderer

Literatur

  1. Kaiser R: The clinical and epidemiological profile of tick-borne encephalitis in southern Germany 1994-98: a prospective study of 656 patients. Brain 1999; 122(11):2067-2078