Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) – Einleitung

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine durch das FSME-Virus, ein Flavivirus, ausgelöste Infektionskrankheit, die primär das zentrale Nervensystem betrifft und zu Meningitis (Hirnhautentzündung), Enzephalitis (Gehirnentzündung) oder Myelitis (Rückenmarksentzündung) führen kann. Die Übertragung erfolgt durch den Stich infizierter Zecken. In seltenen Fällen kann das Virus auch durch den Verzehr von Rohmilchprodukten infizierter Tiere übertragen werden.

Synonyme und ICD-10: FSME-Virus; Frühsommer-Meningoenzephalitis; Tick-borne encephalitis; Zeckenenzephalitis; ICD-10-GM A84.1:

Übertragungsweg und Erregerreservoir

Erregerreservoir: Hauptsächliche Wirte der FSME-Viren sind Kleintiernager, die in Wäldern und Wiesen leben. In seltenen Fällen können auch Ziegen als Reservoir fungieren.

Vektor (Überträger): FSME-Viren werden vorwiegend durch Zecken der Gattung Ixodes ricinus (Holzbock) übertragen. Diese Zecken können auch Borreliose-Erreger übertragen. Darüber hinaus ist die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) ein weiterer Überträger, der sich zunehmend in ganz Deutschland verbreitet.

Zeckenaktivität:

  • Ixodes ricinus ist ab Temperaturen von 6-8 °C aktiv, vorwiegend in bodennahen Vegetationen in Höhen von 30-60 cm (selten bis 1,5 m). Eine Luftfeuchtigkeit von über 80 % begünstigt ihre Aktivität.
  • Die Auwaldzecke ist bereits sehr früh im Jahr und bis spät im Herbst aktiv, auch bis zum ersten Schneefall. Dadurch verlängert sich die Periode mit potenziellen FSME-Übertragungsrisiken.

Infektionswahrscheinlichkeit und Manifestationsrate

Nur etwa jeder 100. bis 300. Zeckenstich führt zur FSME-Erkrankung, da durchschnittlich nur 1-3 % der Zecken in Endemiegebieten das FSME-Virus tragen.

Die klinische Manifestationsrate nach einem Stich einer infizierten Zecke beträgt etwa 33 %. In bestimmten Regionen (z. B. Litauen, Russland, Schweiz) kann die Durchseuchungsrate der Zecken jedoch 20-30 % erreichen [1].

Übertragungszeitpunkt und Besonderheiten

Die Latenzzeit zwischen Zeckenbiss und FSME-Infektion ist sehr kurz. FSME-Viren befinden sich in den Speicheldrüsen der Zecken, sodass die Übertragung innerhalb von Minuten nach dem Biss erfolgt. Im Gegensatz dazu benötigen Borrelien mehr als 24 Stunden für die Übertragung.

Charakteristische Laborbefunde

  • Liquordiagnostik (Untersuchung des Nervenwassers)
    • Pleozytose (erhöhte Zellzahl im Liquor): Vor allem eine Erhöhung der Lymphozytenzahl (lymphozytäre Pleozytose).
    • Erhöhte Proteinwerte: Deutlich erhöhte Eiweißkonzentration im Liquor.
    • Glukose normal: Die Glukosewerte im Liquor bleiben in der Regel normal, was FSME von bakteriellen Meningitiden unterscheidet.
  • Serologie
    • Nachweis von FSME-spezifischen Antikörpern:
      • FSME-IgM-Antikörper: Werden typischerweise in der akuten Phase der Infektion im Blut und im Liquor nachgewiesen und gelten als Zeichen einer frischen Infektion.
      • FSME-IgG-Antikörper: Bilden sich nach einigen Wochen und zeigen eine überstandene Infektion oder Immunität an (können aber auch bei geimpften Personen nachweisbar sein).
  • PCR (Polymerase-Kettenreaktion)
    • In seltenen Fällen kann der direkte Nachweis des FSME-Virus durch PCR aus dem Liquor in der Frühphase der Infektion gelingen. Dies ist jedoch nicht immer zuverlässig und wird häufiger bei Kindern angewendet.
  • Blutbild
    • Leichte Leukozytose (erhöhte Anzahl weißer Blutkörperchen) kann vorkommen, ist aber nicht spezifisch.
    • Entzündungsmarker wie C-reaktives Protein (CRP) und Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) sind in der Regel nur leicht erhöht und unspezifisch.

Der Nachweis von FSME-spezifischen Antikörpern (IgM und IgG) im Serum und Liquor gilt als Goldstandard der FSME-Diagnose.

Formen der FSME

Bei der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) können verschiedene Formen der Erkrankung unterschieden werden, die hauptsächlich durch die Art und den Schweregrad der neurologischen Beteiligung charakterisiert werden:

Meningitische Verlaufsform (Hirnhautentzündung)

  • Definition: Entzündung der Hirnhäute, die das zentrale Nervensystem umgeben.
  • Symptome: Fieber, starke Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Lichtempfindlichkeit.
  • Prognose: In der Regel günstig, vor allem bei jüngeren Patienten, da die meisten Betroffenen sich vollständig erholen.

Meningoenzephalitische Verlaufsform (Hirnhaut- und Gehirnentzündung)

  • Definition: Kombinierte Entzündung der Hirnhäute und des Gehirns.
  • Symptome: Neben den meningitischen Symptomen treten neurologische Störungen wie Bewusstseinseintrübung, Verwirrtheit und Krampfanfälle auf.
  • Prognose: Schwerer Verlauf mit erhöhtem Risiko für bleibende neurologische Schäden. Ältere Patienten sind häufiger betroffen.

Enzephalomyelitische Verlaufsform (Gehirn- und Rückenmarksentzündung)

  • Definition: Schwere Form der FSME, bei der sowohl das Gehirn als auch das Rückenmark betroffen sind.
  • Symptome: Lähmungen, Muskelschwäche, Gleichgewichtsstörungen, Koordinationsprobleme. In einigen Fällen kann es zu Atemlähmung und damit lebensbedrohlichen Komplikationen kommen.
  • Prognose: Die schlechteste der Verlaufsformen, häufig mit bleibenden neurologischen Schäden. Besonders ältere Menschen haben ein hohes Risiko für dauerhafte Lähmungen und Invalidität.

Biphasischer Verlauf

  • Definition: FSME verläuft häufig in zwei Phasen, beginnend mit einer grippeähnlichen ersten Phase und gefolgt von einer symptomfreien Periode, bevor neurologische Symptome in der zweiten Phase auftreten.
  • Symptome: Erste Phase mit Fieber, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen und allgemeinem Unwohlsein, gefolgt von einer zweiten Phase mit neurologischen Symptomen wie Meningismus (Nackensteifigkeit), Schwindel, Paresen (Lähmungen) und Krampfanfällen.
  • Prognose: Hängt vom Schweregrad der neurologischen Beteiligung in der zweiten Phase ab.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Frauen.

Häufigkeitsgipfel
: Ab dem 40. Lebensjahr steigt das Erkrankungsrisiko deutlich an.

Prävalenz
(Krankheitshäufigkeit): FSME tritt in Endemiegebieten in etwa bei 1-5 % der Zeckenpopulation auf. Allerdings entwickelt nur etwa jeder dritte Mensch, der von einer infizierten Zecke gebissen wird, Symptome.

Inzidenz
(Häufigkeit von Neuerkrankungen): In Deutschland wurden im Jahr 2023 ca. 475 FSME-Fälle gemeldet (RKI). Höhere Infektionszahlen werden jedoch in den umliegenden Ländern wie Österreich, Tschechien und der Schweiz verzeichnet.

Saisonale Häufung
: FSME tritt hauptsächlich zwischen März und November auf, mit einem Höhepunkt in den Sommermonaten.

Infektionsepidemiologie

Erreger: FSME-Virus (Flavivirus)

Erregerreservoir
: Hauptsächlich Kleintiernager (z. B. Mäuse) und in seltenen Fällen Ziegen und Schafe.

Vorkommen
: FSME-Endemiegebiete befinden sich in Europa, besonders in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Schweden, Polen, Tschechien, sowie in Russland und weiteren osteuropäischen Ländern.

Zu den FSME-Risikogebieten gehören in Deutschland:

  • Baden-Württemberg*
  • Bayern*: (außer einigen Landkreisen [LK] in Schwaben und im westlichen Teil Oberbayerns); LK Dillingen a. d. Donau, LK Fürstenfeldbruck, LK Garmisch-Partenkirchen, LK Landsberg am Lech, LK Kaufbeuren, LK München, LK Günzburg, LK Augsburg, LK Weilheim-Schongau und der LK Starnberg; SK München
  • Brandenburg: LK Oberspreewald-Lausitz, LK Oder-Spree, LK Spree-Neiße und SK Frankfurt (Oder) 
  • Hessen: LK Bergstraße, Stadtkreis (SK) Darmstadt, LK Darmstadt-Dieburg, LK Groß-Gerau, LK Main-Kinzig-Kreis, LK Marburg-Biedenkopf, LK Odenwaldkreis, SK Offenbach, LK Offenbach, LK Fulda
  • Niedersachsen: LK Emsland
  • Nordrhein-Westfalen: SK Solingen
  • Rheinland-Pfalz: LK Birkenfeld
  • Saarland: LK Saar-Pfalz-Kreis
  • Sachsen: SK Dresden, LK Bautzen, LK Erzgebirgskreis, LK Görlitz, LK Meißen, LK Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, LK Vogtlandkreis, LK Zwickau, LK Mittelsachen, SK Chemnitz,
  • Sachsen-Anhalt: LK Anhalt-Bitterfeld, LK Mittelsachsen
  • Thüringen: SK Gera, LK Greiz, LK Altenburger Land, LK Hildburghausen, LK Ilm-Kreis, SK Jena, LK Saale-Holzland-Kreis, LK Saale-Orla-Kreis, LK Saalfeld-Rudolstadt, LK Schmalkalden-Meiningen, LK Sonneberg, SK Suhl, LK Weimarer-Land

RKI – FSME-Risikogebiete in Deutschland


Mensch-zu-Mensch-Übertragung: Nein.

Kontagiosität
(Ansteckungskraft bzw. Übertragungsfähigkeit des Erregers): Die Ansteckung erfolgt durch den Stich infizierter Zecken. In seltenen Fällen kann das Virus über infizierte Rohmilchprodukte von Schafen, Ziegen oder Kühen übertragen werden.

Übertragungsweg
: Primär durch den Stich der Zecke Ixodes ricinus (Holzbock). Seltener durch den Verzehr von Rohmilchprodukten.

Eintrittspforte
: Haut (durch den Zeckenstich), selten durch den Verdauungstrakt.

Inkubationszeit (
Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Erkrankung): Zwischen 7 und 14 Tagen, in seltenen Fällen bis zu 28 Tagen.

Krankheitsdauer
: FSME verläuft biphasisch; die erste Phase dauert 2-7 Tage, gefolgt von einer symptomfreien Phase und dann einer zweiten, schwereren Phase.

Dauer der Infektiosität
: 2-3 Tage vor Auftreten der Symptome bis zur kompletten Genesung. Im Stuhl kann das Virus noch mehrere Wochen nachgewiesen werden.

Seroprävalenz (Häufigkeit des serologischen Nachweises spezifischer Antikörper)
  • In Endemiegebieten weisen etwa 2-5 % der Bevölkerung Antikörper gegen das FSME-Virus auf.
  • Höhere Durchseuchungsraten von 20 bis 30 % werden allerdings in einzelnen Regionen (Litauen, Russland, Schweiz) gefunden [1].
Erregerspezifische Immunität: Eine durchgemachte Infektion verleiht lebenslange Immunität.

Verlauf und Prognose

Verlauf

FSME verläuft in zwei Phasen:

  • Frühe Phase:
    • Symptome: Grippeähnliche Beschwerden, darunter Fieber, Kopfschmerzen, Muskel- und Gliederschmerzen.
    • Dauer: 2-7 Tage.
    • Zwischenphase: Symptomfreies Intervall von etwa einer Woche.
  • Zweite Phase:
    • Symptome: Befall des zentralen Nervensystems mit Symptomen einer Meningitis, Enzephalitis oder Myelitis, darunter starke Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Schwindel, Paresen (Lähmungen), Sprachstörungen und Krampfanfälle.
    • Schweregrad: Der Verlauf ist altersabhängig; ältere Personen haben ein höheres Risiko für schwerwiegende Verläufe.
    • Folgen: Etwa 40 % der symptomatischen Patienten entwickeln längerfristige neurologische Schäden, wie Paresen, Gleichgewichtsstörungen oder kognitive Beeinträchtigungen.

Prognose

  • Günstige Prognose: Meningitis ohne Beteiligung des Rückenmarks oder Gehirns verläuft in der Regel gut, besonders bei Kindern.
  • Schlechtere Prognose: Patienten mit Enzephalomyelitis (Entzündung von Gehirn und Rückenmark) haben ein höheres Risiko für bleibende Schäden. Je älter der Patient, desto schlechter die Prognose.
  • Langzeitfolgen: Paresen (Lähmungen), chronische Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche und Gleichgewichtsstörungen.

Impfung: Eine Schutzimpfung gegen FSME ist verfügbar. Diese ist auch gegen die russische Variante RSSE (Russian Spring Summer Encephalitis) wirksam.

In Deutschland ist der direkte oder indirekte Nachweis des Erregers nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) meldepflichtig, soweit die Nachweise auf eine akute Infektion hinweisen.

Literatur

  1. Vaccines against tick-borne encephalitis; WHO Publications. Vaccine 2011 Nov 8;29(48):8769-70. doi: 10.1016/j.vaccine.2011.07.024. Epub 2011 Jul 21.

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). (AWMF-Registernummer: 030-035), Januar 2020 Langfassung