Amöbenruhr – Einleitung
Die Amöbenruhr ist eine Infektionskrankheit, die primär das Kolon (Dickdarm) des Menschen betrifft und zu einer infektiösen Diarrhoe (Durchfallerkrankung) führt. Sie wird durch den Parasiten Entamoeba histolytica (sensu stricto) verursacht.
Synonyme und ICD-10: Amöbiasis, Amöbenruhr; akute Amöbenruhr, akute Amöbiasis; Amöbenleberabszess; Amöbenabszess; Amöbenhepatitis; ICD-10-GM A06.-: Amöbiasis
Entamoeba histolytica (Synonym: Ruhramöbe) ist die einzige für den Menschen pathogene (krankhafte) Spezies in der Gattung der Entamoeba. Innerhalb der Protozoen (Einzeller) gehört sie zu den Rhizopoden (Wurzelfüßer).
Des Weiteren kommen Infektionen mit den Erregern Entamoeba dispar und Entamoeba Moshkovskii. Sie machen ca. 90 % der Fälle aus. E. dispar werden auch als Kommensalen bezeichnet, das heißt, sie leben in Koexistenz mit dem Wirt und haben keine pathogene (krankhafte) Bedeutung. E. Moshkovskii sind fakultativ (möglich) pathogen.
Naegleria fowleri ist eine in den USA häufig vorkommende Amöbenart, die zu einer primären Amöben-Meningoenzephalitis (PAM) führt.
Charakteristische Laborbefunde
- Mikroskopischer Nachweis
- Direkter Erregernachweis: Nachweis von Entamoeba histolytica-Zysten oder Trophozoiten (bewegliche Form) im Stuhl oder in der Gewebebiopsie.
- Unterscheidung: Unterscheidung von Entamoeba histolytica (pathogen) und Entamoeba dispar (nicht pathogen) durch morphologische Unterschiede.
- Antigennachweis
- Stuhl-Antigentest: Nachweis spezifischer Amöbenantigene in Stuhlproben zur Unterscheidung von E. histolytica und E. dispar.
- Serologische Tests
- Antikörpernachweis: Nachweis von spezifischen Antikörpern im Serum, besonders bei extraintestinalen Manifestationen (z. B. Leberabszess/Bildung einer Eiterhöhle in der Leber).
- Enzyme-linked Immunosorbent Assay (ELISA): Häufig eingesetzter Test zum Nachweis von Antikörpern gegen Entamoeba histolytica.
- PCR
- Polymerase-Kettenreaktion (PCR): Hochsensitive Methode zum spezifischen Nachweis von E. histolytica-DNA in Stuhlproben, Biopsien (Gewebeproben) oder Aspiraten.
- Blutbild
- Leukozytose: Leichte bis moderate Erhöhung der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) bei extraintestinalen Manifestationen wie Amöbenleberabszess.
- C-reaktives Protein (CRP)
- Erhöhte CRP-Werte: Bei extraintestinalen Infektionen, insbesondere bei Leberabszessen, deutet eine Erhöhung auf eine Entzündungsreaktion hin.
- Leberfunktionstests
- Bei hepatischer Amöbiasis können abnorme Leberwerte wie erhöhte Transaminasen (ALT, AST) auftreten.
Formen der Erkrankung
Intestinale Form (den Darm betreffend)
- Amöbenruhr (Synonyme: akute Amöbenruhr; akute Amöbiasis; ICD-10-GM A06.0: akute Amöbenruhr)
- Ausgeprägte ulzerierende (geschwürbildende) Kolitis (Dickdarmentzündung)
Extraintestinale Form (außerhalb des Darms)
- Amöbenabszess (Synonyme: Amöbenleberabszess; Amöbenhepatitis; ICD-10-GM A06.4: Leberabszess durch Amöben)
- Da in ca. 95 % der Fälle die Leber von der Abszessbildung (Bildung von Eiterhöhlen) betroffen ist, wird diese Form häufig als Amöbenleberabszess bezeichnet. Überwiegend ist der rechte Leberlappen betroffen.
Epidemiologie
Geschlechterverhältnis: Die Infektion betrifft beide Geschlechter gleichermaßen.
Häufigkeitsgipfel: Amöbenruhr tritt häufiger in tropischen und subtropischen Regionen mit schlechten hygienischen Bedingungen auf.
Prävalenz (Krankheithäufigkeit): Es wird geschätzt, dass etwa 10 % der Weltbevölkerung mit E. dispar oder E. histolytica infiziert sind, wobei die Infektionen mit E. dispar häufiger sind.
Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen): Die genaue Inzidenz variiert je nach Region und hygienischen Verhältnissen.
Infektionsepidemiologie
Erreger: Entamoeba histolytica (Synonym: Ruhramöbe) ist die einzige für den Menschen pathogene Spezies in der Gattung Entamoeba. Es kommen auch Infektionen mit Entamoeba dispar und Entamoeba moshkovskii vor, die in 90 % der Fälle keine pathogene Bedeutung haben.
Erregerreservoir: Menschen sind das Hauptreservoir. Die Amöben können jahrelang asymptomatisch im Kolon verbleiben.
Vorkommen: Der Erreger ist weltweit verbreitet, insbesondere in tropischen und subtropischen Regionen wie Kenia, Indien, Vietnam, Thailand, Indonesien und Bangladesch.
Mensch-zu-Mensch-Übertragung: Ja, insbesondere durch fäkal-orale Übertragung.
Kontagiosität (Ansteckungskraft): Die Zysten können viele Monate in der Außenwelt infektiös bleiben, sind jedoch empfindlich gegen Austrocknung und Erhitzung.
Übertragungsweg: Fäkal-oral, durch kontaminiertes Trinkwasser oder Lebensmittel sowie anal-orale Sexualpraktiken.
Eintrittspforte: Der Erreger gelangt über den Mund in den Körper, entweder durch kontaminierte Nahrung oder Wasser.
Inkubationszeit (Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Erkrankung): Die Inkubationszeit beträgt bei der Amöbenruhr (intestinale Form) in der Regel wenige Tage bis mehrere Wochen/Monate. Bei einem Amöbenleberabszess (extraintestinale Form) kann sie Monate bis Jahre betragen.
Krankheitsdauer: Unbehandelt kann die Erkrankung mehrere Monate andauern.
Dauer der Infektiosität: Die Zysten können über lange Zeit infektiös bleiben und bei Ausscheidung mit dem Stuhl die Umgebung kontaminieren.
Seroprävalenz (Häufigkeit des serologischen Nachweises spezifischer Antikörper): Die Seroprävalenz ist weltweit hoch, insbesondere in Regionen mit niedrigen Hygienestandards.
Erregerspezifische Immunität: Es besteht keine lang anhaltende Immunität, sodass Reinfektionen möglich sind.
Verlauf und Prognose
Verlauf
- In den meisten Fällen (ca. 90 %) liegt eine Infektion mit den Erregern E. dispar und E. Moshkovskii vor. Diese Infektionen verlaufen oft asymptomatisch, das heißt, die Infizierten scheiden den Parasiten mit dem Stuhl aus, ohne Krankheitszeichen zu entwickeln.
- Bei einer Infektion mit E. histolytica verlässt der Parasit das Darmlumen und dringt in das Gewebe ein, was zur intestinalen Form der Amöbenruhr führt. Dies kann zu starken, blutigen Durchfällen führen. Bei schwerem Verlauf können bis zu 50 Stuhlentleerungen pro Tag auftreten.
- Eine zeitnahe Behandlung der Flüssigkeits- und Elektrolytverluste ist bei jeder Durchfallerkrankung notwendig, um einer Dehydrierung (Austrocknung) und Verschiebung des Säure-Basen-Haushaltes vorzubeugen.
- In schweren Fällen kann sich der Parasit hämatogen (über den Blutweg) in andere Organe verteilen, am häufigsten in die Leber, was zur Bildung von Amöbenleberabszessen (extraintestinale Form) führt.
Prognose
- Wird die Erkrankung rechtzeitig erkannt und behandelt, heilt sie in der Regel rasch und vollständig aus.
- Bei der Bildung von Amöbenleberabszessen ist eine längere medikamentöse Behandlung erforderlich. Eine frühzeitige und adäquate Therapie verbessert die Prognose erheblich.
- Unbehandelt kann die Erkrankung mehrere Monate andauern und zu schweren Komplikationen führen.
- Weltweit sterben jährlich ca. 100.000 Menschen an Amöbenruhr, was die Bedeutung einer rechtzeitigen Diagnostik und Therapie unterstreicht.
- Erkrankte sowie asymptomatische Ausscheider dürfen erst wieder in Lebensmittelbetrieben und Trinkwasserversorgungsanlagen arbeiten, wenn eine Weiterverbreitung der Infektion ausgeschlossen werden kann. Dazu sollten nach Ende der Therapie drei Stuhluntersuchungen im Abstand von einer Woche durchgeführt werden.
Impfung: Eine Schutzimpfung gegen Amöbenruhr steht bislang nicht zur Verfügung.
Für Einzelfälle besteht in Deutschland keine Meldepflicht. Gegebenenfalls beim Auftreten von zwei oder mehr Fällen, bei denen ein Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird.
Leitlinien
- Guideline des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE): Diarrhoea and vomiting caused by gastroenteritis in under 5s: diagnosis and management. April 2009. www.nice.org.uk/CG084
- S1-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Amöbiasis. (AWMF-Registernummer: 042-002), Oktober 2018 Langfassung