HIV-Postexpositionsprophylaxe (PEP)

Die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung des HI-Virus liegt durchschnittlich bei 3 Infektionen pro 1.000 Expositionen (0,3 %). Nach beruflicher Exposition wird das mittlere Risiko einer Virusübertragung auf 1 zu 300 geschätzt. Je länger die Kontaktzeit zwischen infektiöser Flüssigkeit und Schleimhaut oder verletzter Haut, desto höher das Risiko.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Die folgenden Expositionssituationen begründen eine Indikationsstellung für die HIV-Postexpositionsprophylaxe (PEP):

  • Berufliche Expositionen
    • Stich- oder Schnittverletzungen mit HIV-kontaminierten Instrumenten (z. B. Hohlraumnadeln, Skalpelle)
    • Schleimhaut- oder Wundkontamination mit infektiösem Material
  • Nicht-berufliche Expositionen
    • Ungeschützter Sexualverkehr mit Personen mit bekannter oder wahrscheinlicher HIV-Infektion
    • Verwendung von HIV-kontaminiertem Injektionsbesteck

Körperflüssigkeiten mit hoher Viruskonzentration: Blut, Liquor, Punktate, Organmaterial, Viruskulturen.

Hinweis: Bei Indexpersonen mit Viruslast < 50 Kopien/ml (unter erfolgreicher antiretroviraler Therapie) besteht kein übertragungsrelevantes Risiko.

Sofortmaßnahmen bei beruflicher Exposition

  • Spülung und Desinfektion
    • Hautverletzungen: Förderung der Blutung, sofortige Reinigung mit Seife oder Antiseptikum
    • Schleimhautkontakt: Spülung mit Wasser oder NaCl
  • Dokumentation und Ersteinschätzung
    • Genaue Unfallbeschreibung
    • HIV-/Hepatitis-Serologie
    • Kontakt mit HIV-Zentrum / PEP-Stelle

Zusammenfassung der Empfehlungen zur HIV-PEP bei beruflicher Exposition

Expositionsereignis Indexperson > 50 HIV-RNA Kopien/ml oder unbekannt Indexperson < 50 HIV-RNA Kopien/ml
(Blutende) Stich-/Schnittverletzung mit Hohlraumnadel / Skalpell PEP empfehlen PEP anbieten
Schleimhautkontakt mit Blut, oberflächliche Verletzung ohne Blutfluss PEP anbieten Nicht indiziert
Kontakt mit Urin, Speichel, intakter Haut Nicht indiziert Nicht indiziert

Indikation zur PEP bei nicht-beruflicher Exposition

Situation Empfehlung
Ungeschützter Vaginal-/Analverkehr mit HIV-positiver Person (< 50 Kopien/ml) Nicht indiziert
Ungeschützter Vaginal-/Analverkehr mit erhöhtem HIV-Risiko (z. B. Herkunft aus Hochprävalenzregion, i.v. Drogengebrauch) PEP anbieten
Sexualisierte Gewalt (jede Form) PEP anbieten
Oralverkehr (jede Form) Nicht indiziert
Tiefe Bissverletzung mit blutender HIV-positiver Person PEP indiziert
Nutzung gemeinsamer Injektionsutensilien PEP indiziert oder anbieten (je nach Risiko)

Medikamentöse Durchführung

  • Therapiebeginn: Möglichst innerhalb von 2 Stunden (spätestens 48 Stunden)
  • Dauer: 28 Tage
  • Standardregime:
    • TDF/FTC + Raltegravir (2 × 400 mg oder 1 × 2 × 600 mg)
    • TDF/FTC + Dolutegravir (DTG) 50 mg)
    • TAF/FTC + Bictegravir (BIC)
    • Alternativ: TDF/FTC + Darunavir/r oder TAF/FTC + Elvitegravir/c* (bei Resistenzen)

Bei Schwangerschaft sollen TAF/FTC, BIC und EVG/c nicht verwendet werden.

Die International Antiviral Society-USA (IAS-USA) empfiehlt zur Postexpositionsprophylaxe die Kombination Tenofovir + Emtricitabin in Kombination mit einem Integrase-Inhibitor (Raltegravir oder Dolutegravir) [2].

Dolutegravir in der Schwangerschaft:
Die WHO empfiehlt Dolutegravir (DTG) als Erst- und Zweitlinientherapie – auch bei Schwangeren. Die Inzidenz von Neuralrohrdefekten ist geringer als zunächst angenommen, aber weiterhin signifikant erhöht [3].

Wann sollte ein Expertenrat eingeholt werden?

  • Beginn der PEP > 24 Stunden nach Exposition
  • Unklare Exposition (z. B. Instrument nicht sicher zuordenbar)
  • (Mögliche) Schwangerschaft
  • Verdacht auf multiresistente HIV-Stämme
  • Auftreten starker Nebenwirkungen

Diagnostik und Nachsorge

Parameter Indexperson Exponierte Person
HIV-Serologie x* x (initial + nach 6 Wochen)
HIV-RNA bei pos. Test x*  
HBsAg, Anti-HBs x* x
HCV-Serologie x* x
HCV-RNA (bei Verdacht) (x*) s. LL
Lues-Serologie x x
STD-Abstriche   x (symptombezogen)
Blutbild, Leber-/Nierenwerte   x
Schwangerschaftstest   (x)

*Nur erforderlich, wenn nicht dokumentiert.

Weitere Hinweise

  • Mehr als 90 % der Personen berichten über „mäßige“ bis „schlechte“ Verträglichkeit der PEP [1].
  • Einleitung innerhalb von 2 Stunden nach NSV reduziert das Risiko um über 80 % [1].

Literatur

  1. Robert Koch-Institut (RKI): HIV-Infektion/AIDS. RKI-Ratgeber für Ärzte. 08. März 2016
  2. Günthard HF et al.: Antiretroviral Drugs for Treatment and Prevention of HIV Infection in Adults 2016 Recommendations of the International Antiviral Society-USA Panel. JAMA. 2016;316(2):191-210. doi:10.1001/jama.2016.8900.
  3. Raesima MM et al.: Dolutegravir Use at Conception — Additional Surveillance Data from Botswana New Engl J Med. July 22, 2019 doi: 10.1056/NEJMc1908155

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Medikamentöse Postexpositionsprophylaxe (PEP) nach HIV-Exposition. (AWMF-Registernummer: 055 - 004), Dezember 2021 Kurzfassung Langfassung