Postexpositionelle Prophylaxe (Riegelimpfung)

Unter einer postexpositionellen Prophylaxe (PEP) versteht man die gezielte Gabe von Medikamenten, Impfstoffen oder spezifischen Immunglobulinen zur Vermeidung einer Erkrankung bei Personen, die nicht durch Impfung geschützt sind, jedoch einer Infektionskrankheit bereits ausgesetzt waren. Die Maßnahme ist essenziell in der Ausbruchskontrolle und zum Individualschutz nach Hochrisikokontakten.

Zielsetzung und Wirkung

  • Therapeutische Zielsetzung
    • Verhinderung oder Abschwächung der Krankheitsmanifestation nach bestätigter Exposition
  • Wirkmechanismus
    • Passive Immunisierung durch spezifische Antikörper (Hyperimmunglobulin)
    • Aktive Immunisierung zur raschen Antikörperbildung
    • Medikamentöse Prophylaxe zur Hemmung der Virus- oder Bakterienreplikation

Indikationen für eine postexpositionelle Prophylaxe

Die PEP ist bei folgenden Erkrankungen angezeigt. Die Wahl des Mittels und der Zeitraum sind pathogenabhängig.

  • Diphtherie
    • Aktive Impfung (Diphtherie-Toxoid)
    • Diphtherie-Antitoxin (passiv)
    • Zusätzliche Antibiotikatherapie (z. B. Erythromycin)
  • FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis)
    • Passive Immunisierung mit FSME-spezifischem Hyperimmunglobulin ist möglich
    • Schutzrate bei frühzeitiger Gabe jedoch nur etwa 60 %
    • Kein Standardverfahren in Deutschland (STIKO empfiehlt ausschließlich Präexpositionsimpfung), kann aber in Einzelfällen (z. B. nach Zeckenstich bei Ungeimpften in Endemiegebieten) erwogen werden
  • Haemophilus influenzae Typ b (HiB)
    • Rifampicin-Prophylaxe bei engem Kontakt zu ungeimpften Kindern unter 5 Jahren
  • Hepatitis A
    • Aktive Impfung bis 14 Tage nach Exposition
    • Immunglobulin bei Immunsuppression oder bei Kindern unter 1 Jahr
  • Hepatitis B
    • Simultanimpfung (aktiv + HBV-Immunglobulin) innerhalb von 72 Stunden
    • Titerkontrolle nach 4-8 Wochen empfohlen
  • HIV
    • Antiretrovirale Kombinationstherapie innerhalb von 2 Stunden (maximal 48-72 Stunden)
    • Therapiedauer: 28 Tage, Regime angepasst an Expositionsart
  • Masern
    • MMR-Impfung innerhalb von 72 Stunden
    • Immunglobulin innerhalb von 6 Tagen bei Kontraindikation oder Hochrisikopatienten
  • Meningokokken
    • Rifampicin, Ceftriaxon oder Ciprofloxacin (altersabhängig)
    • Zusätzliche Impfung je nach Serotyp und Ausgangsimpfstatus
  • Mumps
    • MMR-Impfung bis 3 Tage nach Kontakt
    • Begrenzte Wirksamkeit – Bedeutung vor allem im Ausbruchsmanagement
  • Pertussis
    • Makrolidprophylaxe (z. B. Azithromycin) bei Kontakt mit Säuglingen oder vulnerablen Personen
    • Auffrischimpfung ggf. zusätzlich
  • Poliomyelitis
    • IPV-Impfung bei fehlender Immunität
    • Zusätzliche Isolierungsmaßnahmen bei Verdacht
  • Tollwut
    • Simultane aktive Impfung + Tollwut-Immunglobulin bei Ungeimpften
    • Möglichst innerhalb 24 Stunden nach Biss beginnen
  • Tetanus
    • Auffrischimpfung + Tetanus-Immunglobulin bei unklarem Impfstatus und risikobehafteter Wunde
  • Varizellen (Windpocken)
    • Impfung bis 5 Tage nach Kontakt
    • Varizella-Zoster-Immunglobulin innerhalb von 10 Tagen bei Risikogruppen (z. B. Schwangere, Neugeborene)

Durchführung

  • Medikamentöse Umsetzung
    • Bei Indikation erfolgt entweder eine aktive, passive oder kombinierte Immunisierung
    • Die Gabe von Impfstoff und Immunglobulin erfolgt an getrennten Injektionsstellen
    • Chemoprophylaxe wird bei bestimmten bakteriellen Infektionen (z. B. Pertussis, Meningokokken) eingesetzt
  • Effektivität der passiven Immunisierung
    • Selbst bei frühzeitiger Gabe von Hyperimmunglobulin wird bei FSME und anderen Erkrankungen nur in etwa 60 % der Fälle ein vollständiger Schutz erreicht
    • Kinder unter 14 Jahren haben ein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe, auch bei durchgeführter passiver Immunisierung
  • Zeitkritische Umsetzung
    • Maßnahme sollte möglichst innerhalb der ersten 24-72 Stunden nach Kontakt eingeleitet werden
    • Nach Ablauf dieser Fristen sinkt die Wirksamkeit deutlich
  • Dokumentation und Nachverfolgung
    • Impfpass, ärztliche Dokumentation
    • Gegebenenfalls Meldung nach § 6 bzw. § 34 IfSG
    • Serologische Erfolgskontrollen bei Hepatitis B, Masern, Varizellen in Hochrisikogruppen

Literatur

  1. Robert Koch-Institut (RKI). Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Epidemiologisches Bulletin 4/2024.