Indikationsimpfungen: Eine Übersicht
Indikationsimpfungen sind Impfungen, die nicht für die Allgemeinbevölkerung, sondern nur bei bestimmten Personengruppen mit erhöhtem gesundheitlichem Risiko empfohlen werden. Die Empfehlung erfolgt in Abhängigkeit von:
- individueller Disposition (z. B. chronische Grunderkrankungen, Immunsuppression)
- beruflicher Exposition (z. B. medizinisches Personal, Laborarbeiter)
- expositionsbedingtem Risiko (z. B. Reisen in Endemiegebiete, Kontakt zu Infizierten)
Die STIKO unterscheidet die Indikationsimpfungen von Standardimpfungen und Reiseimpfungen. Sie sind im ärztlichen Kontext insbesondere bei präventiver Beratung und im Rahmen arbeitsmedizinischer Untersuchungen relevant.
Von der STIKO empfohlene Indikationsimpfungen:
- Cholera – bei Reisen in Endemiegebiete mit eingeschränkter Hygiene (z. B. Katastrophengebiete, Flüchtlingslager); empfohlen als Schluckimpfung für bestimmte Risikogruppen
- COVID-19 (SARS-CoV-2) – bei älteren Menschen, Risikopersonen mit Grunderkrankungen, Bewohnern von Einrichtungen, medizinischem Personal
- Dengue – für seropositive Personen im Alter von 6–45 Jahren mit dauerhaftem Aufenthalt in Endemiegebieten
- Diphtherie – bei unklarem Impfstatus, insbesondere bei beruflicher Exposition oder vor Auslandsaufenthalten in Risikogebieten
- FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) – bei Aufenthalt in Endemiegebieten (z. B. Süddeutschland, Baltikum, Russland)
- Gelbfieber – vor Reisen in Gelbfieber-Endemiegebiete und bei Einreise in Länder mit Gelbfieber-Impfnachweispflicht
- Haemophilus influenzae Typ b (Hib) – bei funktioneller oder anatomischer Asplenie (Fehlen der Milz)
- Hepatitis A – bei Lebererkrankungen, beruflicher Exposition oder Reisen in Endemiegebiete
- Hepatitis B – bei chronischen Lebererkrankungen, Dialysepflicht, häufig wechselnden Sexualkontakten, medizinischem Personal
- Herpes zoster (Gürtelrose) – empfohlen ab 60 Jahren oder ab 50 Jahren bei erhöhter gesundheitlicher Gefährdung
- HPV (Humane Papillomviren) – für Jugendliche im Alter von 9-14 Jahren (Nachholimpfung bis 17 Jahre), besonders zur Prävention von Cervix-, Anal- und anderen HPV-assoziierten Karzinomen
- Influenza (Grippe) – bei chronischen Erkrankungen, Schwangerschaft, medizinischem Personal, Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen
- Japanische Enzephalitis – bei Reisen in Endemiegebiete mit längeren Aufenthalten oder erhöhter Expositionsgefahr (z. B. ländliche Gebiete in Asien)
- Masern (Morbilli) – bei unklarem Impfstatus oder fehlender Immunität, insbesondere bei beruflicher Exposition in medizinischen Einrichtungen
- Meningokokken – bei Immundefizienz, Asplenie, Reisen in Endemiegebiete (Serogruppe A, C, W, Y, B je nach Risiko)
- Mpox (Affenpocken) – bei erhöhtem Expositionsrisiko (z. B. MSM mit häufig wechselnden Partnern, Labormitarbeiter mit Orthopoxvirus-Exposition)
- Mumps – bei unklarem Impfstatus oder fehlender Immunität, insbesondere bei beruflicher Exposition
- Pertussis (Keuchhusten) – für enge Haushaltskontaktpersonen von Neugeborenen, Schwangere in jeder Schwangerschaft
- Pneumokokken – bei Personen ≥ 60 Jahre oder mit bestimmten chronischen Erkrankungen bzw. Immundefiziten
- Poliomyelitis (Kinderlähmung) – bei beruflichem Risiko, z. B. Laborpersonal oder Reisende in Polio-Endemiegebiete
- Respiratorisches Synzytialvirus (RSV) – für Säuglinge mit Risikofaktoren sowie ältere Erwachsene ≥ 60 Jahre mit Vorerkrankungen
- Röteln (Rubella) – bei Frauen im gebärfähigen Alter mit unklarem Impfstatus
- Tetanus – bei unklarem Impfstatus, insbesondere vor operativen Eingriffen oder Wundversorgung
- Tollwut – bei beruflicher Exposition (z. B. Laborpersonal, Tierärzte), Reisen in Endemiegebiete, Tierbissrisiko
- Tuberkulose – nicht mehr allgemein empfohlen; nur in Einzelfällen (z. B. bei längerer Auslandsstationierung in Endemiegebieten)
- Typhus – bei Reisen in Regionen mit mangelhafter Trinkwasser- und Lebensmittelhygiene
- Varizellen (Windpocken) – bei seronegativen Personen mit erhöhtem Expositionsrisiko (z. B. Pflegeberufe, Frauen mit Kinderwunsch)
Nicht STIKO-empfohlene, aber klinisch eingesetzte Impfstoffe („Off-Label“-Indikation):
- Gynatren® (Impfstoff gegen rezidivierende bakterielle Vaginosen) – Anwendung bei rezidivierender bakterieller Vaginalinfektion (wiederkehrende bakterielle Scheideninfektion), jedoch ohne STIKO-Empfehlung
- StroVac® (Vakzine gegen rezidivierende Harnwegsinfekte) – bei Frauen mit häufigen unkomplizierten Harnwegsinfekten, evidenzbasiert, aber nicht STIKO-gelistet
- Schweinegrippe-Impfung – Es gibt keine separate „Schweinegrippe-Impfung“ mehr – die Immunisierung erfolgt automatisch durch die jährliche Influenza-Schutzimpfung, die inaktivierte, quadrivalente Antigene (u. a. H1N1, H3N2, B-Linien) enthält.
- Tuberkulose-Impfung (BCG) – Anwendung bei Personen mit besonderem Expositionsrisiko (z. B. bei Auslandstätigkeit in Hochprävalenzländern); aktuell keine generelle STIKO-Empfehlung in Deutschland
- Zostavax® (Lebendimpfstoff gegen Herpes zoster) – wird in Einzelfällen eingesetzt, insbesondere wenn der Totimpfstoff kontraindiziert ist; nicht STIKO-empfohlen, da weniger wirksam und mehr Nebenwirkungen
Kontraindikationen, Impfintervalle und Reaktionen auf Impfungen
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
Folgende Zustände gelten als absolute oder relative Kontraindikationen für Impfungen und müssen bei der Impfentscheidung zwingend berücksichtigt werden:
- Akut behandlungsbedürftige Erkrankungen
- Impfungen sollten frühestens 14 Tage nach vollständiger Genesung erfolgen.
- Anaphylaktische Reaktion auf einen Impfstoffbestandteil
- Z. B. auf Hühnereiweiß, Gelatine oder Antibiotika (z. B. Neomycin).
- Schwangerschaft
- Lebendimpfstoffe sind kontraindiziert. Totimpfstoffe dürfen nach Nutzen-Risiko-Abwägung und bevorzugt ab dem 2. Trimenon verabreicht werden.
- Immundefizienz (angeboren oder erworben)
- Vor Verabreichung eines Lebendimpfstoffs ist eine Rücksprache mit dem behandelnden Facharzt erforderlich.
- Eine serologische Erfolgskontrolle nach der Impfung ist bei unklarer Immunantwort indiziert.
Keine Kontraindikationen – sogenannte "falsche Kontraindikationen"
In folgenden Situationen besteht keine medizinische Kontraindikation zur Impfung:
- Banale Infekte mit subfebriler Temperatur (< 38,5 °C)
- Krampfanfälle in der Familienanamnese oder Fieberkrämpfe in der Eigenanamnese
- Lokalisierte Hautinfektionen, Ekzeme oder andere Dermatosen (Hauterkrankung)
- Therapie mit Antibiotika oder niedrig dosierten Glukokortikoiden
- Angeborene oder erworbene Immundefizienz bei Anwendung von Totimpfstoffen
- Frühgeburtlichkeit – Impfungen erfolgen entsprechend dem chronologischen Alter
- Neugeborenenikterus (physiologisch) oder gestillte Säuglinge
Impfintervalle
Zwischen Impfungen unterschiedlicher Art sind folgende Mindestabstände zu beachten:
- Lebendimpfstoffe (z. B. MMR, Varizellen):
- Können simultan (gleichzeitig, in getrennten Injektionsstellen) verabreicht werden.
- Bei nicht simultaner Gabe: Mindestabstand 4 Wochen
- Totimpfstoffe (z. B. Influenza, Pneumokokken):
- Kein Mindestabstand erforderlich – kombinierbar mit anderen Impfstoffen
Impfung im zeitlichen Zusammenhang mit Operationen:
- Dringliche Operation: Keine Impfverschiebung notwendig
- Wahleingriff:
- Nach Totimpfung: mind. 3 Tage Abstand
- Nach Lebendimpfung: mind. 14 Tage Abstand
Impfreaktionen
Zu erwartende, in der Regel harmlose Impfreaktionen:
- Lokalreaktionen
- Rötung, Schwellung, Schmerz an der Injektionsstelle
- Auftreten meist innerhalb von 6-48 Stunden
- Systemische Allgemeinreaktionen
- Fieber (< 39,5 °C), Unwohlsein, Kopf-/Gliederschmerzen
- Häufig in den ersten 72 Stunden nach der Impfung
- Impfkrankheit
- Typisch nach MMR- oder Varizellenimpfung, 5-28 Tage post vaccinationem
- Masern- oder mumpsähnliche Symptome mit Fieber, gelegentlich Exanthem
Schwere Nebenwirkungen
- Sehr selten (< 1:100.000)
- Z. B. anaphylaktische Reaktionen, neurologische Komplikationen
- Meldung erforderlich gemäß § 6 IfSG (Infektionsschutzgesetz) bei begründetem Verdacht
Literatur
- Robert Koch-Institut (RKI). Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am RKI. Epidemiologisches Bulletin 4/2024.
- Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit (DTG). Impfempfehlungen für Reisende 2024.