Hepatitis D – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Beschreibung des Erregers
- Erreger: Das Hepatitis-D-Virus (HDV) gehört zur Familie der Deltaviren und ist ein defektes RNA-Virus. Es kann sich nur in Anwesenheit des Hepatitis-B-Virus (HBV) vermehren. Das HDV benötigt das Hüllprotein des HBV (Hepatitis-B-Oberflächenantigen, HBsAg) zur Replikation und Verbreitung im Wirt.
- Genom: Das Genom des Hepatitis-D-Virus besteht aus einer einzelsträngigen, zirkulären RNA. Es ist das kleinste bekannte Virusgenom, das in der Lage ist, eine Infektion im menschlichen Körper auszulösen.
- Virulenz (Infektionskraft): Die Virulenz des HDV ist stark abhängig von der Ko-Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus. HDV allein ist nicht infektiös und benötigt HBsAg zur Vermehrung. Ko-Infektionen mit HBV können die Hepatitis signifikant verschlimmern, was zu einer höheren Rate an schweren Lebererkrankungen führt.
Epidemiologie und Übertragungsweg
- Verbreitung: Hepatitis D tritt weltweit auf, jedoch sind bestimmte Regionen wie der Mittelmeerraum, der Nahe Osten, Afrika und Südamerika stärker betroffen. In diesen Gebieten ist die Prävalenz des Hepatitis-B-Virus hoch, was die Ausbreitung von HDV erleichtert.
- Hauptübertragungsweg: Das Hepatitis-D-Virus wird durch direkten Kontakt mit infiziertem Blut oder anderen Körperflüssigkeiten übertragen. Die Übertragung erfolgt am häufigsten durch:
- Injektionsdrogengebrauch (gemeinsame Nutzung von Nadeln)
- Bluttransfusionen (vor allem in Ländern ohne strenge Blutkontrollen)
- Unsterile medizinische Eingriffe
- Weitere Übertragungswege: In selteneren Fällen kann die Übertragung auch durch ungeschützten Geschlechtsverkehr oder von der Mutter auf das Kind während der Geburt (perinatal) erfolgen.
- Virusreservoir: Das Virusreservoir ist eng an das Vorkommen des Hepatitis-B-Virus gebunden, da HDV nur in HBV-infizierten Wirten überleben kann.
- Infektiosität (Ansteckungsfähigkeit): Die Infektiosität von HDV ist bei gleichzeitig bestehender HBV-Infektion hoch, da HDV auf die gleiche Art und Weise übertragen wird wie HBV. Die Übertragung kann sowohl durch Ko-Infektion (gleichzeitige Infektion mit HBV und HDV) als auch durch Superinfektion (HDV-Infektion bei bereits bestehender HBV-Infektion) erfolgen.
Eintrittspforte des Erregers
- Haupteintrittspforte: Der Haupteintrittsort ist die Blutbahn, insbesondere durch Verletzungen oder Kontamination mit infektiösem Blut.
- Nebeneintrittspforte: Schleimhäute und Hautverletzungen stellen Nebeneintrittspforten dar, insbesondere bei Nadelstichen oder ungeschütztem sexuellen Kontakt.
Pathogenese des Erregers
- Initiale Vermehrung und Ansiedlung: Nach dem Eindringen in die Blutbahn infiziert das HDV die Hepatozyten (Leberzellen) des Wirts. Dabei nutzt es das Hüllprotein (HBsAg) des Hepatitis-B-Virus, um in die Leberzellen einzudringen. Ohne HBsAg kann HDV nicht in die Zellen gelangen und sich nicht vermehren.
- Ausbreitung: Das HDV repliziert sich ausschließlich in Hepatozyten, wobei es die Mechanismen der HBV-Replikation zur eigenen Vermehrung nutzt. Während einer Ko-Infektion breitet sich das HDV in der gesamten Leber aus und verursacht eine ausgeprägte Entzündungsreaktion.
- Systemische Ausbreitung: Das Hepatitis-D-Virus hat eine starke organaffine Ausbreitung in die Leber, wobei eine systemische Ausbreitung in andere Organe nicht beschrieben ist.
Wirtsreaktion
- Lokale Immunantwort: In den Leberzellen kommt es zur Aktivierung von Makrophagen und T-Lymphozyten, die auf die Virusvermehrung reagieren. Diese Reaktion ist jedoch nicht ausreichend, um die Virusvermehrung vollständig zu stoppen.
- Systemische Immunantwort: Die humorale und zelluläre Immunantwort gegen HDV ist bei gleichzeitig bestehender HBV-Infektion verstärkt. Dies führt zu einer massiven Aktivierung des Immunsystems und kann zu einer Zytokinfreisetzung (Entzündungsmediatoren) führen, die die Leberzellen weiter schädigt.
- Anpassungsmechanismen des Erregers: HDV hat die Fähigkeit, seine RNA schnell zu mutieren, was zu einer hohen genetischen Variabilität führt. Dies erschwert die Erkennung durch das Immunsystem und fördert eine chronische Infektion.
Organaffinität und Gewebeschäden
- Bevorzugte Zielorgane: Die bevorzugte Zielstruktur ist die Leber, da HDV nur in Hepatozyten repliziert. Eine Infektion anderer Organe wurde bisher nicht beschrieben.
- Resultierende Gewebeschäden: In der Leber führt die HDV-Infektion zu einer starken entzündlichen Reaktion mit Nekrose (Zelltod) und Fibrose (Narbenbildung). Bei chronischer Infektion ist das Risiko für die Entwicklung einer Leberzirrhose (vernarbte Leber) und eines hepatozellulären Karzinoms (Leberkrebs) signifikant erhöht.
Klinische Manifestation
Symptomatologie
Die Symptome einer HDV-Infektion variieren je nach Art der Infektion:
- Ko-Infektion (gleichzeitige Infektion mit HBV):
- Akute Hepatitis mit Ikterus (Gelbsucht)
- Müdigkeit, Übelkeit und Bauchschmerzen
- Fieber und Gelenkschmerzen
- Dunkler Urin und heller Stuhl
- Fulminante Hepatitis (in seltenen Fällen)
- Superinfektion (HDV bei bestehender HBV-Infektion):
- Rasche Verschlechterung der Leberfunktion
- Zunahme der Leberentzündung
- Häufiger Übergang in eine chronische Hepatitis
- Zunahme des Risikos für Leberzirrhose und Leberkrebs
Verläufe und Schweregrade
- Akute Hepatitis: Tritt häufiger bei Ko-Infektionen auf und verläuft oft mild bis moderat.
- Chronische Hepatitis: Bei Superinfektion entwickelt sich häufig eine chronische Hepatitis mit schweren Verläufen und schneller Zirrhoseentwicklung.
Prognosefaktoren
- Wirtsfaktoren:
- Alter: Kinder und ältere Menschen haben ein höheres Risiko für schwere Verläufe.
- Komorbiditäten: Vorbestehende Lebererkrankungen oder Immunsuppression erhöhen das Risiko für schwere Komplikationen.
- Erregerfaktoren:
- Die genetische Variabilität von HDV-Stämmen kann die Virulenz (Infektionskraft) beeinflussen.
- Ko-Infektionen mit anderen Hepatitisviren (z. B. Hepatitis C) erhöhen das Risiko für schwere Lebererkrankungen.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Hepatitis D ist eine durch das Hepatitis-D-Virus verursachte Lebererkrankung, die nur in Anwesenheit des Hepatitis-B-Virus auftreten kann. Sie führt häufig zu schweren, chronischen Verläufen und kann in kurzer Zeit zu Leberzirrhose und Leberkrebs führen. Präventionsmaßnahmen wie die Impfung gegen Hepatitis B sind der beste Schutz gegen eine HDV-Infektion. Eine frühzeitige Diagnose und engmaschige Kontrolle sind essenziell, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Sozioökonomische Faktoren – niedriger sozioökonomischer Status
- Geographische Faktoren – Hochprävalenzländern (Ferner Osten, tropische Länder)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Drogenkonsum (intravenös, d. h. durch die Vene)
- Sexuelle Übertragung
- Promiskuität (sexuelle Kontakte mit relativ häufig wechselnden verschiedenen Partnern oder mit parallel mehreren Partnern)
- Prostitution
- Männer, die Sex mit Männern haben (MSM)
- Sexuelle Kontakte im Urlaubsland
- Ungeschützter Koitus
Medikamente
- Blutprodukte
Weitere Ursachen
- Vertikale Infektion – Erregerübertragung von einem Wirt (hier: die Mutter) zu seinen Nachkommen (hier: das Kind):
- Übertragung der Infektion während der Geburt von der Mutter auf das Kind (perinatal)
- Iatrogene Übertragung