Ulcus cruris venosum – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das Ulcus cruris venosum (offenes Bein) ist eine chronische Wunde der unteren Extremitäten, die in etwa 80 % der Fälle auf eine chronisch venöse Insuffizienz (CVI; chronische Schwäche der Beinvenen) zurückzuführen ist. Die CVI führt zu einer venösen Hypertonie (erhöhter Venendruck) und Mikrozirkulationsstörungen (Störungen der kleinen Blutgefäße), die zur Ulkusbildung (Geschwürbildung) führen. In etwa 20 % der Fälle sind andere Ursachen wie arterielle Durchblutungsstörungen, diabetische Mikroangiopathie (kleinste Gefäßveränderungen bei Diabetes) oder autoimmune Vaskulitiden (Gefäßentzündungen) beteiligt.

Primäre pathophysiologische Mechanismen
  • Initialer Pathomechanismus – CVI entsteht meist durch eine Venenklappeninsuffizienz (Schwäche der Venenklappen) oder venöse Obstruktion (Blockade in den Venen, z. B. durch Blutgerinnsel). Dies führt zu einer Rückflussstörung (Reflux) und einem erhöhten Druck (Hypertonie) in den Beinvenen.
  • Mechanismen bei anderen Ursachen (20 % der Fälle) – Arterielle Insuffizienz (Durchblutungsmangel der Arterien), diabetische Mikroangiopathie und autoimmune Vaskulitiden können ebenfalls zu Mikrozirkulationsstörungen und beeinträchtigter Sauerstoffversorgung des Gewebes beitragen, was die Ulkusbildung begünstigt.
  • Molekulare und zelluläre Veränderungen – Der chronisch erhöhte venöse Druck schädigt die Endothelzellen (Zellen der Gefäßinnenwand) und erhöht die Kapillarpermeabilität (Durchlässigkeit der kleinsten Gefäße). Dadurch tritt Flüssigkeit ins umliegende Gewebe über und führt zu einem chronischen Ödem (dauerhafte Schwellung des Gewebes).
Sekundäre pathophysiologische Veränderungen
  • Veränderungen in der Gewebsarchitektur – Chronische Hypoxie (Sauerstoffmangel) und Entzündungen fördern die Fibrosierung (Narbenbildung) des Gewebes, was zu einer Verhärtung und Steifheit der betroffenen Hautbereiche führt.
  • Beteiligung des umgebenden Gewebes – Hypoxie und die gestörte Mikrozirkulation beeinträchtigen auch das subkutane Gewebe (Unterhautgewebe), was die Heilung zusätzlich erschwert.
  • Vaskuläre Veränderungen – Wiederholte Schädigungen des Gefäßendothels (Innenwand der Gefäße) und die resultierende Neoangiogenese (Neubildung von Blutgefäßen) führen zu brüchigen Kapillaren und verschlechtern die Mikrozirkulation weiter.
Progression und Organbeteiligung
  • Lokale Gewebeveränderungen – Chronische Hypoxie und Flüssigkeitsaustritte fördern die Gewebedestruktion (Zerstörung des Gewebes) und die Bildung tieferer Ulzera (Geschwüre).
  • Systemische Auswirkungen bei chronischen Verläufen – Eine lang anhaltende CVI oder gemischte Gefäßstörungen können systemische Entzündungen fördern und die Belastbarkeit und Lebensqualität der Patienten erheblich beeinträchtigen.
Funktionelle Auswirkungen und strukturelle Schäden
  • Beeinträchtigung der mechanischen Eigenschaften – Die Haut verliert an Elastizität und Festigkeit, was die Mobilität einschränkt.
  • Reduzierte Funktionalität – Die erhebliche Schädigung des Gewebes erschwert alltägliche Aktivitäten und führt zu dauerhaften Einschränkungen.
  • Schmerzentstehung – Hypoxie und chronische Entzündung verursachen dauerhafte Schmerzen im betroffenen Gebiet, die die Lebensqualität stark beeinträchtigen.
Regenerative und kompensatorische Prozesse
  • Versuche der Geweberegeneration – Durch die Hypoxie wird Neoangiogenese (Neubildung von Blutgefäßen) angeregt, die jedoch meist insuffizient ist und das Gewebe unzureichend versorgt.
  • Kompensatorische Anpassungsmechanismen – Die Fibrosierung (Narbenbildung) dient als Versuch, das geschädigte Gewebe zu stabilisieren, schränkt jedoch die Funktionalität langfristig ein.
  • Limitierende Faktoren für Regeneration und Heilung – Chronische Entzündung, gestörte Mikrozirkulation und Infektionen hemmen eine adäquate Gewebereparatur.
Klinisches Bild
  • Frühe Symptome und Anzeichen:
    • Schwere- und Spannungsgefühl in den Beinen, oft abends verstärkt
    • Ödeme (Schwellungen), die im Tagesverlauf zunehmen
    • Hyperpigmentierung (Hautverfärbung) und erste Hautveränderungen im Knöchelbereich
  • Fortgeschrittene Symptome:
    • Lipodermatosklerose (Verhärtung und Verfärbung des Haut- und Unterhautgewebes)
    • Trophische Hautveränderungen wie Atrophie blanche (weiße Narbenareale)
    • Nicht heilende, exsudierende Ulzera (nässende Geschwüre) im Innenknöchelbereich
  • Begleitsymptome bei schwerer CVI oder Mischformen:
    • Schmerzhaftigkeit der Ulzera
    • Wiederkehrende Infektionen und erhöhte Infektionsanfälligkeit
    • Einschränkungen der Beweglichkeit durch Schmerzen und chronische Entzündung
Zusammenfassung und klinische Relevanz

Das Ulcus cruris venosum ist eine chronische Wunde an der unteren Extremität, die in 80 % der Fälle durch eine CVI und in 20 % durch andere vaskuläre oder systemische Ursachen (arterielle Insuffizienz, diabetische Mikroangiopathie, autoimmune Vaskulitiden) hervorgerufen wird. Die Pathogenese ist geprägt durch venöse Hypertonie, Mikrozirkulationsstörungen und Hypoxie, die zu erheblichen Gewebeschäden führen. Eine frühzeitige Diagnose und gezielte Therapie sind essentiell, um die Ulkusbildung zu verhindern und das Risiko für Komplikationen zu minimieren.

Ätiologie (Ursachen) des Ulcus cruris (UC)

Biographische Ursachen

  • Lebensalter – zunehmendes Alter

Krankheitsbedingte Ursachen

Herzkreislaufsystem (I00-I99) [häufigste ursächliche Erkrankung des Ulcus cruris venosum]

  • Chronischvenöse Insuffizienz (CVI)/primäre Varikose (Ulcus cruris varicosum: ca. 60-80 % aller Ulzera)
  • Leitveneninsuffizienz – Funktionsstörung der tiefen Venen des Beines, im Rahmen derer die Klappen in den tiefen Venen nicht mehr schließen und somit nicht mehr ihre Funktion als Ventil erfüllen können
  • Postthrombotisches Syndrom (PTS) – mögliche Spätkomplikation nach Auftreten einer tiefen Beinvenenthrombose (TVT)
  • Sekundäre Varikose – Behinderung des Blutabflusses im tiefen Venensystem, beispielsweise durch Thrombosen oder durch Venenklappenschäden der tiefen Venen als Folge von Thrombosen

Weitere Ursachen eines chronischen Ulcus cruris (UC) sind:

  • Genetischer Defekte: z. B. Faktor-V-Mutation, Klinefelter-Syndrom, Spina bifida
  • Alkoholabusus
  • Erkrankungen
    • Dermatosen (Hauterkrankungen): z. B. Pyoderma gangraenosum, Lupus erythematodes, Morphea, Necrobiosis lipoidica, systemische Sklerodermie,  
    • Endokrinologische Erkrankungen (Erkrankung der hormonproduzierenden Drüsen): z. B. Diabetes mellitus (ca. 30 % aller Fälle von UC)
    • Gefäßerkrankungen, arterielle → Ulcus cruris arteriosum (ca. 10-15 % aller Ulzera)
      • Angiopathie (Gefäßkrankheit)
      • Angiodysplasien – Gefäßmissbildungen von Arterien, Venen oder Lymphgefäßen
      • Hypertonie/Bluthochdruck (Ulcus hypertonicum Martorell)
      • Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) – fortschreitende Stenosierung (Verengung) bzw. Okklusion (Verschluss) der die Arme/ (häufiger) Beine versorgenden Arterien, meist aufgrund einer Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung)
      • Thrombangiitis obliterans (Synonyme: Endarteriitis obliterans, Morbus Winiwarter-Buerger, Von-Winiwarter-Buerger-Krankheit, Thrombangitis obliterans) – Vaskulitis (Gefäßerkrankung), die mit rezidivierenden (wiederkehrenden) arteriellen und venösen Thrombosen (Blutgerinnsel (Thrombus) in einem Blutgefäß) einhergeht; Symptome: belastungsabhängige Schmerzen, Akrozyanose (Blaufärbung der Körperanhänge) und trophische Störungen (Nekrose/ Gewebeschäden, die durch das Absterben von Zellen entstehen und Gangrän der Finger und Zehen im fortgeschrittenen Stadium); mehr oder weniger symmetrisches Auftreten; junge Patienten (< 45 Jahre)
      • Thromboembolien (z. B. bei Aneurysmen)
      • Vaskulitiden – entzündlich-rheumatische Erkrankungen, die durch eine Neigung zu Entzündungen der (meist) arteriellen Blutgefäße gekennzeichnet sind.
    • Hämatologische Erkrankungen, z. B.
      • Hyperkoagulopathien (pathologische erhöhte Gerinnungszeit des Blutes): Faktor-V-Leiden (APC-Resistenz), Protein-C oder Protein-S-Mangel, ATIII-Mangel, Antiphospholipidsyndrom
      • Sichelzellanämie
    • Infektionen: S. aureus, gramnegative Erreger, seltene Infektionen (Leishmaniose, Mykosen, Mykobakteriose, Sporotrichiose)
    • Neubildungen: z. B. Basalzellkarzinom (BZK; Basaliom), Plattenepithelkarzinom der Haut; selten: Lymphome, Sarkome, Metastasen
    • Stoffwechselerkrankungen: kalzifizierende urämische Arteriolopathie (Kalziphylaxie), Gicht, Dysproteinämie (Störung des Eiweißhaushalts im Blut)
  • Medikamente, z. B. Hydroxyurea, Phenprocoumon
  • Exogene Faktoren, z. B. Manipulation, thermische Effekte/Verbrennungen, Dekubitus, Bestrahlungsfolgen, Trauma (Verletzungen)

Ca. 18 % aller Ulzera cruris sind arteriell-venöse Ulzera.