Supraventrikuläre Tachykardie – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die supraventrikuläre Tachykardie (SVT) bezeichnet eine Gruppe von Herzrhythmusstörungen, deren Ursprung oberhalb der Ventrikel (Herzkammern) liegt, also im Vorhof (Atrium) oder im AV-Knoten (Atrioventrikular-Knoten). SVT ist durch eine schnelle Frequenz (100-250 Schläge pro Minute) mit einem schmalen QRS-Komplex im Elektrokardiogramm (EKG) charakterisiert. Der Mechanismus der supraventrikulären Tachykardien kann durch Reentry-Phänomene, fokale Automatismen (autonome Erregungsbildung) oder getriggerte Aktivität (ausgelöste Erregung) bedingt sein.
Reentry-Mechanismen (häufigster Pathomechanismus)
Die häufigste Ursache einer supraventrikulären Tachykardie ist ein Reentry-Mechanismus. Hierbei handelt es sich um kreisende Erregungen innerhalb eines bestimmten Bereichs des Herzens, die durch unterschiedliche Leitungsgeschwindigkeiten und Refraktärzeiten (Erholungsphasen) der beteiligten Bahnen entstehen. Der Begriff Reentry bezeichnet eine Rückkopplung der Erregung, bei der ein Impuls wieder in das gleiche Gewebe eintritt, das er bereits erregt hat. Dies führt zu einem kreisenden Erregungskreislauf und damit zu einer wiederholten Aktivierung der Herzzellen, was eine Tachykardie (Herzrasen) verursacht.
Typische Formen des Reentry bei supraventrikulären Tachykardien sind:
- Intraatrialer Reentry (IART): Hierbei handelt es sich um eine kreisende Erregung innerhalb der Vorhöfe. Der Reentry-Kreislauf verläuft typischerweise um natürliche Barrieren (z. B. Narbengewebe oder Herzklappenebene).
- AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (AVNRT): Diese Form entsteht durch kreisende Erregungen im Bereich des AV-Knotens. Bei der AVNRT kommt es durch das Vorhandensein von zwei unterschiedlichen Leitungsbahnen (schnelle und langsame Bahn) innerhalb des AV-Knotens zu einem Reentry-Kreislauf. Der Impuls wird so immer wieder zwischen den Bahnen hin- und hergeleitet.
- AV-Reentry-Tachykardie (AVRT): Diese Form der SVT tritt auf, wenn eine zusätzliche Leitungsbahn (akzessorische Bahn; "Nebenbahn") zwischen Vorhof und Kammer vorhanden ist, die den Impuls über eine parallele Struktur anstelle des physiologischen AV-Knotens leitet (z. B. Kent-Bündel beim Wolff-Parkinson-White-Syndrom, WPW-Syndrom).
Fokale Automatismen
Neben den Reentry-Mechanismen können fokale Automatismen eine Ursache für SVT darstellen. Dabei wird die Tachykardie durch eine ektopische Erregungsbildung (abnorme Impulsentstehung) in einem einzelnen, abnorm aktiven elektrischen Fokus (Erregungszentrum innerhalb des Vorhofs oder des AV-Knotens ausgelöst. Dieser Fokus produziert aufgrund einer gestörten Zellmembranpolarisation (Depolarisation; Ladungsverschiebung innerhalb der Zelle) wiederholt elektrische Impulse, die die normale Herzfrequenz überschreiten. Der Mechanismus kann dabei auf einer erhöhten Aktivität der Funny Channels (HCN-Kanäle) oder einer Spontandepolarisation der betroffenen Zellen beruhen.
Getriggerte Aktivität
Ein weiterer Pathomechanismus ist die getriggerte Aktivität, die durch frühe Nachdepolarisationen (early afterdepolarizations, EADs) oder späte Nachdepolarisationen (delayed afterdepolarizations, DADs) bedingt ist. Diese Mechanismen entstehen durch eine Überladung des Myokards (Herzmuskel) mit intrazellulärem Calcium (Calciumsüberschuss in der Zelle) und führen dazu, dass eine nachfolgende Depolarisation (Ladungsverschiebung) des Herzmuskels ausgelöst wird, bevor die reguläre Herzfrequenz eintritt.
Differenzierung der SVT nach Pathomechanismus
Nach dem zugrunde liegenden Pathomechanismus kann man die SVT wie folgt klassifizieren:
- Reentry-bedingte Tachykardien (80-90 % der SVT-Fälle):
- AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (AVNRT): Häufigste Form der SVT.
- AV-Reentry-Tachykardie (AVRT): Typisch bei Patienten mit akzessorischen Leitungsbahnen (z. B. WPW-Syndrom).
- Intraatrialer Reentry (IART): Besonders häufig bei Patienten nach Operationen am Herzen.
- Fokale atriale Tachykardie:
- Tachykardie aus einem einzelnen elektrischen Fokus im Vorhof, der durch gesteigerte Automatizität hervorgerufen wird.
- Getriggerte atriale Tachykardie:
- Ausgelöst durch frühe oder späte Nachdepolarisationen aufgrund einer Calcium-Überladung.
Risikofaktoren für die Entstehung einer SVT
Die Pathogenese der SVT kann durch verschiedene Risikofaktoren begünstigt werden:
- Strukturelle Herzveränderungen: Narbengewebe nach Myokardinfarkt, Klappenfehler, hypertrophe oder dilatative Kardiomyopathien.
- Elektrolytstörungen: Hypokaliämie (Kaliummangel), Hypomagnesiämie (Magnesiummangel) und Calciumstörungen können zu einer vermehrten elektrischen Aktivität im Vorhof führen.
- Medikamentöse Einflüsse: Digitalis (Herzglykoside), Sympathomimetika (sympathikusanregende Medikamente) und Antiarrhythmika (Mittel gegen Herzrhythmusstörungen) können die Entstehung von SVT begünstigen.
- Stimulation des Sympathikus: Stress, erhöhte körperliche Aktivität oder Stimulation des autonomen Nervensystems (Vegetativum) führen zur Steigerung der Herzfrequenz und damit zu einer erhöhten Neigung zur SVT.
- Angeborene Leitungsanomalien: Akzessorische Leitungsbahnen wie beim WPW-Syndrom führen zu AV-Reentry-Tachykardien.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die supraventrikuläre Tachykardie ist eine häufige Herzrhythmusstörung, die durch verschiedene Mechanismen (Reentry, fokale Automatismen und getriggerte Aktivität) ausgelöst wird. Besonders die Reentry-Mechanismen sind von klinischer Bedeutung, da sie zu plötzlichen Tachykardien mit einer sehr schnellen Herzfrequenz führen können, die für den Patienten symptomatisch werden. Die Diagnostik und Therapie richten sich nach der genauen Lokalisierung und dem Pathomechanismus der Tachykardie, da diese Informationen für eine gezielte Behandlung (z. B. medikamentöse Therapie oder Ablation) essenziell sind.
Ätiologie (Ursachen)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Drogenkonsum
- Cannabis (Haschisch und Marihuana) etc. – supraventrikuläre Tachykardien pro Tag ↑ (Risiko um 42% erhöht) [1]
Krankheitsbedingte Ursachen
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion)
- Hypokaliämie (Kaliummangel)
- Hypomagnesiämie (Magnesiummangel)
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
- Herzklappenfehler (Klappenvitium), nicht näher bezeichnet
- Myokardinfarkt (Herzinfarkt)
- Myokarditis (Herzmuskelentzündung)
- WPW-Syndrom (Wolff-Parkinson-White-Syndrom) ‒ Herzrhythmusstörung, die durch eine elektrisch kreisende Erregung zwischen Herzvorhöfen und Herzkammern entsteht
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)
- Schock, nicht näher bezeichnet
Medikamente
- Digitalisintoxikation ‒ Vergiftung mit einem Medikament, welches bei Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz (Herzschwäche) eingesetzt wird.
Literatur
- Harding B et al.: Self-reported marijuana use and cardiac arrhythmias (from the Multiethnic Study of Atherosclerosis). The American Journal of Cardiology 2022. https://doi.org/10.1016/j.amjcard.2022.05.004