Raynaud-Syndrom – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Das Raynaud-Syndrom ist eine funktionelle Durchblutungsstörung der Akren (periphere Endglieder der Gliedmaßen, z. B. Finger und Zehen), die durch Vasospasmen (krampfartige Verengung der Gefäße) bedingt ist. Die Vasospasmen führen zu einer Minderdurchblutung (Ischämie) der betroffenen Körperpartien. Das Syndrom manifestiert sich typischerweise an den Fingern und seltener an den Zehen, Ohren oder der Nase.
Pathophysiologische Mechanismen
- Vasospasmen und Dysregulation der Gefäßmuskulatur:
- Beim Raynaud-Syndrom kommt es zu einer plötzlichen Verengung der kleinen Arterien und Arteriolen infolge einer überschießenden Reaktion des autonomen Nervensystems. Dabei spielen eine Überaktivität des Sympathikus und eine Fehlregulation der Gefäßmuskulatur eine zentrale Rolle.
- Die Vasospasmen werden durch verschiedene Auslöser wie Kälteexposition, emotionale Belastung oder mechanische Reize (z. B. Vibrationen) provoziert. Die pathologische Reaktion auf diese Auslöser führt zu einem abrupten Gefäßverschluss und einer drastischen Reduktion des Blutflusses in den betroffenen Akren.
- Endotheliale Dysfunktion:
- Bei Patienten mit primärem und sekundärem Raynaud-Syndrom findet sich häufig eine endotheliale Dysfunktion (gestörte Funktion der Gefäßinnenwand), die eine Fehlregulation von Vasokonstriktoren (Gefäßverengern) und Vasodilatatoren (Gefäßerweiterern) bedingt. Insbesondere eine erhöhte Sensibilität gegenüber Noradrenalin (Vasokonstriktor) trägt zur pathologischen Gefäßverengung bei.
- Eine verringerte Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO), einem wichtigen Vasodilatator, kann ebenfalls zu einer verstärkten Vasokonstriktion beitragen.
- Gefäßumbau und strukturelle Veränderungen (bei sekundärem Raynaud-Syndrom):
- Beim sekundären Raynaud-Syndrom (z. B. im Rahmen von Kollagenosen wie systemischer Sklerose) kommt es neben der funktionellen Störung auch zu strukturellen Veränderungen der Gefäße. Diese beinhalten eine Verdickung der Gefäßwand, eine Vermehrung der glatten Muskelzellen und eine Verkleinerung des Gefäßlumens, was die Schwere und Dauer der Vasospasmen weiter verstärkt.
- Die Mikrozirkulationsstörung kann in schweren Fällen zu Gewebeischämien und trophischen Veränderungen (Schädigungen der Haut und des Weichgewebes) führen.
- Mikrozirkulationsstörungen und Perfusionsdefizit:
- Die Vasospasmen resultieren in einer hypoxischen Ischämie der betroffenen Finger oder Zehen, die zu einer dreiphasigen Symptomatik führt:
- Ischämische Phase: Blässe durch fehlende arterielle Versorgung.
- Zyanotische Phase: Bläuliche Verfärbung durch vermehrte Desoxygenierung des Blutes.
- Reaktive Hyperämie: Intensive Rötung aufgrund eines verstärkten Blutflusses nach Beendigung des Vasospasmus.
- Die Vasospasmen resultieren in einer hypoxischen Ischämie der betroffenen Finger oder Zehen, die zu einer dreiphasigen Symptomatik führt:
- Genetische und molekulare Mechanismen:
- Es gibt Hinweise auf eine genetische Prädisposition für das primäre Raynaud-Syndrom, wobei verschiedene Gene, die für die Regulation der Gefäßmuskulatur verantwortlich sind, beteiligt sein könnten. Beim sekundären Raynaud-Syndrom stehen Autoimmunmechanismen und die Bildung von Autoantikörpern im Vordergrund.
Formen des Raynaud-Syndroms
- Primäres Raynaud-Syndrom: Tritt ohne erkennbare Grunderkrankung auf. Die Pathogenese ist hauptsächlich auf eine Fehlregulation des autonomen Nervensystems zurückzuführen.
- Sekundäres Raynaud-Syndrom: Tritt im Zusammenhang mit anderen Grunderkrankungen (z. B. systemische Sklerose, Lupus erythematodes) auf. Hier spielen strukturelle Gefäßveränderungen, Mikrothromben und Autoimmunprozesse eine bedeutende Rolle.
Zusammenfassung
Das Raynaud-Syndrom ist eine funktionelle Durchblutungsstörung, die durch Vasospasmen der kleinen Arterien und Arteriolen bedingt ist. Beim primären Raynaud-Syndrom stehen eine Fehlregulation des autonomen Nervensystems und eine erhöhte Sensibilität gegenüber Vasokonstriktoren im Vordergrund, während das sekundäre Raynaud-Syndrom mit strukturellen Gefäßveränderungen und Autoimmunprozessen assoziiert ist.
Ätiologie (Ursachen)
Primäres Raynaud-Syndrom
Biographische Ursachen
- Genetische Ursachen – zwei Gene sind häufiger verändert. Diese betreffen [1]:
- alpha-2A-adrenerge Rezeptor für Adrenalin, ADRA2A, ein klassischer Stressrezeptor, der bewirkt, dass sich die kleinen Gefäße zusammenziehen.
- Transkriptionsfaktor IRX1, der die Fähigkeit zur Gefäßerweiterung regulieren könnte.
Verhaltensbedingte Ursachen des primären Raynaud-Syndroms
- Kälte
- Emotionale Stressoren
Sekundäres Raynaud-Syndrom
Verhaltensbedingte Ursachen des sekundären Raynaud-Syndroms
- Genussmittelkonsum
- Tabak (Rauchen)
- Drogenkonsum
- Amphetamine (indirektes Sympathomimetikum)
- Kokain
Krankheitsbedingte Ursachen des sekundären Raynaud-Syndroms
Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)
- Essentielle Thrombozythämie (ET) – chronische myeloproliferative Erkrankung (CMPE, CMPN), die durch eine chronische Erhöhung der Thrombozyten (Blutplättchen) charakterisiert ist
- Kälteagglutininsyndrom – erworbene Erkrankung, die mit der Bildung von Kälteagglutinien (spezielle Autoantikörper) einhergeht
- Kryoglobulinämie – chronisch rezidivierende Immunkomplexvaskulitiden (Immunerkrankung der Gefäße), die durch den Nachweis abnormaler, kältepräzipitierender Serumproteine (Kälte-Antikörper) gekennzeichnet sind
- Polycythaemia vera (PV) – krankhafte Vermehrung von Blutzellen (insbesondere betroffen sind: insbesondere Erythrozyten/rote Blutkörperchen, in geringerem Maße auch Thrombozyten (Blutplättchen) und Leukozyten/weiße Blutkörperchen); stechender Juckreiz nach Kontakt mit Wasser (aquagener Pruritus)
- Thrombozytose – krankhafte Vermehrung von Thrombozyten (Blutplättchen)
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Atherosklerose (Arteriosklerose; Arterienverkalkung)
- Periphere arterielle Embolien – Verschluss von Arterien
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) – fortschreitende Verengung bzw. Verschluss der die Arme/ (häufiger) Beine versorgenden Arterien, meist aufgrund von Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung)
- Primäre pulmonale Hypertonie – Besonders bei Kollagenosen wie Sklerodermie.
- Thrombangiitis obliterans (Synonyme: Endarteriitis obliterans, Morbus Winiwarter-Buerger, Von-Winiwarter-Buerger-Krankheit, Thrombangitis obliterans) – Vaskulitis (Gefäßerkrankung), die mit rezidivierenden (wiederkehrenden) arteriellen und venösen Thrombosen (Blutgerinnsel (Thrombus) in einem Blutgefäß) einhergeht; Symptome: belastungsabhängige Schmerzen, Akrozyanose (Blaufärbung der Körperanhänge) und trophische Störungen (Nekrose/ Gewebeschäden, die durch das Absterben von Zellen entstehen und Gangrän der Finger und Zehen im fortgeschrittenen Stadium)
Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)
- Kollagenosen
- CREST-Syndrom (Calcinosis cutis, Raynaud-Syndrom, Ösophagusmotilitätsstörung (Bewegungsstörung der Speiseröhre), Sklerodaktylie Sklerose der Fingerhaut im Rahmen einer Sklerodermie), Teleangiektasien (sichtbare Erweiterungen oberflächlich gelegener kleinster Blutgefäße); Synonym: limitierte systemische Sklerodermie, lSSc)
- Progressive systemische Sklerose (Synonym: systemische Sklerodermie) – Erkrankung, die mit einer Bindegewebsvermehrung der Haut in Kombination mit einer Bindegewebsvermehrung innerer Organe einhergeht
- Systemischer Lupus erythematodes (SLE) – Autoimmunerkrankung mit Bildung von Autoantikörpern vor allem gegen Antigene der Zellkerne, unter Umständen auch gegen Blutzellen und andere Körpergewebe
- Sharp-Syndrom – chronisch-entzündliche Bindegewebserkrankung, die die Symptome mehrerer Kollagenosen beinhaltet
- Sudeck-Dystrophie – Schmerzsyndrom, welches nach Operationen oder Verletzungen auftreten kann
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Plasmozytom – Systemerkrankung, die zur malignen (bösartigen) Vermehrung von Plasmazellen führt; die Erkrankung führt vor allem zu Knochenbefall und Blutbildveränderungen
Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)
- Karpaltunnelsyndrom (KTS) – Kompressionssyndrom (Engpasssysndrom) des Nervus medianus, welches mit Parästhesien (Fehlwahrnehmungen), Schmerzen und Verlust der Griffstärke einhergeht
Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)
- Hyperviskositätssyndrom, z. B. bei essentieller Thrombozythämie (ET) oder Polycythaemia vera (PV)
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)
- Schwermetalle
- Vibrantionsschäden
Medikamente (die das Raynaud-Phänomen auslösen oder verschlechtern können)
- Abschwellende Nasentropfen (Wirkstoffe: direkte oder indirekte Sympathomimetika)
- Ergotaminderivate inkl. Bromocryptin
- Betablocker
- Clonidin
- Cyclosporin
- Interferon α und β
- Katecholamine
- Monoklonale Antikörper – Sekukinumab, Tyrosinkinase-Inhibitoren
- Östrogene
- Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker)?
- Ribavirin (Virostatikum
- Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Selective Serotonin Reuptake Inhibitor, SSRI)
- Zytostatika
- Bleomycin
- Cisplatin
- Gemcitabin
Literatur
- Hartmann S et al.: "ADRA2A and IRX1 are putative risk genes for Raynaud’s phenomenon", Nat Commun 14, 6156 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-41876-5