Intrazerebrale Blutung (ICB) – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der intrazerebralen Blutung (ICB) dar.

Der Patient wird als medizinischer Notfall in die Klinik eingeliefert. In der Regel ist er nicht ansprechbar, sodass das Anamnesegespräch mit Angehörigen bzw. Kontaktpersonen (= Fremdanamnese) erfolgt.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie häufig Gerinnungsstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurologische Krankheiten oder Tumorerkrankungen?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Gab es einen Unfall?
  • Leiden Sie unter plötzlich aufgetretenen, heftigsten Kopfschmerzen?*
  • Lag eine Bewusstlosigkeit vor?* (Fremdanamnese)
  • Haben Sie Symptome wie Gangunsicherheit, Lähmungen, Schwindel, Sehstörungen, Sensibilitätsausfälle oder Sprachstörungen bemerkt?*
  • Kam es zu epileptischen Anfällen?*
  • Haben Sie ggf. weitere Beschwerden wie
    • Übelkeit
    • Erbrechen
  • Wenn ja, wie lange bestehen diese Symptome schon bzw. traten sie schlagartig auf?*
  • Sind diese Symptome früher schon einmal aufgetreten?*

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Sind Sie übergewichtig? Geben Sie uns bitte Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Bewegen Sie sich täglich ausreichend?
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
  • Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen (Amphetamine, Crystal Meth, Kokain) und wie häufig pro Tag bzw. pro Woche?

Eigenanamnese 

  • Vorerkrankungen (Hypertonie!, Gefäßerkrankungen, Gerinnungsstörungen, Tumoren)
  • Operationen
  • Allergien
  • Schwangerschaft

Medikamentenanamnese

  • Antikoagulantien
    • Cumarine (Phenprocoumon* (Produktnamen: Marcumar, Falithrom); Warfarin (Produktnamen: Coumadin, Marevan); Acenocumarol (Produktname: Sintrom)
    • Direkte Inhibitor des Thrombins (Argatroban, Lepirudin)
    • Heparin-Analoga (Fondaparinux)
    • Heparine (Certoparin, Dalteparin, Enoxaparin, Nadroparin, Reviparin, Tinzaparin)
    • Heparinoide (Danaparoid
    • Neue orale Antikoagulantien (NOAK; NOAC; direkte orale Antikoagulantien, DOAK)
      • Direkter Faktor Xa-Inhibitor (Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban)
      • Direkter und selektiver Faktor-Xa-Inhibitor (Apixaban)
      • Selektiver Thrombininhibitor (Dabigatran); Antidot: Idarucizumab kann die Wirkung des oralen Antkoagulans Dabigatran innerhalb von Minuten aufheben; Blutungstopp innerhalb von 2,5 Stunden – es kann aber nach 12 bis 24 Stunden zu einem erneuten Anstieg der Blutungszeiten kommen, was bei einigen Patienten zu einer erneuten Blutung führte [1].
    • Statine – medikamentöse Senkung von LDL-Cholesterin geht mit einer absoluten Risikoerhöhung um 0,3 % für hämorrhagische Infarkte einher [3]
    • Thrombozytenaggregationshemmer (Abciximab, Acetylsalicylsäure (ASS), Kombination aus Acetylsalicylsäure und Dipyridamol, Clopidogrel, Eptifibatid, Ilomedin (Prostacyclin-Analogon), Prasugrel, Ticagrelor, Ticlopidin, Tirofiban)
      Eine niedrig dosierte (bis 300 mg/Tag) Dauermedikation mit Acetylsalicylsäure (ASS; Thrombozytenaggregationshemmer), wie sie im Rahmen der Primär- und Sekundärprävention von vaskulären Ereignissen verordnet wird, erhöht nicht das Risiko intrakranieller Blutungen [2].
  • Fibrinolytika (Arzneimittel zur akuten Behandlung von Erkrankungen, die durch einen Gefäßverschluss verursacht werden; sie führen zur Auflösung des Blutgerinnsels)
  • Hormone – z. B. kombiniertes hormonales Kontrazeptivum (Empfängnisverhütungsmittel) → Hirnvenen und/oder Sinusthrombose

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Beachte: Bei Verdacht auf eine intrazerebralen Blutung liegt stets ein Notfall vor!

Literatur

  1. Shin JY et al.: Risk of intracranial haemorrhage in antidepressant users with concurrent use of non-steroidal anti-inflammatory drugs: nationwide propensity score matched study. BMJ 2015; 351. doi.org/10.1136/bmj.h3517
  2. Cea Soriano L, Gaist D, Soriano-Gabarró M, Bromley S, García Rodríguez LA: Low-dose aspirin and risk of intracranial bleeds: An observational study in UK general practice. Neurology 2017; 89: 2280-7
  3. Bétrisey S et al.: Lipid-Lowering Therapy and Risk of Hemorrhagic Stroke: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. J Am Heart Assoc 2024;13:e030714. https://doi.org/10.1161/JAHA.123.030714