Herzklappenfehler (Herzvitien) – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Das menschliche Herz besteht aus zwei getrennten Systemen, dem linken und dem rechten Herz, die jeweils aus einem Vorhof (Atrium) und einer Kammer (Ventrikel) bestehen. Die Herzklappen regulieren den Blutfluss in und aus diesen Herzkammern.

  • Linkes Herz: Zwischen dem linken Vorhof (Atrium cordis sinistrum) und der linken Herzkammer (Ventrikel) befindet sich die Mitralklappe (Bikuspidalklappe), die als Einlassventil fungiert. Das Auslassventil des linken Ventrikels ist die Aortenklappe, die den Blutstrom in die Hauptschlagader (Aorta) reguliert.
  • Rechtes Herz: Zwischen dem rechten Vorhof (Atrium cordis dextrum) und dem rechten Ventrikel befindet sich die Trikuspidalklappe als Einlassventil. Das Auslassventil des rechten Ventrikels ist die Pulmonalklappe, welche den Blutstrom in die Lungenarterie steuert.

Mechanismen der Entstehung erworbener Herzklappenfehler

Die Pathogenese erworbener Herzklappenfehler (Herzvitien) beruht vor allem auf entzündlichen und degenerativen Prozessen, die die Herzklappen betreffen. Diese Veränderungen können sowohl zu einer Klappenstenose (Verengung der Klappe) als auch zu einer Klappeninsuffizienz (Undichtigkeit der Klappe) führen.

Entzündliche Ursachen

Eine der häufigsten Ursachen für Herzklappenfehler ist die Rheumatische Endokarditis, eine Folge einer durch Streptokokken ausgelösten rheumatischen Erkrankung. Entzündungen des Endokards (Herzinnenhaut), insbesondere der Herzklappen, führen im Verlauf zu einer Verformung der Klappenstruktur und somit zu Funktionsstörungen:

  • Klappenstenose: Narbenbildung und Verkalkungen infolge der Entzündung können die Beweglichkeit der Klappe einschränken, sodass der Blutfluss durch die betroffene Klappe behindert wird.
  • Klappeninsuffizienz: Schädigungen des Klappengewebes verhindern den vollständigen Verschluss der Klappe, was zu einem Rückfluss von Blut in die Herzkammern führt.

Infektiöse Ursachen

Die infektiöse Endokarditis ist eine schwere bakterielle Entzündung der Herzklappen, die durch Bakterien wie Staphylokokken oder Streptokokken verursacht wird. Diese Infektion kann zur Zerstörung der Klappen und zur Bildung von Vegetationen führen, die den Blutfluss behindern und zu einer akuten Insuffizienz führen.

Degenerative und altersbedingte Ursachen

Mit zunehmendem Alter können die Herzklappen verkalken und degenerieren. Dies betrifft besonders die Aortenklappe und die Mitralklappe, die häufigsten Klappen, die von degenerativen Prozessen betroffen sind. Bei älteren Menschen entwickelt sich häufig eine Aortenklappenstenose durch Verkalkungen der Klappenränder.

  • Mitralklappenprolaps: Bei dieser degenerativen Erkrankung wölbt sich die Mitralklappe in den linken Vorhof zurück, was zu einer Klappeninsuffizienz führt.

Immunologische und autoimmunbedingte Ursachen

Immunologisch vermittelte Erkrankungen wie der systemische Lupus erythematodes (SLE) können ebenfalls die Herzklappen betreffen. Diese Autoimmunprozesse führen zu einer Entzündung der Klappen und zu einer Schädigung des Klappengewebes.

Endokard- und Myokarderkrankungen

Erkrankungen des Endokards (Herzinnenhaut) und Myokards (Herzmuskulatur) können die Struktur und Funktion der Herzklappen beeinträchtigen. Dilatative Kardiomyopathie und andere Herzmuskelerkrankungen führen häufig zu einer relativen Klappeninsuffizienz, da die Klappenringe erweitert sind und die Klappen nicht mehr vollständig schließen können.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern1+2+3  es wurden inzwischen 25 Gene gefunden, die eine statistisch signifikante Assoziation mit der Entstehung angeborener Herzfehler aufwiesen; zugleich wurde darauf hingewiesen, dass Neumutationen bei Patienten mit syndromalen Herzfehlern die größte Bedeutung zukommt [3]
    • Genetische Erkrankungen
      • Ehlers-Danlos-Syndrom2+3+4+5  Gruppe von genetischen Bindegewebserkrankungen, die gekennzeichnet sind durch eine erhöhte Elastizität der Haut und ungewöhnliche Zerreißbarkeit derselbigen
      • Marfan-Syndrom2+3+5  genetische Erkrankung, die sowohl autosomal-dominant vererbt werden oder vereinzelt (als Neumutation) auftreten kann; systemische Bindegewebserkrankung, die vor allem durch Hochwuchs auffällt; 75 % dieser Patienten haben ein Aneurysma (pathologische (krankhafte) Ausbuchtung der Arterienwand)
  • Gravidität (Schwangerschaft) der Mutter: 
    • erhöhter Blutzucker während der Organentwicklung im ersten Trimenon (Schwangerschaftsdrittel): pro Anstieg des Blutzuckers um 10 mg/dl führte zu einer Zunahme der Herzfehler um 8 Prozent [6].
    • Kinder von Frauen mit einem Typ-1-Diabetes haben ein fast 4-fach erhöhtes Risiko, mit einem Herzfehler geboren zu werden; für den Typ-2-Diabetes besteht ein zweifach erhöhtes Risiko [12].
  • Eltern: Alkoholkonsum der Eltern6 vor der Zeugung [10]

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Vitamin-K1-Mangel – Niedrige Vitamin-K1-Zufuhr erhöht das Risiko für Aortenklappenstenosen (Hazard Ratio [HR]: 0,77 bei ausreichender Zufuhr) [4].
  • Genussmittelkonsum
    • Elterlicher Alkoholkonsum vor der Zeugung – Alkoholkonsum der Eltern erhöht das Risiko für angeborene Herzvitien [10].
  • Körperliche Aktivität
    • Mangelnde Bewegung – Bewegungsmangel führt indirekt zu Übergewicht und einer erhöhten kardiovaskulären Belastung.
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)[1]
  • Androide Körperfettverteilung4, das heißt abdominales/viszerales, stammbetontes, zentrales Körperfett (Apfeltyp) – es liegt ein hoher Taillenumfang bzw. ein erhöhter Taille-Hüft-Quotient (THQ; englisch: waist-to-hip-ratio (WHR)) vor [1]Bei der Messung des Taillenumfangs gemäß der Richtlinie der International Diabetes Federation (IDF, 2005) gelten folgende Normwerte.
    • Männer < 94 cm
    • Frauen < 80 cm
  • Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft veröffentlichte 2006 etwas moderatere Zahlen für den Taillenumfang: < 102 cm bei Männern.

Krankheitsbedingte Ursachen

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)

  • Chromosomendefekte, nicht näher bezeichnet
  • Ehlers-Danlos-Syndrom2+3+4+5  (s. u. "Biographische Ursachen")
  • Marfan-Syndrom2+3+5  (s. u. "Biographische Ursachen")

Haut und Unterhaut (L00-L99)

  • Psoriasis (Schuppenflechte) (doppelt so hohes Risiko für eine Aortenklappenstenose (Aortenklappenklappensverengung) wie in der Referenzbevölkerung [1])

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Atherosklerose5 (Arteriosklerose, Arterienverkalkung)
  • Endokarditis1+2+4+5 (Herzinnenhautentzündung)
  • Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck)
    • Höhe des systolischen Blutdruck stand in einer großen Studie in log-linearer Beziehung zum Risiko für Mitralinsuffizienz [5]
    • Untersuchung auf Grundlage der sogenannten Mendelschen Randomisierung (GRS; Assoziation/130 Genvarianten (SNP, Single-Nucleotide Polymorphisms: erhöhte systolische Blutdruckwerte): mit jeder anhand des GRS voraussagbaren Zunahme des systolischen Blutdrucks um 20 mmHg erhöhte sich das Risiko für [9]:
      • Aortenklappenstenose: 3,26-fache (Odds-Ratio [OR] 3,26; 95 % Konfidenzintervall [CI] 1,50-7,10, p=0,002)
      • Aortenklappeninsuffizienz: 2,59-fache (OR 2,59; 95 % CI 0,75-8,92, p=0,13).
      • Mitralklappeninsuffizienz: 2,19-fache (OR 2,19; 95 % CI 1,07-4,47 p=0,03)
  • Kardiomyopathie2 (Herzmuskelerkrankung), hypertrophe obstruktive4 oder dilatative2
  • Myokarditis2 (Herzmuskelentzündung) → Ruptur bzw. Fibrose eines Papillarmuskels (warzenförmige Vorstülpung des Myokards (Herzmuskel) in das Herzinnere, das über Chordae tendineae (Sehnenfäden) mit zwei der Segel einer Segelklappe zwischen Atrium (Vorhof) und Ventrikel (Herzkammer) verbunden ist (Mitral- und Trikuspidalklappe)), Kontraktionsstörungen

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Rheumatisches Fieber1+2+4+5
  • Infektionen, nicht näher bezeichnet

Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)

  • Autoimmunerkrankungen, nicht näher bezeichnet1
  • Systemischer Lupus erythematodes (SLE)1

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • Gesamt-Cholesterin4
  • LDL-Cholesterin4

Anstieg des Risikos für eine Entwicklung einer Aortenstenose mit jeder Zunahme der LDL-Cholesterin-, Gesamtcholesterin- und Triglycerid-Plasmaspiegel um eine Standardabweichung um 64 %, 82 % und 55 %. Für Triglyceride waren die Ergebnisse nicht eindeutig [11].

Medikamente

  • Medikamente, nicht näher bezeichnet
  • Fluconazol (Antimykotikum; Antipilzmittel) im ersten Schwangerschaftstrimester – Anstieg von Herzfehlern (Herzseptumdefekte: signifikante adjustierte Odds-Ratio von 1,81 (1,04-3,14)) [8]
  • Folsäure (exzessive Einnahme) – U-förmiger Zusammenhang: Im Vergleich zu den Nachkommen im zweiten und dritten Quartil der mütterlichen Folatspiegel hatten diejenigen im niedrigsten und höchsten Quartil ein erhöhtes Risiko für kongentiale (angeborene) Herzfehler (angepasste Odds-Ratio [aOR] jeweils 3,09 bzw. 1,81) [13].
  • Zytostatikatherapie (Krebsmedikamente) mit kardiotoxischen Medikamenten (Medikamente, die den Herzmuskel schädigen) im Kindesalter; in einer Studie mit 1.853 Patienten mit einer Krebsdiagnose, die nach durchschnittlich 22,6 Jahren nachuntersucht wurden, wurde nachgewiesen [2]:
    • pathologische Klappenbefunde in Form einer Regurgitation (das Blut nimmt nicht den üblicherweise vorgesehenen Weg, sondern fließt zurück in die andere Richtung) oder Stenose ("Klappenverengung") in 28 % der auswertbaren Fälle,
    • 7,4 % der Patienten erfüllten die Kriterien einer Myopathie (Herzmuskelerkrankung),
    • 4,4 % wiesen eine Überleitungs- oder Rhythmusstörung auf und
    • 3,8 % zeigten Hinweise einer koronaren Herzkrankheit (KHK; Erkrankung der Herzkranzgefäße)

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Außentemperaturen für 10 Tage über 30 °C in den Wochen 2 bis 8 der Schwangerschaft (also während der Zeit der Herzentwicklung) → Anstieg der Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) von Herzfehlern von 878,9 auf 979,5 pro 100.000 (vor allem unkritische Herzfehler); für Vorhofseptumdefekte (Fehlbildung des Herzens, bei der die Herzscheidewand zwischen den beiden Vorhöfen des Herzens nicht vollständig verschlossen ist) Anstieg der Prävalenz um 37 % [7]

1Mitralklappenstenose (Mitralstenose)
2Mitralklappeninsuffizienz (Mitralinsuffizienz)
3Mitralklappenprolaps
4
Aortenklappenstenose (Aortenstenose)
5Aortenklappeninsuffizienz (Aorteninsuffizienz)
6angeborene Herzklappenfehler

Literatur

  1. Khalid U et al.: Increased risk of aortic valve stenosis in patients with psoriasis: a nationwide cohort study. Eur Heart J. 2015 Jun 8. doi: 10.1093/eurheartj/ehv185
  2. Mulrooney DA et al.: Cardiac Outcomes in Adult Survivors of Childhood Cancer Exposed to Cardiotoxic Therapy. Ann Intern Med 2016; online 5. Januar
  3. Sifrim A et al.: Distinct genetic architectures for syndromic and nonsyndromic congenital heart defects identified by exome sequencing. Nature Genetics 48, 1060-1065 (2016) doi:10.1038/ng.3627
  4. Larsson S, Wolk A, Hakannson N and Bäck M. Overall and abdominal obesity and incident aortic valve stenosis: two prospective cohort studies. European Heart Journal 2017;0,1-6 doi: 10.1093/eurheartj/ehx140
  5. Rahimi K et al.: Elevated blood pressure and risk of mitral regurgitation: a longitudinal cohort study of 5.5 million United Kingdom adults. PLOS Med. 2017 Oct 17;14(10):e1002404. doi: 10.1371/journal.pmed.1002404. eCollection 2017 Oct.
  6. Helle EIT et al.: First Trimester Plasma Glucose Values in Women without Diabetes are Associated with Risk for Congenital Heart Disease in Offspring. J Pediatr 2017 https://doi.org/10.1016/j.jpeds.2017.10.046
  7. Wangjian Zhang Tanya L. Spero Christopher G. Nolte Valerie C. Garcia Ziqiang Lin Paul A. Romitti Gary M. Shaw Scott C. Sheridan Marcia L. Feldkamp Alison Woomert et al.: Projected Changes in Maternal Heat Exposure During Early Pregnancy and the Associated Congenital Heart Defect Burden in the United States. Journal of the American Heart Association. 2019;8 https://doi.org/10.1161/JAHA.118.010995
  8. Bérard A et al.: Associations between low- and high-dose oral fluconazole and pregnancy outcomes: 3 nested case–control studies. CMAJ February 19, 2019 191 (7) E179-E187. doi.org/10.1503/cmaj.180963
  9. Nazarzadeh M et al.: Systolic Blood Pressure and Risk of Valvular Heart Disease – A Mendelian Randomization Study. JAMA Cardiol 2019, online 10. Juli. doi:10.1001/jamacardio.2019.2202
  10. Zhang S et al.: Parental alcohol consumption and the risk of congenital heart diseases in offspring: An updated systematic review an meta-analysis. Eur J Prev Cardiol. 2019 Oct 2:2047487319874530. doi: 10.1177/2047487319874530
  11. Nazarzadeh M et al.: Plasma lipids and risk of aortic valve stenosis: a Mendelian randomization study. European Heart Journal 2020, online 20. Februar. doi:10.1093/eurheartj/ehaa070
  12. Turunen R et al.: Maternal diabetes and overweight as risk factors for congenital heart defects in offspring - A nationwide register study from Finland medRxiv february 17, 2023 doi: https://doi.org/10.1101/2023.02.14.23285825
  13. Qu Y et al.: Maternal Serum Folate During Pregnancy and Congenital Heart Disease in Offspring JAMA Netw Open. 2024;7(10):e2438747. doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.38747