Cor pulmonale – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Das Cor pulmonale bezeichnet eine krankhafte Veränderung des rechten Ventrikels (rechter Herzmuskel) infolge einer primären Erkrankung der Lunge oder der Lungengefäße. Die Pathogenese unterscheidet sich je nach Verlaufsform (akut vs. chronisch) und ist eng mit der zugrunde liegenden pulmonalen Erkrankung und dem daraus resultierenden erhöhten Widerstand in den Lungengefäßen verknüpft.
Akutes Cor pulmonale
Das akute Cor pulmonale ist durch eine plötzliche Erhöhung des pulmonalen Widerstands gekennzeichnet, was zu einer akuten Überlastung des rechten Ventrikels führt. Häufige Auslöser sind:
- Lungenembolie: Eine Lungenembolie (Verlegung einer Lungenarterie durch einen Thrombus/Blutgerinnsel) ist die häufigste Ursache eines akuten Cor pulmonale. Der plötzliche Anstieg des Gefäßwiderstands durch die Embolie führt zu einem akuten Druckanstieg im rechten Ventrikel. Dies bewirkt eine akute Dilatation (Erweiterung) und eine Beeinträchtigung der rechtsventrikulären Pumpleistung. Bei einer massiven Embolie kann es innerhalb kürzester Zeit zu einem Kreislaufversagen kommen.
- Asthma bronchiale: Schwere Asthmaanfälle mit starker Bronchokonstriktion (Verengung der Atemwege) können ebenfalls ein akutes Cor pulmonale auslösen. Die Verengung der Bronchien führt zu einer Erhöhung des Atemwegswiderstands und damit zu einer Überbelastung des rechten Herzens.
- Akuter Lungenhochdruck: Bei akuten pulmonalen Erkrankungen, die zu einem plötzlichen Anstieg des pulmonalen Drucks führen, wie z. B. bei schwerem akuten Atemnotsyndrom (ARDS), kann ebenfalls ein akutes Cor pulmonale auftreten.
Chronisches Cor pulmonale
Das chronische Cor pulmonale entwickelt sich über Monate bis Jahre als Folge einer chronischen pulmonalen Hypertonie (Lungenhochdruck), die zu einer schleichenden Druckbelastung des rechten Ventrikels führt. Die pulmonale Hypertonie entsteht durch verschiedene Mechanismen, die in Veränderungen der Lungengefäße, des Lungengewebes und/oder einer erhöhten Atemwegsobstruktion münden:
- Erkrankungen der Lungengefäße:
- Chronische Thromboembolien (CTEPH, chronisch thromboembolische pulmonale Hypertonie) führen zu einer persistierenden Erhöhung des Gefäßwiderstands, da die thrombotischen Gefäßverschlüsse nicht vollständig aufgelöst werden. Dies führt zu einer chronischen Überlastung des rechten Ventrikels.
- Primäre pulmonale Hypertonie (z. B. idiopathische pulmonale arterielle Hypertonie, PAH) führt durch eine pathologische Proliferation der Gefäßwandzellen und eine Remodellierung der Lungenarterien zu einem erhöhten Druck in den Lungengefäßen.
- Erkrankungen des Lungengewebes:
- Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist die häufigste Ursache des chronischen Cor pulmonale. Durch die Zerstörung des Lungengewebes und die chronische Atemwegsobstruktion kommt es zu einem erhöhten Widerstand im Lungenkreislauf.
- Interstitielle Lungenerkrankungen (z. B. Lungenfibrose) führen durch entzündliche und fibrotische Veränderungen des Lungengewebes zu einer Erhöhung des pulmonalen Gefäßwiderstands.
- Mechanische Obstruktion und erhöhte Atemwegswiderstände:
- Bei chronischen obstruktiven Lungenerkrankungen (z. B. COPD, Emphysem) und obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom kommt es zu einer Verengung der Atemwege, die zu einem chronisch erhöhten Atemwegsdruck führt. Dies bewirkt langfristig eine Drucküberlastung des rechten Ventrikels.
Pathophysiologie der rechtsventrikulären Belastung
- Der rechte Ventrikel ist physiologisch an einen relativ niedrigen pulmonalen Gefäßwiderstand angepasst. Eine plötzliche oder lang anhaltende Erhöhung des pulmonalen Drucks führt zu einer mechanischen Überlastung des rechten Herzens.
- Akut führt dies zu einer Dilatation (Erweiterung) des rechten Ventrikels mit einer Zunahme des enddiastolischen Drucks. Dies kann zu einem akuten Herzversagen und Kreislaufversagen führen.
- Chronisch kommt es zu einer Hypertrophie (Verdickung) des rechten Ventrikels als Anpassungsreaktion auf den erhöhten Druck. Langfristig ist die Hypertrophie jedoch nicht ausreichend, um die erhöhte Drucklast zu kompensieren, sodass es zu einer Dilatation und einer Abnahme der rechtsventrikulären Kontraktilität kommt.
Mikrozirkulatorische Veränderungen und vaskuläres Remodeling
Ein wesentlicher Mechanismus bei der Entwicklung des Cor pulmonale ist die Remodellierung der Lungengefäße. Durch eine chronische Erhöhung des Drucks und durch Entzündungsprozesse kommt es zu einer Proliferation der glatten Muskelzellen, einer Verdickung der Gefäßwand und in fortgeschrittenen Stadien zu einer Obliteration (Verschluss) der Lungenkapillaren. Diese Gefäßumbauprozesse führen zu einer fortschreitenden Erhöhung des pulmonalen Widerstands und verstärken die Belastung des rechten Herzens.
Zusammenfassung
Das Cor pulmonale entsteht durch eine Überbelastung des rechten Ventrikels aufgrund einer primären pulmonalen Erkrankung oder einer Erkrankung der Lungengefäße. Die akute Form ist meist auf eine Lungenembolie oder einen Asthmaanfall zurückzuführen, während die chronische Form durch eine anhaltende pulmonale Hypertonie bei chronischen Lungenerkrankungen oder Thromboembolien entsteht.
Ätiologie (Ursachen) des Cor pulmonale acutum
Krankheitsbedingte Ursachen
Atmungssystem (J00-J99)
- Status asthmaticus ‒ potentiell lebensbedrohliche Form des Asthmaanfalls
- Spannungspneumothorax ‒ lebensbedrohliche Form der "Gasbrust"; dabei kommt es neben dem Lungenkollaps zur Überdruckentwicklung
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Lungenarterienembolie ‒ Verschluss eines oder mehrerer Lungengefäße durch einen Thrombus (Blutpfropf), meist aufgrund einer Venenthrombose
Weitere Ursachen
- Operation am Thorax (Brustkorb)
Ätiologie (Ursachen) des Cor pulmonale chronicum
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung
- Genetische Erkrankungen
- Sichelzellenanämie (med.: Drepanozytose; auch Sichelzellanämie, engl.: sickle cell anemia) – genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die die Erythrozyten (rote Blutkörperchen) betrifft; sie gehört zur Gruppe der Hämoglobinopathien (Störungen des Hämoglobins; Bildung eines irregulären Hämoglobins, dem sogenannten Sichelzellhämoglobin, HbS)
- Mukoviszidose (Zystische Fibrose, CF) ‒ genetische Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang, die durch die Produktion von zu zähmen Sekret in verschiedenen Organen gekennzeichnet ist
- Genetische Erkrankungen
Verhaltensbedingte Ursachen
- Übergewicht (BMI ≥ 25, Adipositas)
- Leben in großer Höhe
Krankheitsbedingte Ursachen
Atmungssystem (J00-J99)
- Anthrakose (pathologische Veränderung der Lunge, die durch das Einatmen und Einlagern von Ruß- oder Kohlepartikeln)
- Asthma bronchiale
- Bronchiektasen (Synonym: Bronchiektasie) – dauerhaft bestehende irreversible sackförmige oder zylindrische Ausweitungen der Bronchien (mittelgroße Atemwege), die angeboren oder erworben sein kann; Symptome: chronischer Husten mit "maulvoller Expektoration" (großvolumiger dreigeschichteter Auswurf: Schaum, Schleim und Eiter), Müdigkeit, Gewichtsverlust und eine verringerte Leistungsfähigkeit
- Chronische Bronchitis
- Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD)
- Idiopathische Lungenfibrose ‒ bindegewebiger Umbau der Lunge, der zu einer Funktionseinschränkung führt
- Lungenemphysem (irreversible Überblähung der kleinsten luftgefüllten Strukturen (Lungenbläschen, Alveolen) der Lunge)
- Pleuraschwarten (Verdickung des Rippenfells (Pleura), die zu einer Einschränkung der Lungenkapazität führen kann)
- Pneumokoniose (Staublunge)
- Sarkoidose ‒ entzündliche Systemerkrankung, die vor allem die Lunge, die Lymphknoten und die Haut betrifft
- Silikose (Quarzlunge)
- Trachealstenose (Luftröhrenverengung)
- Tuberkulose (Schwindsucht)
Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)
- Anämie (Blutarmut)
- Autoimmunerkrankungen mit Vaskulitis (Gefäßentzündung), nicht näher bezeichnet
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Adipositas (Fettleibigkeit) ‒ führt zur chronischen Hypoventilation (eingeschränkte Lungenbelüftung) und somit zum chronischen Cor pulmonale
- Pickwick-Syndrom ‒ Syndrom mit Adipositas (Fettsucht), unklaren Schlafzuständen, pulmonaler Hypertonie etc.
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Herzklappenfehler (Vitien), nicht näher bezeichnet
- Kardiomyopathie ‒ Herzmuskelerkrankung, die zu einer eingeschränkten Herzfunktion führt
- Koronare Herzkrankheit (KHK) ‒ Erkrankung der Herzkranzgefäße
- Myokardinfarkt (Herzinfarkt)
- Pericarditis constrictiva ‒ chronische Herzbeutelentzündung mit Schrumpfung des Herzbeutels und dadurch bedingter Einschränkung der Herzfunktion
- Primäre pulmonale Hypertonie ‒ Lungenhochdruck ohne erkennbare Ursache
- Endangiitis obliterans ‒ segmentale Vaskulitis (Gefäßentzündung) kleiner und mittelgroßer Arterien und Venen überwiegend der unteren Extremität
- Periarteriitis nodosa ‒ nekrotisierende Vaskulitis (Gefäßentzündung), die in der Regel mittelgroße Gefäße befällt
- Pulmonale Hypertonie ‒ Bluthochdruck aufgrund einer Lungen(gefäß)erkrankung
- Pulmonalsklerose – bindegewebige, zur Verhärtung (Sklerose) führende Umgestaltung der Gefäßwand der Arteria pulmonalis (Lungenarterie) und ihrer Äste
- Venöse Verschlusskrankheiten, nicht näher bezeichnet
- Zustand nach mehrfacher Lungenarterienembolie ‒ Verschluss eines oder mehrerer Lungengefäße durch einen Thrombus (Blutpfropf), meist aufgrund einer Venenthrombose
Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)
- Zystische Pankreasfibrose ‒ bindegewebiger Umbau der Bauchspeicheldrüse als Folge von Lungenaffektionen
Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)
- Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), ehemals Wegenersche Granulomatose – nekrotisierende (Gewebe absterbende) Vaskulitis (Gefäßentzündung) der kleinen bis mittelgroßen Gefäße (Kleingefäßvaskulitiden), welche mit einer Granulombildung (Knötchenbildung) in den oberen Atemwegen (Nase, Nasennebenhöhlen, Mittelohr, Oropharynx) sowie den unteren Atemwegen (Lunge) einhergeht
- Kyphoskoliose ‒ gleichzeitiges Vorkommen einer Seitwärtsverschiebung mit einer rückenwärts gerichteten Krümmung der Wirbelsäule; kann über die chronische Hypoventilation zu chronischen Cor pulmonale führen (Cor kyphoskolioticum)
- Morbus Bechterew (Synonym: ankylosierende Spondylitis) ‒ chronische entzündliche Erkrankung der Wirbelsäule, die zu einer Gelenksteife (Ankylose) der betroffenen Gelenke führen kann
- Rippendeformationen
- Sklerodermie ‒ Gruppe von autoimmunbedingten Bindegewebserkrankungen, die zu den Kollagenosen zählt
- Vaskuläre Kollagenkrankheiten, nicht näher bezeichnet ‒ bewirken einen Verschluss des pulmonalen Gefäßbettes
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Bronchusadenom ‒ gutartige Neubildung an einem Bronchus
- Bronchialkarzinom (Lungenkrebs)
- Lymphangiosis carcinomatosa ‒ Ausbreitung eines bösartigen Tumors in den Lymphgefäßen
- Tumoren des Mediastinums (Mittelfellraum)
- Tumoren der Trachea ‒ Neubildung der Luftröhre
Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)
- Amyotrophische Lateralsklerose (ALS; Synonyme: Myatrophe Lateralsklerose oder auch Motor Neuron Disease und Lou-Gehrig-Syndrom) – degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems; es kommt zu einer fortschreitenden und irreversiblen Schädigung oder Degeneration der Nervenzellen (Neurone). Durch die Degeneration kommt es zur zunehmenden Muskelschwäche ( Parese/Lähmung), die mit Muskelschwund (Amyotrophie) einhergeht.
- Muskeldystrophie (Muskelschwäche), nicht näher bezeichnet
- Myasthenia gravis (MG; Synonyme: Myasthenia gravis pseudoparalytica; MG); seltene neurologische Autoimmunerkrankung, bei der spezifische Antikörper gegen die Acetylcholinrezeptoren vorliegen, mit charakteristischen Symptomen wie einer abnormen belastungsabhängigen und schmerzlosen Muskelschwäche, einer Asymmetrie, neben der örtlichen auch einer zeitlichen Wechselhaftigkeit (Fluktuation) im Verlauf von Stunden, Tagen bzw. Wochen, einer Besserung nach Erholungs- bzw. Ruhephasen; klinisch differenzieren lässt sich eine rein okuläre ("das Auge betreffend"), eine faziopharyngeal (Gesicht (Facies) und Rachen (Pharynx) betreffend) betonte und eine generalisierte Myasthenie; ca. 10 % der Fälle zeigen bereits eine Manifestation im Kindesalter.
- Neuromuskuläre Erkrankungen ‒ führen zur chronischen Hypoventilation und somit zur chronischen Cor pulmonale
Weitere Ursachen
- Zustand nach Lungen(teil)resektion (Lungenflügel(teil)entfernung)
- Dysfunktion der Thoraxwand ‒ führt über eine chronische Hypoventilation zum chronischen Cor pulmonale
Leitlinien
- S2k-Leitlinie: Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) der Berufskrankheitenverordnung. (AWMF-Registernummer: 020 - 010), Juni 2016 Langfassung