Chronische venöse Insuffizienz (CVI) – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die chronisch venöse Insuffizienz (CVI) ist eine komplexe Erkrankung, die durch eine längerfristig erhöhte Druckbelastung im venösen System gekennzeichnet ist. Diese venöse Hypertonie führt zu strukturellen und funktionellen Veränderungen der Venen und der umliegenden Gewebe, insbesondere der Haut. Der zentrale pathophysiologische Mechanismus besteht in einer Kombination aus einer insuffizienten Venenklappenfunktion und einer gestörten Mikrozirkulation.
Venenklappeninsuffizienz und venöse Hypertonie
Die primäre Ursache der CVI ist die Insuffizienz der Venenklappen, die in den Beinvenen für die Steuerung des Blutflusses verantwortlich sind. Bei einer Klappeninsuffizienz schließen die Venenklappen nicht mehr korrekt, was zu einer retrograden (rückwärts gerichteten) Blutströmung führt. Diese Rückflussphänomene führen zu einem Blutstau in den venösen Bezirken, was den venösen Druck signifikant erhöht.
- Durch die chronische Druckerhöhung dehnen sich die Venenwände aus und verlieren ihre Elastizität, was die Venenklappen zusätzlich beeinträchtigt und den Kreislauf weiter verstärkt.
- Eine venöse Hypertonie bewirkt überdies, dass das Blut in den tiefen und oberflächlichen Venensystemen vermehrt in die Perforansvenen (Verbindungsvenen) strömt, was die Rezirkulationen verstärkt.
Mikrozirkulationsstörungen und Endothelveränderungen
Die venöse Hypertonie hat direkte Auswirkungen auf die Mikrozirkulation. Es kommt zu einer gestörten Blutversorgung in den Kapillaren, was die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des umliegenden Gewebes beeinträchtigt:
- Die erhöhten venösen Drücke führen zu einer chronischen Dehnung und Dilatation (Erweiterung) der Venolen und Kapillaren.
- Der anhaltende Druck auf die Gefäßwände führt zu einer erhöhten Permeabilität (Gefäßdurchlässigkeit), wodurch Plasmaproteine, Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und Leukozyten (weiße Blutkörperchen) ins Gewebe austreten können.
- Durch den Austritt dieser Blutbestandteile kommt es zur Bildung von Hämosiderin-Ablagerungen (Eisenpigmente aus abgebauten Erythrozyten), die eine bräunliche Hautverfärbung (Stauungsdermatose) verursachen.
- Gleichzeitig kommt es zu einer Infiltration von Entzündungszellen, die eine lokale Entzündungsreaktion auslösen und zu einer chronischen Schädigung des umliegenden Gewebes beitragen.
Trophische Störungen und Hautveränderungen
Aufgrund der gestörten Mikrozirkulation und der chronischen Gewebshypoxie (Sauerstoffmangel im Gewebe) entstehen trophische Störungen, die sich klinisch durch Hautveränderungen und Geschwüre (Ulcera cruris) manifestieren können:
- Die Sauerstoffunterversorgung führt zur Atrophie (Rückbildung) der Haut und zu einer Degeneration des subkutanen Fettgewebes.
- Zusätzlich werden durch den Austritt von Plasmaproteinen und die Aktivierung von Fibroblasten (Bindegewebszellen) fibrotische Veränderungen gefördert. Dies führt zu einer Verhärtung und Verdickung der Haut (Dermatosklerose).
Lymphatische Stauungen und Lymphabflussstörungen
Durch die chronische venöse Druckerhöhung wird auch das lymphatische System beeinträchtigt. Die gestörte Mikrozirkulation führt zu einem erhöhten interstitiellen Druck, was den Lymphfluss behindert und zu einer Stase (Stauung) in den Lymphbahnen führt.
- Diese lymphatische Stase verstärkt das Ödem (Schwellung) und führt zu einer weiteren Behinderung der Gewebsversorgung. Die Kombination aus venöser und lymphatischer Stase wird als Phlebolymphödem bezeichnet.
Zusammenfassung
Die chronisch venöse Insuffizienz ist ein komplexes Zusammenspiel aus venöser Hypertonie, Venenklappeninsuffizienz (Venenklappenschwäche), Mikrozirkulationsstörungen und lymphatischen Abflussstörungen. Diese Prozesse führen zu einem Teufelskreis aus chronischer Gewebeschädigung, Entzündungsreaktionen und trophischen Veränderungen, die letztlich zu den typischen klinischen Manifestationen wie Ödemen (Schwellungen), Stauungsdermatosen (stauungsbedingte Hauterkrankungen) und Ulzera (Geschwüre) führen.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Weibliches Geschlecht
- Lebensalter – Frauen zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr und Männer zwischen dem 70. und 80. Lebensjahr
- Körpergröße – mit zunehmender Körpergröße nimmt das Risiko der Venenklappeninsuffizienz zu
- Berufe – Berufe mit langem Stehen oder Sitzen
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Ballaststoffarme Ernährung – Begünstigt chronische Verstopfung (Obstipation), die den intraabdominellen Druck und damit die Belastung der Venen erhöht.
- Genussmittelkonsum
- Rauchen (Tabakkonsum) – Führt zu Gefäßschädigungen und erhöht das Risiko für venöse Erkrankungen.
- Körperliche Aktivität
- Langes Stehen oder Sitzen (Beruf) – Erhöht die venöse Stase (Blutstau) und belastet die Venenklappen.
- Wenig Bewegung und Sport – Bewegungsmangel schwächt die Muskelpumpe der Waden und begünstigt die Entstehung venöser Insuffizienzen (Gefäßschwächen).
- Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
- Führt zu einer zusätzlichen Belastung der unteren Extremitäten und verschlechtert die venöse Rückflusskapazität.
- Psycho-soziale Faktoren
- Stress und lang anhaltende psychische Belastung – Kann die venöse Funktion durch hormonelle und nervale Mechanismen beeinflussen.
- Bekleidung und Schuhe
- Enge Kleidung und hohe Absätze – Beeinträchtigen den venösen Rückfluss und erhöhen das Risiko für venöse Stase.
Krankheitsbedingte Ursachen
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Hypertonie (Bluthochdruck) [1]
- Postthrombotisches Syndrom (PTS) ‒ chronische Stauung des Blutrückflusses zum Herzen als Folge einer Thrombose
- Venenklappeninsuffizienz (ungenügend funktionierende Venenklappen) der tiefen Beinvenen
- Vena-iliaca-Kompressionssyndrom (IVCS; Synonym: May-Thurner-Syndrom): entsteht bei einer Kompression der Vena iliaca (meist in der linken V. iliaca communis) durch die Arteria iliaca.
- Venöse Angiodysplasien (Gefäßmissbildungen) wie das Fehlen oder Defekte der Venenklappen
Weitere Ursachen
- Gravidität (Schwangerschaft)
Literatur
- Prochaska JH et al.: Chronic venous insufficiency, cardiovascular disease, and mortality: a population study European Heart Journal, 13 August2021 ehab495, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab495