Atemnot (Dyspnoe) – Anamnese
Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Dyspnoe (Atemnot) dar.
Familienanamnese
- Wie ist der allgemeine Gesundheitszustand Ihrer Angehörigen?
- Gibt es in Ihrer Familie Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder der Atemwege, wie z. B. Asthma bronchiale, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) oder Herzinsuffizienz (Herzschwäche)?
- Sind genetische Erkrankungen wie Lungenfibrose (chronische Erkrankung der Lunge, bei der das Lungengewebe durch die Bildung von Narbengewebe (Fibrose) verhärtet und verdickt) oder Mukoviszidose bekannt?
Sozialanamnese
- Beruf:
- Welchen Beruf üben Sie aus?
- Arbeiten Sie in einem Umfeld mit schädigenden Arbeitsstoffen wie Staub, Chemikalien oder Gasen?
- Leben oder arbeiten Sie in einer Umgebung mit hoher Luftverschmutzung?
- Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen oder chronischen Stress?
Reiseanamnese
- Waren Sie in den letzten Wochen oder Monaten auf Reisen? Wenn ja:
- Wann sind Sie gereist? [Wichtig zur Einschätzung der Inkubationszeit: Erkrankungen wie Influenza oder COVID-19 entwickeln sich in wenigen Tagen, Tuberkulose oft über Wochen bis Monate.]
- Wohin sind Sie gereist?
- Wie lange dauerte Ihr Aufenthalt?
- Gab es in Ihrem Reisegebiet bekannte Ausbrüche von Atemwegserkrankungen, z. B. Tuberkulose, COVID-19, SARS/MERS, Hantavirus, Legionellen-Infektionen in Hotels oder Resorts?
- Waren Sie in Regionen mit hoher Luftverschmutzung oder Smogbelastung? (z. B. Neu-Delhi, Peking, Mexiko-Stadt, Jakarta, Kairo, Teheran) [Risiko für COPD-Exazerbationen, Asthma-Anfälle]
- Haben Sie sich in Höhlen oder staubigen Umgebungen aufgehalten? (insbesondere in Mittel- und Südamerika, USA, Südostasien) [Risiko für Histoplasmose, Kokzidioidomykose, Kryptokokkose]
- Haben Sie sich in heißen und feuchten Umgebungen mit Klimaanlagen oder Whirlpools aufgehalten? (besonders in Hotels und Kreuzfahrtschiffen in tropischen Regionen und Europa) [Risiko für Legionellose (Legionärskrankheit)]
- Haben Sie Wasser aus unsicheren Quellen getrunken oder unsauberes Trinkwasser verwendet? (insbesondere in Afrika, Südamerika, Asien) [Risiko für Schistosomiasis mit pulmonaler Beteiligung]
- Waren Sie in großer Höhe (> 2.500 m) und haben Atemprobleme entwickelt? (z. B. Anden, Himalaya, Kilimandscharo, Tibet-Plateau, Rocky Mountains) [Risiko für Höhenlungenödem]
- Haben Sie nach der Reise anhaltende Atemprobleme oder Brustschmerzen bemerkt? [Differentialdiagnosen: chronische Infektion, Umweltreizung, Lungenembolie nach Langstreckenflug, pulmonale Hypertonie (Lungenhochdruck) durch Schistosomiasis]
- Waren Sie während oder nach der Reise in medizinischer Behandlung, z. B. wegen Atemwegsinfektionen, fieberhafter Erkrankungen, Lungenproblemen?
- Haben andere Personen in Ihrer Reisegruppe ähnliche Beschwerden entwickelt?
- Hatten Sie engen Kontakt zu Personen mit Husten, Fieber oder Atemnot, z. B. in belebten Märkten, öffentlichen Verkehrsmitteln, Unterkünften, Krankenhäusern, Gefängnissen? [Risiko für Tuberkulose, COVID-19, Influenza, SARS/MERS]
- Wann begann die Atemnot? Während oder nach der Reise?
- Ist die Atemnot plötzlich oder langsam aufgetreten? (akut → Embolie, Höhenkrankheit, Infektion; schleichend → Tuberkulose, Pilzinfektionen, Umweltbelastung)
- Haben Sie Fieber oder andere Begleitsymptome? (z. B. Fieber + Atemnot → Tuberkulose, Legionellose, Histoplasmose, Influenza, COVID-19, SARS/MERS, Ebola, Lassa-Fieber)
- Haben Sie Husten mit Auswurf oder Blutbeimengungen? (blutiger Auswurf → Tuberkulose, Lungenembolie, Pilzinfektionen, Schistosomiasis)
- Haben Sie neue Medikamente während oder nach der Reise eingenommen, z. B. Antibiotika, die die Symptome maskieren könnten?
- Mögliche reiseassoziierte Erkrankungen mit Dyspnoe nach Regionen:
- Asien (z. B. China, Indien, Südostasien, Mongolei, Russland)
- Tuberkulose (Langzeitaufenthalte, Kontakt mit infizierten Personen, häufig in Indien, China, Russland, Philippinen, Indonesien)
- SARS/MERS (Naher Osten, China, Südostasien) (Schweres akutes respiratorisches Syndrom, Middle East Respiratory Syndrome)
- *Hantavirus-Pulmonales Syndrom (China, Mongolei, Korea – Kontakt mit Nagetieren, Staub mit kontaminiertem Urin oder Kot)
- COVID-19/Influenza (hohe Bevölkerungsdichte, Epidemien in China, Indien, Japan, Südkorea, Thailand)
- Legionellose (Belastetes Wasser in schlecht gewarteten Klimaanlagen, Duschen oder Whirlpools – v. a. in Hotels und Resorts in Südostasien)
- Afrika (z. B. Südafrika, Kenia, Nigeria, Ägypten, Kongo)
- Tuberkulose (hohe Prävalenz in vielen afrikanischen Ländern, insbesondere in Südafrika, Nigeria, Äthiopien)
- Schistosomiasis (Bilharziose mit Lungenbeteiligung) (nach Baden in Süßwasser in tropischen Regionen – insbesondere Nil, Viktoriasee, Senegal-Fluss)
- Hämorrhagische Fieberviren (Ebola, Lassa-Fieber, Marburg-Virus) (West- und Zentralafrika – Fieber mit Atemnot als Spätsymptom möglich)
- Tropische Lungenmykosen (Histoplasmose, Blastomykose, Kryptokokkose) (nach Kontakt mit Fledermauskot, z. B. in Höhlen, Baustellen, Reisfeldern)
- Süd- und Mittelamerika (z. B. Brasilien, Peru, Mexiko, Kolumbien, Argentinien)
- Tuberkulose (hohe Fallzahlen in Peru, Brasilien, Mexiko)
- Kokzidioidomykose („Tal-Fieber“) – insbesondere in Mexiko, Zentralamerika, Südwest-USA (Pilzinfektion nach Aufenthalt in trockenen Regionen mit Staubexposition)
- Hantavirus-Pulmonales Syndrom (HPS) – v. a. in Argentinien, Chile, Brasilien (durch Kontakt mit Nagetier-Exkrementen – schwer verlaufende Atemnot möglich)
- Histoplasmose („Höhlenkrankheit“) – v. a. in Brasilien, Paraguay, Venezuela (nach Kontakt mit Fledermauskot oder Vogelkolonien, häufig nach Höhlenerkundungen oder Arbeiten in verlassenen Gebäuden)
- Nordamerika, Australien, Europa
- Influenza/COVID-19 (hohe Fallzahlen in kalten Monaten, besonders in Nordamerika und Europa)
- Legionellose (nach Hotelaufenthalten, Nutzung von Duschen, Whirlpools – v. a. in Resorts, Kreuzfahrtschiffen, Altenheimen in den USA, Europa, Australien)
- Kokzidioidomykose („Tal-Fieber“) in trockenen Regionen der USA (Kalifornien, Arizona, Nevada, Texas, Mexiko) (Pilzinfektion durch Inhalation von Sporen in staubigen Gebieten)
- Hantavirus (USA, Kanada – Exposition gegenüber Nagetieren in ländlichen Gebieten, v. a. in den Rocky Mountains, Kanada, Kalifornien, Texas, Arizona, Utah)
- Hochgebirge weltweit (Anden, Himalaya, Alpen, Rocky Mountains)
- Höhenkrankheit (Höhenlungenödem, HAPE) (bei Aufenthalten über 2500 m, insbesondere in Anden, Himalaya, Kilimandscharo, Alpen, Rocky Mountains, Tibet-Plateau)
- Asien (z. B. China, Indien, Südostasien, Mongolei, Russland)
Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)
-
Wann und wie begann die Atemnot?
- Plötzlich aufgetreten [Blutdruckkrise, Hyperventilation, Lungenembolie, Myokardinfarkt (Herzinfarkt)]
- Episodisch [Asthma bronchiale (intermittierend), COPD-Exazerbation (remittierend)
- Langsam progredient (fortschreitend) [chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Anämie (Blutarmut), Lungenfibrose, Tumor]
- Rasch progredient [Azidose (Übersäuerung), Anämie (Blutarmut), Pneumonie (Lungenentzündung)]
- Graduierung pulmonaler Dyspnoe nach den modifizierten Vorschlägen des Medical Research Council (MRC):
- Grad 0: „Ich habe nie Atemnot außer bei starker Anstrengung.“
- Grad 1: „Ich habe Atemnot beim schnellen Gehen oder beim Bergaufgehen mit leichter Steigung.“
- Grad 2: „Ich gehe beim Gehen in der Ebene langsamer als Gleichaltrige oder benötige bei selbst gewählter Geschwindigkeit Pausen.“
- Grad 3: „Ich benötige eine Pause wegen Atemnot beim Gehen in der Ebene nach 100 m oder wenigen Minuten.“
- Grad 4: „Ich bin zu kurzatmig, um das Haus zu verlassen oder mich an- oder auszuziehen.“
- Merkmale der Atemnot:
- Ist sie lageabhängig? Benötigen Sie mehrere Kissen zum Schlafen? Können Sie flachliegen, ohne zu wenig Luft zu bekommen? (Orthopnoe)
- Besteht die Atemnot in Ruhe oder unter Belastung?
- Ist sie anfallsweise, z. B. nachts (paroxysmale nächtliche Dyspnoe)?
- Tritt sie beim Ein- oder Ausatmen stärker auf?
- Gibt es ein Engegefühl in der Brust?*
- Wobei besteht die Atemnot?
- Beim Einatmen [Rekurrensparese, Tumor der Trachea (Luftröhre), Verlegung der oberen Atemwege]
- Beim Ausatmen? [Asthma bronchiale, COPD, zentrales Bronchialkarzinom (Lungenkrebs)]
- In Ruhe?
- Bei Belastung?
- Hustenabhängig?
- Ist die Atemnot von einem Atemzug auf den anderen aufgetreten?*
- Wie stark ist die Atemnot?
- Begleitsymptome:
- Husten (trocken oder produktiv)?*
- Zäher Auswurf? Blut im Auswurf?*
- Fieber?*
- Wadenschmerzen oder Schwellungen der Beine? [Waden-Druckschmerz: tiefe Beinvenenthrombose (TVT), Lungenembolie]
- Herzklopfen, Schwindel oder Synkope (Hinweis auf kardiogene (das Herz betreffende) Ursache)?
- Auslöser und Einflussfaktoren:
- Gab es einen Auslöser, wie körperliche Anstrengung, Stress, allergische Reaktion oder eine Infektion?
- Sind die Symptome abhängig von Jahreszeiten oder Umwelteinflüssen (Pollen, Luftfeuchtigkeit, Temperaturen)?
- Hat sich die Atemnot nach einem kürzlichen Infekt der Atemwege verschlechtert?
- Verstärkt sich die Atemnot nach dem Essen oder bei Stress?
- Leiden Sie unter Schlafstörungen oder Schlafapnoe (z. B. Schnarchen)?
Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese
- Haben Sie Appetitlosigkeit oder eine ungewollte Veränderung des Gewichts bemerkt?
- Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
- Sind Sie Passivraucher?
- Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk und wie viele Gläser pro Tag?
- Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche und wie häufig?
Eigenanamnese
- Bestehen Vorerkrankungen? (Asthma bronchiale, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), interstitielle Lungenerkrankung, Herzinsuffizienz (Herzschwäche), koronare Herzkrankheit (KHK/Erkrankung der Herzkranzgefäße), Anämie (Blutarmut), Schilddrüsenerkrankungen)
- Hatten Sie Lungenoperationen, Herzoperationen oder andere Thoraxeingriffe?
- Mussten Sie sich einer Strahlentherapie (Radiatio) unterziehen? (Bestrahlung im Bereich des Thorax (Brustkorb))
- Haben Sie bekannte Allergien, z. B. gegen Pollen, Staubmilben oder Medikamente?
Medikamentenanamnese
- Amiodaron (Antiarrhythmikum) → Interstitielle Pneumonitis (Sammelbegriff für jede Form der Lungenentzündung (Pneumonie), welche nicht die Alveolen (Lungenbläschen), sondern das Interstitium bzw. den Zellzwischenraum betrifft)
- Antineoplastische Mittel (andere antineoplastische Mittel [z. B. Proteinkinase-Inhibitoren], Antimetabolite)
- Betablocker, nichtselektive (Propranolol, Pindolol, Carvedilol)
- Cox-Hemmer (z. B. Acetylsalicylsäure, Indometacin) – durch die Hemmung von Cyclooxygenasen (COX) wird Arachidonsäure verstärkt von der Lipoxygenase in Leukotriene umgewandelt, die einen Asthmaanfall auslösen können
- Monoklonale Antikörper – Pertuzumab
- mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Temsirolimus)
- Nitrofurantoin (Antibiotikum)
- Opioide (Schmerzmittel, die eine schmerzdämpfende Wirkung an den sogenannten Opioidrezeptoren besitzen; z. B. Morphin)
- Röntgenkontrastmittel (als Sofortreaktion)
- Thrombozytenaggretationshemmer (z. B. Acetylsalicylsäure, Ticagrelor)
Umweltanamnese
- Sind Sie Metallsalzen, Holz- oder Pflanzenstäuben oder anderen Chemikalien (beruflich oder privat) ausgesetzt?
- Waren Sie kürzlich in einer Region mit bekannter Luftverschmutzung, wie Smog oder Feinstaub?
- Arbeiten oder leben Sie in einem feuchten oder schimmelbelasteten Umfeld?
* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)
Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.