Kryochirurgie (Vereisung)
Die Kryochirurgie (Kryotherapie; Vereisung) beinhaltet die gezielte Vereisung von benignen (gutartigen) und malignen (bösartigen) Hautveränderungen und wird als physikalisch-destruierende Methode bezeichnet. Die Folge des rapiden Temperatursturzes ist eine sogenannte Kryonekrose bzw. Kryodestruktion, die einen Untergang bzw. eine Zerstörung des erkrankten Gewebes bedeutet. Auf diese Weise können sowohl harmlose Warzen als auch gefährliche Hauttumoren behandelt werden.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Aktinische Keratosen – Verhornungsstörung der Haut, die durch Strahlung (vor allem UV-Strahlung) bedingt ist (Krebsvorstufe; Risikofaktor für ein Plattenepithelkarzinom)
- Angiokeratome – sogenannte Blutwarze; gutartige Hautveränderungen, die aus mit Teleangiektasien (sichtbare Erweiterungen oberflächlich gelegener kleinster Blutgefäße) oder Angiomen (Blutschwamm; tumorartige Gefäßneubildung) kombinierten warzenförmigen Hyperkeratosen (übermäßige Verhornung der Haut) bestehen
- Basalzellkarzinom (BZK; Basaliom) – semimaligner (bedingt bösartiger) Tumor der Haut, der durch langsames Wachstum gekennzeichnet ist und sehr selten Metastasen (Tochtergeschwülste) bildet
- Basalzellnävussyndrom, naevoide Phase – Kennzeichen dieser Erkrankung sind zahlreiche oberflächliche Basalzellkarzinome, die im weiteren Verlauf in echte Basalzellkarzinome übergehen
- Cheilitis actinica – strahlenbedingte Entzündung der Unterlippen, verursacht durch Sonnenbrand oder chronische Sonnenbestrahlung
- Erythroplasie Queyrat – eine Präkanzerose (Krebsvorstufe) der Haut, die durch humane Papillomviren ausgelöst wird und an den Genitalien auftritt
- Fibrome – gutartige Bindegewebsgeschwulst
- Granuloma anulare – nicht infektiöse granulomatöse Hauterkrankung; derbe, ringförmige, dicht aneinandergereihte, rötliche Knötchen der Dermis (Lederhaut)
- Hypertrophe Narben – stark gewachsenes Narbengewebe
- Keloide (Wulstnarben)
- Kutane Melanommetastasen – Hautmetastasen (Tochtergeschwülste in der Haut) des malignen Melanoms
- Lentigines/Lentigo maligna – sogenannter Linsenfleck oder Leberfleck, der durch vermehrte Aktivität der Melanozyten (Zellen, die die Haut braun färben) entsteht und sich zum malignem Melanom weiterentwickeln kann
- Leishmaniose (kala-azar) – parasitäre Erkrankung, die durch ein kleines Insekt (Sandmücke (Phlebotomus)) übertragen wird, die zu ulzerösen (geschwürartigen) Hautläsionen führt
- Leukoplakie – sogenannte Weißschwielenkrankheit, die durch eine weiße flache Schleimhautveränderung gekennzeichnet ist. Eine Leukoplakie kann in ein Plattenepithelkarzinom (Stachelzellkrebs) übergehen.
- Lichen ruber verrucosus – entzündliche Knötchenflechte der Haut und Schleimhaut mit warzenartigem Aussehen
- Lidtumoren
- Lippenrandangiome – geschwulstartige Neubildung durch Gefäßsprossung am Lippenrand
- Lupus erythematodes (SLE) – Systemerkrankung, die die Haut und das Bindegewebe der Gefäße betrifft und so zu Vaskulitiden (Gefäßentzündungen) zahlreicher Organe wie Herz, Nieren oder Gehirn führt sowie sich durch verschiedenartige Erytheme (entzündungsbedingte Hautrötungen) auszeichnet
- Morbus Bowen – sogenannter Bowen-Hautkrebs, dessen Vorstufe durch humane Papillomviren, Arsenexposition und UV-Licht hervorgerufen werden kann
- Naevus teleangiectaticus – eine Variante des Naevus flammeus (Feuermal; hell- bis dunkelbraune Flecken, die durch Kapillarerweiterungen entstehen) mit flächigen Teleangiektasen (meist erworbene Erweiterung kleiner, oberflächlicher Hautgefäße)
- Necrobiosis lipoidica – Entzündung der mittleren Dermis mit Anreicherung von Lipiden, die zur Nekrose (Gewebsuntergang) führt
- Prurigo nodularis – seltene, chronische Hauterkrankung mit großen, juckenden, derben Knoten mit rauer Oberfläche
- Pseudolymphome – gutartige, rückbildungsfähige Proliferation (Wachstum durch Zellteilung) des lymphatischen Gewebes
- Säuglingshämangiome – gutartige Neubildung kleiner Gefäße (Kapillaren) in der Haut (= Blutschwamm) bei Neugeborenen
- Seborrhoische Keratosen (Synonyme: Seborrhoische Warze, Alterswarze, Verruca seborrhoica) – häufigster gutartiger Hauttumor, der durch eine Wucherung der sogenannten Keratinozyten (hornbildene Zellen der Haut) verursacht wird
- Senile Angiome – altersbedingte, geschwulstartige Neubildungen durch Gefäßsprossung
- Verrucae vulgares – vulgäre Warzen (gewöhnliche Warzen), die auch als Stachelwarzen bezeichnet werden
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Schwere Kälteintoleranz: Patienten mit Erkrankungen wie Kälteurtikaria (Kälte-induzierter Nesselsucht) oder anderen Kälteempfindlichkeiten.
- Schlechte Durchblutung: Bereiche mit schlechter Blutversorgung können ein erhöhtes Risiko für Gewebeschäden aufweisen.
- Periphere Neuropathie: Bei Patienten mit beeinträchtigter Sensibilität könnte die Kryotherapie unerkannte Schäden verursachen.
- Infektionen im Behandlungsgebiet: Aktive Infektionen können sich durch die Kryotherapie verschlimmern.
- Allergische Reaktionen auf Kälte: Selten, aber möglich.
- Blutgerinnungsstörungen: Erhöhtes Risiko für Blutungen oder Hämatome (Blutergüsse).
Vor der Behandlung
- Aufklärungsgespräch: Detaillierte Besprechung des Verfahrens, möglicher Risiken und Erwartungen.
- Medizinische Anamnese: Überprüfung auf Kontraindikationen und Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands.
- Biopsie: Eventuell Durchführung einer Stanzbiopsie zur histologischen Sicherung, besonders bei verdächtigen Läsionen.
- Keine Lokalanästhesie (örtliche Betäubung) erforderlich: In den meisten Fällen ist aufgrund der Kälteanästhesie keine lokale Betäubung nötig.
Das Verfahren
Die lokale Vereisung von erkranktem Gewebe erfolgt durch eine Abkühlung unter -40 °C. Um diese Temperatur zu erreichen, wird in der Regel flüssiger Stickstoff verwendet, der seinen Siedepunkt bei -195,8 °C hat. Dabei werden zwei Anwendungsformen unterschieden:
- Offenes Sprayverfahren: Der flüssige Stickstoff wird direkt aus geringer Entfernung auf die Läsion gesprüht. Dies ermöglicht ein schnelles, tiefenwirksames Ergebnis und erreicht eine Tiefe von 12 mm.
- Kontaktverfahren: Ein vorgekühlter Metallstempel oder eine mit flüssigem Stickstoff durchströmte Sonde werden direkt auf die Läsion aufgesetzt. Die Auswahlmöglichkeit verschiedener Sonden garantiert eine schonende Vereisung umschriebener Läsionen und erreicht eine Tiefe von ca. 4 mm.
Die Wirkung der Vereisung ist durch eine Vielzahl an Vorgängen gekennzeichnet, die eine Zellzerstörung zur Folge haben. Tumorzellen sind besonders kälteempfindlich, da sie einen hohen Wassergehalt haben.
Folgende Mechanismen führen zu einer Kryonekrose (Gewebsuntergang durch Kälte):
- Phospholipiddenaturierung der Zellmembran – Die Zellmembran besteht aus speziellen Fetten, die bei einer Vereisung ihre Struktur verändern, sodass die Membran zerstört wird.
- Mechanische Schädigung der Zellmembran durch die Bildung von Eiskristallen, besonders bei der Rekristallisation während des Auftauvorgangs
- Mechanische Schädigung der Zellorganellen (z. B. Mitochondrien)
- Entstehung toxischer (giftiger) Konzentrationen intrazellulärer (innerhalb der Zelle befindlicher) Elektrolyte
- Stillstand der Stoffwechselprozesse
Der Erfolg des Verfahrens ist von der erreichten Temperatur, der Geschwindigkeit, der Abkühlung und von dem Auftauvorgang abhängig. Optimal ist einer Abkühlungsgeschwindigkeit von 100 Kelvin/min (Kelvin: SI-Basiseinheit der thermodynamischen Temperatur und zugleich gesetzliche Temperatureinheit; es wird auch zur Angabe von Temperaturdifferenzen verwendet; die Kelvin-Skala beginnt beim absoluten Gefrierpunkt) und ein spontaner Auftauprozess von weniger als 10 Kelvin/min. Der Therapieerfolg kann durch wiederholte Anwendung der lokalen Vereisung verbessert werden (vor allem bei gutartigen Erkrankungen). Die Vereisungsdauer liegt bei 10-60 Sekunden und ist von der Hautveränderung, ihrer Größe, der Lokalisation und der Vereisungsmethode abhängig.
Der kryochirurgische Eingriff wird im Normalfall ambulant durchgeführt, allerdings können Einzelfälle einen stationären Aufenthalt erfordern (z. B. bei Behandlungen am Augenlid oder an den Fingern). Vor der Behandlung wird in der Regel eine Stanzbiopsie (Gewebeprobe, die durch eine Stanze entnommen wird) mit nachfolgender histologischer Sicherung (Betrachtung einer Gewebeprobe mittels Mikroskop) durchgeführt, um z. B. die Diagnose einer bösartigen Hautveränderung zu bestätigen.
Meist ist keine Lokalanästhesie (örtliche Betäubung) erforderlich, da nach einem ersten stechenden Schmerz eine Kälteanästhesie (Schmerzunempfindlichkeit durch die Kälte) eintritt.
Operationsdauer: variabel
Nach der Behandlung
- Selbstlimitierende Schmerzen: Nach der Behandlung können leichte bis moderate Schmerzen auftreten, die normalerweise ohne Medikation abklingen.
- Wundpflege: Empfehlungen zur Pflege der behandelten Stelle, um Infektionen zu vermeiden und Heilung zu fördern.
- Beobachtung: Regelmäßige Überprüfung der behandelten Bereiche auf Anzeichen von Komplikationen.
- Mögliche Blasenbildung: In einigen Fällen kann es zur Blasenbildung kommen, die spezielle Pflege benötigt.
Mögliche Komplikationen
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Frühkomplikationen:
- Blasenbildung und Ödeme: Meist selbstlimitierend.
- Schmerzen: Normalerweise kurzzeitig und selbstlimitierend.
- Infektionen: Selten, aber möglich, besonders bei größeren Behandlungsarealen.
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Spätkomplikationen:
- Hypopigmentierung oder Hyperpigmentierung: Veränderungen in der Hautfarbe im behandelten Bereich.
- Narbenbildung: Insbesondere bei tieferen oder größeren Behandlungen.
- Haarausfall: Wenn haartragende Bereiche behandelt werden.
- Nervenschäden: Bei Behandlungen in der Nähe von Nerven.
Ihr Nutzen
Die Kryochirurgie leistet vor allem in der Dermatologie einen wertvollen Beitrag zu den Therapiemöglichkeiten benigner und maligner Hautveränderungen. Sie ist vielseitig und sehr wirksam.
Literatur
- Petres J, Rompel R: Operative Dermatologie: Lehrbuch und Atlas. Springer Verlag 2006
- Dummer R: Physikalische Therapiemaßnahmen in der Dermatologie. Springer Verlag 2006