Quincke-Ödem – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Der aktuelle Stand der Pathogenese des Quincke-Ödems (Angioödem) zeigt, dass zwei Hauptmechanismen für die Krankheitsentstehung verantwortlich sind: die Bradykinin-vermittelte und die Mastzellen/Histamin-vermittelte Form. Diese zwei Wege führen zu einer Aktivierung verschiedener Mediatoren, die letztlich zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität und damit zur Ausbildung von Ödemen im subkutanen oder submukosalen Gewebe führen.

Bradykinin-vermitteltes Angioödem (Bk-AE)

Der Bradykinin-Weg ist besonders relevant bei hereditären Formen des Angioödems (HAE) und kann auch bei erworbenen Formen durch ACE-Hemmer (RAAS-Inhibitor-induziertes Angioödem) auftreten. Bradykinin ist ein starker Vasodilatator, der über verschiedene Signalwege wie Stickstoffmonoxid und Prostazyklin die Gefäßdurchlässigkeit erhöht. Diese Form des Angioödems wird durch eine Dysregulation des Kinin-Kallikrein-Systems ausgelöst, was entweder durch genetische Defekte (z. B. C1-INH-Mangel) oder durch Medikamente (ACE-Hemmer) verursacht wird. Studien haben gezeigt, dass Bradykinin-vermittelte Angioödeme schwerwiegender sind und häufig den oberen Atemtrakt betreffen können, was zu lebensbedrohlichen Zuständen wie einem Larynxödem führen kann​.

Mastzellen/Histamin-vermitteltes Angioödem

Dieser Mechanismus ist typischerweise mit einer allergischen Reaktion assoziiert und tritt oft zusammen mit Urtikaria (Nesselsucht) auf. Mastzellen setzen bei Degranulation Histamin und andere Entzündungsmediatoren frei, die eine akute Reaktion hervorrufen. Solche Angioödeme sind häufig durch allergische Trigger wie Nahrungsmittel, Insektengifte oder Medikamente ausgelöst. Sie können auch als Reaktion auf physikalische Stimuli wie Kälte, Druck oder Licht auftreten. Im Gegensatz zu Bradykinin-vermittelten Angioödemen reagieren diese auf Antihistaminika und Kortikosteroide​.

Genetische Aspekte und erworbene Formen

Genetische Studien zeigen, dass hereditäre Formen von Angioödemen durch Mutationen im SERPING1-Gen (C1-INH) sowie durch andere genetische Defekte verursacht werden können. Neueste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass weitere Gene wie ANGPT1, PLG, und KNG1 ebenfalls mit HAE-Subtypen assoziiert sind. Dies ermöglicht eine bessere genetische Klassifizierung und Diagnose solcher Erkrankungen. Erworbenes Angioödem kann hingegen bei malignen Erkrankungen wie Lymphomen oder durch Autoantikörper gegen C1-INH auftreten​.

Nach der Ursache werden folgende Formen des Quincke-Ödems (Angioödem) unterschieden:

  • Bradykinin-vermittelt Angioödem (Bradykinin ist ein Peptid- und Gewebshormon, das unter anderem vasoaktiv (blutgefäßverändernd) und an der Schmerzerzeugung beteiligt ist)
    • Hereditäres (vererbtes) Angioödem (engl. hereditary angioedema, HAE; veraltet „hereditäres angioneurotisches Ödem“, HANE) – durch C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH)-Mangel (Blutprotein-Mangel); wird autosomal-dominant vererbt; ca. 6 % der Fälle:
      • Typ 1 (80-85 % der Fälle) – zeigt eine Defizienz: verminderte Aktivität und Konzentration des C1-Inhibitors; autosomal dominant vererbt (Neumutationen ca. 25 % der Fälle)
      • Typ II (15-20 % der Fälle) – zeigt eine Dysfunktion: verminderte Aktivität bei normaler bzw. erhöhter Konzentration des C1-Inhibitors
      • Typ III (sehr selten) – C1-INH-Funktion, C1-INH-Konzentration, C1q und C4 mit normaler Aktivität
      De-novo-Mutationen machen ca. 10-20 % der Fälle aus.
    • RAAS-Inhibitor induziertes Angioödem (RAE) – durch Herz-Kreislauf-Medikamente: ACE-Hemmer (ACE-Inhibitor (ACEi); häufig) oder AT1-Antagonisten (Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp-1-Antagonisten, AT1-Rezeptorantagonisten, AT1-Blocker, Angiotensin-Rezeptorblocker, „Sartane“)  (selten)
    • Erworbenes Angioödem:
      • vor allem bei malignen Lymphomen (umgangssprachlich Lymphdrüsenkrebs) (Typ 1) oder
      • C1-Inhibitor-Antikörper (Typ 2)
  • Mastzellen/Histamin-vermitteltes Angioödem
    • Allergisches Angioödem; tritt in der Hälfte der Fälle im Zusammenhang mit Urtikaria (Nesselsucht) auf; häufigste Form
    • Allergieähnliches Angioödem – im Rahmen von Allergien auf z. B. Lebensmittel, Insektengifte oder Latex, Infekten, Intoleranzen (nverträglichkeitsreaktionen; meist ausgelöst durch Medikamente wie Acetylsalicylsäure (ASS) oder Autoimmunreaktionen (pathologische (krankhafte) Reaktion des Immunsystems gegenüber körpereigenem Gewebe)
    • physikalisch-bedingt: z. B. Druck, Kälte, Licht etc.
    • Idiopathisches Angioödem – ohne erkennbare Ursache (selten)
  • Andere Angioödeme – die Entstehung lässt sich weder allein durch Histamin noch allein durch Bradykinin erklären; hier spielen andere körpereigene Substanzen eine Rolle

Schlussbetrachtung

Die Unterscheidung zwischen den beiden Haupttypen ist für die Therapie essenziell, da Bradykinin-vermittelte Angioödeme nicht auf klassische Antihistaminika ansprechen und spezifische Therapien wie Icatibant oder C1-INH-Konzentrate benötigen. Mastzellen-vermittelte Angioödeme werden hingegen mit Antihistaminika, Kortikosteroiden und Adrenalin behandelt.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung
    • durch Eltern, Großeltern
    • C1-Inhibitor-Gen-Mutationen (HAE-C1-INH/hereditäres Angioödem (HAE) mit C1-Inhibitor-Mutation)
      • hereditäres Angioödem Typ 3 – Punktmutation in einem Gen für den Blut-Koagulationsfaktor XII (Hagemann-Faktor; Faktor XII) [1]
    • Bradykinininduzierte Angioödeme/HAE-C1-INH (Typ 1/Typ 2) 
      • Bradykinininduzierte Angioödeme: Faktor-XII-Mutationen (HAE-FXII), Plasminogenmutation (HAE-PLG)
      • Andere/unklare Ätiologien: Angiopoetin-1-Mutation (HAE-ANGPT1), unbekannte Mutationen (HAE-UNK)
  • Frühjahr-Geborene (möglicherweise wg. frühen Kontakts mit inhalativen Allergenen (vor allem Pollen)) [2]

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Körperliche Aktivität
    • Körperliche Belastung [Trigger akuter HAE-Attacken]
  • Psycho-soziale Situation
    • Stress [Trigger akuter HAE-Attacken]

Krankheitsbedingte Ursachen (inkl. Trigger für HAE-Attacken)

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • C1-Esterase-Mangel ‒ Glykoprotein aus der Gruppe der Serin-Proteasen-Inhibitoren, welches im Komplementsystem (Abwehrsystem) regulierend wirkt

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Infektionserkrankungen, nicht näher bezeichnet

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Malignes Lymphom ‒ bösartige Neubildung des lymphatischen Systems

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Allergische Reaktionen, nicht näher bezeichnet
  • Taumata wie Stöße, Druck oder Zahnbehandlungen [Trigger akuter HAE-Attacken]

Medikamente

  • ACE-Hemmer (Antihypertensiva) [> 50 % der Fälle mit einem schweren Angioödem; Trigger akuter HAE-Attacken]
  • Acetylsalicylsäure (ASS)
  • Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Antagonisten (ARNI) – duale Wirkstoffkombination: Sacubitril/Valsartan
  • AT1-Antagonisten (Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp-1-Antagonisten, AT1-Rezeptorantagonisten, AT1-Blocker, Angiotensin-Rezeptorblocker, „Sartane“) (selten) 
  • Hormonersatztherapie (HET)
  • Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) [3]
  • Östrogenhaltige Kontrazeptiva – diese können die Anfälle häufen lassen [Trigger akuter HAE-Attacken]
  • Röntgenkontrastmittel (als Sofortreaktion)

Operationen

  • Operationen inkl. Zahneingriffe [Trigger akuter HAE-Attacken]

Umweltbelastungen

  • Starke Temperaturschwankungen [Trigger akuter HAE-Attacken]

Weitere Ursachen

  • Menstruation (Regelblutung)  [Trigger akuter HAE-Attacken]; Ovulation (Eisprung)
  • Physikalisch ‒ Druck, Kälte, Licht etc.
  • Psychische Stresssituationen
  • Schwangerschaft

Literatur

  1. Björkqvist J et al.: Defective glycosylation of coagulation factor XII underlies hereditary angioedema type III. J Clin Invest. 2015. doi:10.1172/JCI77139.
  2. Cervellin G et al.: Spring season birth is associated with higher emergency department admission for acute allergic reactions. Eur J Intern Med 2016;28:97-101 doi: 10.1016/j.ejim.2015.11.004.
  3. Camus P: The Drug-Induced Respiratory Disease Website. www.​pneumotox.​com.(zugegriffen: 6. 11. 2018)