Haarausfall (Alopecia) – Anamnese
Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Alopecia (Haarausfall) dar.
Familienanamnese
- Gibt es in Ihrer Familie gehäuft Familienmitglieder mit Haarausfall (z. B. androgenetische Alopezie, kreisrunder Haarausfall)?
- Haben nahe Verwandte bekannte Autoimmunerkrankungen (z. B. Hashimoto-Thyreoiditis, Lupus erythematodes)?
- Gibt es genetische Erkrankungen in Ihrer Familie, die mit Haarausfall oder Hautveränderungen einhergehen?
Soziale Anamnese
- Üben Sie einen Beruf aus, der Stress oder den Kontakt mit chemischen Substanzen beinhaltet (z. B. Friseur, Chemielabor)?
- Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen oder Stress in Ihrer familiären oder beruflichen Situation?
- Haben Sie sich kürzlich in Gebieten mit erhöhter Umweltbelastung (z. B. Luftverschmutzung) aufgehalten?
Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)
- Seit wann besteht der Haarausfall?
- War der Beginn plötzlich oder schleichend?
- Ist der Haarausfall nur am Kopf vorhanden oder betrifft er auch andere Bereiche der Körperbehaarung?
- Handelt es sich um kreisrunden Haarausfall (Alopecia areata) oder um diffusen Haarausfall?
- Haben Sie weitere Symptome wie Schuppen, Rötungen oder Juckreiz auf der Kopfhaut?
- Bestehen Schmerzen, Spannungsgefühle oder Brennen auf der Kopfhaut?
- Haben Sie Veränderungen an den Nägeln bemerkt (z. B. Grübchenbildung, Rillen)?
- Haben Sie in letzter Zeit eine schwere Erkrankung, hohes Fieber oder Infektionen durchgemacht?
- Hatten Sie eine Geburt oder andere hormonelle Veränderungen?
- Gab es kürzlich eine Umstellung der Haarpflegeprodukte (z. B. aggressive Shampoos, Haarfärbemittel)?
- Ist Ihnen der Haarausfall besonders beim Kämmen oder Duschen aufgefallen?
- Sind kahle Stellen symmetrisch oder asymmetrisch verteilt?
- Wann, in welchem Alter, haben Sie den Haarausfall zum ersten Mal bemerkt?
Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese
- Geben Sie uns bitte Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
- Ernähren Sie sich ausgewogen?
- Nehmen Sie ausreichend Eiweiß, Eisen und Vitamin B12 zu sich?
- Haben Sie in letzter Zeit eine Diät durchgeführt oder eine Mangelernährung gehabt?
- Haben Sie in letzter Zeit ungewollt Gewicht verloren?
- Frauen:
- Wann haben bei Ihnen die Wechseljahre begonnen?
- Haben Sie in der Vergangenheit hormonelle Verhütungsmittel verwendet?
- Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag?
- Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk bzw. welche Getränke und wie viele Gläser pro Tag?
- Nehmen Sie Drogen? Wenn ja, welche Drogen (z. B. Amphetamine, Kokain) und wie häufig pro Woche?
Eigenanamnese
- Vorerkrankungen:
- Bestehen bei Ihnen bekannte Autoimmunerkrankungen (z. B. Lupus erythematodes, Hashimoto-Thyreoiditis, Rheumatoide Arthritis)?
- Haben Sie hormonelle Erkrankungen (z. B. Schilddrüsenunterfunktion, Cushing-Syndrom, polyzystisches Ovarialsyndrom)?
- Leiden Sie unter Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus)?
- Haben Sie bekannte Mangelzustände (z. B. Eisenmangel, Zinkmangel)?
- Bestehen chronische Infektionen oder Hauterkrankungen?
- Hatten Sie Operationen, die mit hohem Blutverlust einhergingen?
- Haben Sie in der Vergangenheit eine Radiotherapie (Strahlentherapie) erhalten?
Medikamente, die zu Haarausfall führen können
Haarausfall tritt typischerweise 2 bis 3 Monate nach Beginn der Medikamenteneinnahme auf.
- ACE-Hemmer (Captopril, Enalapril)
- Analgetika/Antirheumatika – Ibuprofen, Naproxen, Piroxicam
- Anthelminthika (Albendazol, Mebendazol)
- Antiarrhythmika – Amiodarone
- Antidepressiva
- Lithium (z. B. Quoilinonum)
- Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) – Fluoxetin, Sertralin
- Tetrazyklische Antidepressiva
- Trizyklische Antidepressiva (TZA) – Amitriptylin, Desipramin, Imipramin
- Antiepileptika – Carbamazepin, Gabapentin, Valproat, Valproinsäure
- Angiogenesehemmer (Sorafenib, Sunitinib)
- Antikoagulantien
- Cumarinderivate – Indandione, Phenprocoumon (Produktnamen: Marcumar, Falithrom), Warfarin
- Heparin (Enoxaparin)
- Niedermolekulare Heparine (NMH) (Certoparin, Dalteparin, Enoxaparin, Nadroparin, Reviparin, Tinzaparin)
- Synthet. Heparin-Analogon (Fondaparinux)
- Antimalariamittel – z. B. Chloroquin
- Antimykotika
- Azole (Voriconazol)
- Triazolderivate (Fluconazol)
- Antipsychotika (Neuroleptika) – Haloperidol
- Antiretrovirale Medikamente – z. B. Indinavir
- Betablocker − z. B. Metoprolol, Propranolol; auch bei topischen Beta-Rezeptorenblockern: Pindolol
- Biologicals (Adalimumab)
- Cumarine
- Gichtmittel – Colchicin
- Guanethidin
- H2-Blocker – z. B. Ranitidin, Cimetidin
- Heparin
- Hormone
- Anabolika
- Androgene (Testosteron, Testosteronenantat, Testosteronundecanoat)
- Gestagene
- Hormonantagonisten
- Aldosteronantagonisten (z. B. Spironolacton)
- Aromatasehemmer (Anastrozol, Testolacton) → Alopecia androgenetica bei Frauen unter Mammakarzinom (Brustkrebs)-Therapie [2]
- Östrogenantagonisten (Antiöstrogene) – Tamoxifen → Alopecia androgenetica bei Frauen unter Mammakarzinom-Therapie [2]
- Octreotide
- Prolactinantagonist (Bromocriptin)
- Thyreostatika (Carbimazol, Propylthiouracil)
- Östrogene
- Immunsuppressiva
- Azathioprine
- Ciclosporin (Cyclosporin A)
- Interferone (Interferon-α)
- Immuntherapeutika (Fingolimod)
- Lipidsenker
- Fibrate
- HMG-CoA-Reduktasehemmer (Statine) – Atorvastatin, Cerivastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Mevastatin, Pitavastatin, Pravastatin, Rosuvastatin, Simvastatin
- Nicotinsäure
- Mesalazin
- Metalle
- Gold
- Arsen
- Metallbinder – D-Penicillamin (Chelatbildner)
- Monoklonale Antikörper – Pertuzumab
- Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker) – Esomeprazol, Lansoprazol, Omeprazol, Pantoprazol, Rabeprazol
- Urikosurika (Benzbromaron, Probenecid)
- Virostatika
- Vitamine und deren Derivate
- Vitamin A
- Vitamin A-Derivate: Retinoide (Acitretin, Isotretinoin)
- Zytostatika [1]
- Alkylanzien (Busulfan**, Carmustin*, Chlorambucil, Cycophosphamid***, Dacarbazin*, Ifosfamid, Melphalan*, Procarbazin, Thiotepa*)
- Anthracycline (Adriamycin***, Daunorubicin***, Daunorubicin, Epirubicin)
- Antimetabolite (Cytarabin*, Fluorouracil*, Mercaptopurin*, Methotrexat (MTX)**)
- Mitomycine (Mitomycin C**)
- Platinderivate (Carboplatin, Cisplatin*, Oxaliplatin)
- Purinanaloga (Thioguanin*)
- Taxane (Paclitaxel, Taxoide***)
- Topoisomerase-Inhibitoren (Mitoxanthrone)
- Weitere Zytostatika (Actinomycin**, Bleomycin*, Camptothecin**, Capecitabin, Cytarabin, Estramustin, Etoposid***, Floxuridin**, Hexamethylmelamin*, Hydroxyharnstoff*, Ifosfamid***, L-Asparaginase*, Nitrogen-Senf**, Mitomycine, Streptozotocin*, Teniposid**, Vincristin***, Vinblastin***, Vindesin***)
*Leichte Alopecia
**Mittlere Alopecia
***Starke Alopecia
Umweltanamnese
- Sind Sie in Ihrem Beruf oder Haushalt mit schädlichen Substanzen wie Chemikalien, Petrochemikalien, Kupfer oder Phosphor in Kontakt gekommen?
- Leben oder arbeiten Sie in Gebieten mit hoher Luftverschmutzung?
- Feinstaub (PM10) und Dieselabgase → Abfall der Konzentration des Proteins Beta-Catenin in den Haarfollikel (Beta-Catenin wird für das Haarwachstum benötigt) [3]
- Haben Sie direkten Kontakt zu endokrinen Disruptoren wie PFAS (per- und polyfluorierte Alkylverbindungen), Teflon oder Flammschutzmitteln gehabt?
Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.
Literatur
- Batchelor D: Hair and cancer chemotherapy: consequences and nursing care – a literature study. Eur J Cancer Care (Engl). 2001 Sep;10(3):147-63.
- Freites-Martinez A et al.: Endocrine Therapy-Induced Alopecia in Patients With Breast Cancer. JAMA Dermatol. Published online April 11, 2018. doi:10.1001/jamadermatol.2018.0454
- Kwon HC et al.: Air pollution linked to hair loss, new research reveals EurekAlert News Release 8 October 2019