Beinschwellung (Beinödem) – Körperliche Untersuchung

Eine umfassende klinische Untersuchung ist die Grundlage für die Auswahl der weiteren diagnostischen Schritte:

  • Allgemeine körperliche Untersuchung – inklusive Blutdruck, Puls, Körpertemperatur, Körpergewicht, Körpergröße; des Weiteren:
    • Inspektion (Betrachtung)
      • Haut (Unterschenkel, Knöchelregion und Füße)
        • Lokalisation der Schwellung: einseitig oder beidseitig?
          → einseitige Schwellung: Häufig liegen Störungen im Venen- und Lymphsystem vor.
          → beidseitige Schwellung (seitengleich oder nicht seitengleich? Messung des Unterschenkelumfanges beidseits): Die Ursache kann nicht im Bein selbst liegen. In der Regel liegen Erkrankungen innerer Organe (Herz, Leber, Nieren, Schilddrüse) bzw. systemische Erkrankungen (Krankheit, die ein gesamtes Organsystem befällt) vor. Die häufigste Ursache einer beidseitigen Beinschwellung ist die Rechtsherzinsuffizienz (Einschränkung der Pumpfunktion des rechten Herzens).
          • Ist das ganze Bein geschwollen oder welcher Bereich (lokalisierte Schwellung)?
          • Proximal (zur Körpermitte hin) oder distal (von der Körpermitte entfernt) betonte Schwellung?
        • Beschaffenheit der Schwellung: fest oder flüssig?
          • Handelt es sich um eine Gewebsvermehrung oder um ein Ödem?
            → Bei Ödemen handelt es sich um eine Flüssigkeitsansammlung im epifaszialen (oberhalb einer Faszie (Komponente des Bindegewebes)) Raumes (großes Fassungsvermögen). Flüssigkeitsansammlungen im subfaszialen Raum führen schon bei kleinen Volumina zu Schmerzen.
        • Widerstand beim Drücken auf die Schwellung und Dauer der Delle:
          • weich?
          • Dellen hinterlassend?
          • teigig? derb?
          • pralle Wade?
          → Lässt Rückschlüsse auf den Proteingehalt zu. Wenn die Delle schnell zurückgeht, enthält das Ödem nur wenig Protein. So geht bei einem Lymphödem die Schwellung über Nacht nicht vollständig zurück und die eingedrückten Dellen bleiben lange bestehen.
          • Godet-Zeichen
            Auf das zu untersuchende Gewebe wird mit dem Daumen bei der Palpation für 5-10 Sekunden Druck ausgeübt. Im Normalfall verschwindet die Eindellung sofort (Godet-Zeichen negativ). 
            Godet-Zeichen positiv: Für eine gewisse Zeit sichtbar bestehende Delle im Gewebe (typisch für venöse Stauungsödeme und andere hypoproteinämische Ödeme)
        • Bestehen Schmerzen?
          • Wenn ja:
            → Wo?
            → Strahl der Schmerz aus?
        • Hautfarbe
          • Rötung (Rubor)?
          • Überwärmung (Calor)?
            → Wenn ja: Hinweis auf eine Arthritis (Gelenkentzündung) oder aktivierte Arthrose (entzündlicher Schub der degenerativen Gelenkerkrankung)
          • Zyanotische Haut? (violette bis bläuliche Verfärbung der Haut)
        • Hautveränderungen
          • Corona phlebectatica ‒ Auftreten dunkelblauer Hautvenen am Fußrand
          • Atrophie blanche ‒ meist schmerzhafte Depigmentierung der Haut im Bereich des Unterschenkels
          • Rotbraune Hyperpigmentierung durch örtliche Hämosiderose ‒ vermehrte Eisenablagerung im Knöchel-/Unterschenkelbereich
          • Ekzematisation ‒ häufig juckendes Stauungsekzem
          • Hautrötung (Erythem, Exanthem/Hautausschlag, Stauungsdermatose/chronische venöse Blutstauung, Erysipel/Wundrose)
          • Hyperkeratose ‒ übermäßige Hornbildung der Haut
          • Interdigital/zwischen den Zehen (Mykose (Pilzerkrankung), Hautmazeration/Quelle oder Aufweichung der Haut)
          • Lipodermatosklerose ‒ Vermehrung von Bindegewebe und Verminderung der Unterhautfettschicht, vor allem im Bereich des Knöchels
          • Lymphangitis (Blutvergiftung; Entzündung der Lymphbahnen von Haut und Unterhautfettgewebe (Subkutis))
          • Ulcus cruris venosum (Ulcus cruris („offenes Bein“), das infolge eines fortgeschrittenen Venenleidens aufgetreten ist) bzw. Narbe als Folgezustand
          • mögliche Veränderungen der Hautoberfläche: feinknotige Hautoberfläche (umgangssprachlich: Orangenhaut; Synonyme: Cellulite; Dermopanniculosis deformans); grobknotige Hautoberfläche mit größeren Dellen (medizinisch auch "Matratzenphänomen"); große, deformierende Hautlappen und -wülste
          • Varikose (Krampfaderleiden)
        • Stemmer-Zeichen
          Positives Stemmer-Zeichen: Wenn die Hautfalte über der zweiten und dritten Zehe bzw. Finger verbreitert, verdickt und schwer oder überhaupt nicht abhebbar ist → Zeichen für ein Lymphödem
    • Fußpulse tastbar? (A. tibialis und der A. dorsalis pedis, beidseits)
    • Untersuchung des Herzens, dabei kann man ggf. feststellen: [Zeichen der Herzinsuffizienz?]
      • verlagerter (und verbreiterter) Herzspitzenstoß (fühlbares Anstoßen der Herzspitze an die vordere Brustwand während der Systole/Zusammenziehen des Herzens; das Auflegen der Handfläche links parasternal erleichtert das Auffinden des Herzspitzenstoßes; dieser wird mit zwei Fingern beurteilt: Lage, Ausdehnung und Stärke)
      • Auskultationsbefund: vorhandener 3. Herzton (Zeitpunkt: frühe Diastole (Entspannungs- und Füllungsphase des Herzens); ca 0,15 sec. nach dem 2. Herzton; durch das Auftreffen des Blutstrahls auf die steife Wand des (insuffizienten) Ventrikels/Herzkammer)
    • Palpation der Arterienpulse [Lokales expansives (sich ausdehnendes) Pulsieren? Lokales Schwirren? Cave: Aneurysma (Blutgefäßaussackung)]
    • Auskultation der Lunge [Rasselgeräusche (RGs)? wg. Herzinsuffizienz, Lungenödem]
    • Untersuchung des Abdomens (Bauch) [Hepatomegalie (Lebervergrößerung)? (Stauungsleber bei Herzinsuffizienz/Herzschwäche); Splenomegalie (Milzvergrößerung)? (sekundär bei portaler Hypertension/Pfortaderhochdruck)
      • Auskultation (Abhören) des Abdomens [Gefäß- oder Stenosegeräusche?]
      • Perkussion (Abklopfen) des Abdomens 
        • Meteorismus (Blähungen)?: hypersonorer Klopfschall
        • Dämpfung des Klopfschall durch vergrößerte Leber oder Milz, Tumor, Harnstau?
        • Hepatomegalie (Lebervergrößerung) und/oder Splenomegalie (Milzvergrößerung)?: Abschätzen von Leber- und Milzgröße
      • Palpation (Abtasten) des Abdomens (Bauch) (Druckschmerz?, Klopfschmerz?, Hustenschmerz?, Abwehrspannung?, Bruchpforten?, Nierenlagerklopfschmerz?) [vergrößerte Lymphknoten in der Leiste tastbar?)
    • Vergrößerte Lymphknoten in der Leiste tastbar?
  • Gesundheitscheck 

In eckigen Klammern [ ] wird auf mögliche pathologische (krankhafte) körperliche Befunde hingewiesen.

Wells-Score zur Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer tiefen Venenthrombose (TVT) [1]

Symptome Punkte
Aktive oder behandelte Krebserkrankung in den letzten sechs Monaten 1
Lähmung oder kürzliche Immobilisation der Beine (z. B. Gipsimmobilisation) 1
Bettruhe (> 3 Tage); größere Operation (< 12 Wochen) 1
Schmerz /Verhärtung entlang des tiefen Venensystems 1
Schwellung ganzes Bein 1
Schwellung Unterschenkel >3 cm gegenüber Gegenseite 1
Eindrückbares Ödem am symptomatischen Bein 1
Erweiterte oberflächliche (nicht variköse) Kollateralvenen 1
Frühere, dokumentierte TVT 1
Alternative Diagnose mindestens ebenso wahrscheinlich wie TVT -2
Klinische Wahrscheinlichkeit für TVT
Niedrig-Risikogruppe (Cut-off des Summenwertes)
 ≤ 1
Hoch-Risikogruppe (Cut-off des Summenwertes)  > 1

Klinisches Vorgehen:

  • Niedrig-Risikogruppe → D-Dimer-Test erforderlich; falls negativ, kann auf weitere Diagnostik und Antikoagulation verzichtet werden
    Cave! Dieses Vorgehen ist nicht sicher bei aktiver oder behandelter Krebserkrankung in den letzten sechs Monaten.
  • Hoch-Risikogruppe → Kompressionssonographie erforderlich

Stadien der Hautveränderungen

 Stadium Beschreibung der Hautveränderungen
 I  feinknotige Hautoberfläche (umgangssprachlich: Orangenhaut)
 II  grobknotige Hautoberfläche mit größeren Dellen, medizinisch auch "Matratzenphänomen"
 II  große, deformierende Hautlappen und -wülste

Literatur

  1. Wells PS, Anderson DR, Rodger M et al.: Evaluation of D-dimer in the diagnosis of suspected deep-vein thrombosis N Engl J Med 2003; 349: 1227-35