Arzneimittelexanthem – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Pathogenese des Hypersensitivitätssyndroms ist nicht völlig geklärt. Wahrscheinlich ist sie multifaktoriell, teils toxisch, teils immunogen bedingt. Zur immunologischen Reaktion kommt es durch Bindung der reaktiven Substanzen an körpereigene Rezeptoren wie den MHC-Molekülen (engl. Major Histocompatibility Complex; Gruppe von Genen, die Proteine kodieren, welche für die Immunerkennung, die Gewebeverträglichkeit bei Transplantationen und die immunologische Individualität wichtig sind). 

Auslöser einer allergischen Reaktion können sowohl der Arzneimittelwirkstoff als auch Additive (Zusatzstoffe, Hilfsstoffe) sein. Der Allergie liegen unterschiedliche pathophysiologische Mechanismen zugrunde, die nach Coombs und Gell in vier Typen eingeteilt wurden. Die Typ-I- bis Typ-III-Reaktionen werden durch Antikörper vermittelt, während die Typ-IV-Reaktion durch T-Zellen ausgelöst wird. Im engeren Sinn versteht man heute unter Allergie oft nur die Typ-I-Allergie: 

Die Allergie vom Typ I (Synonyme:
Soforttyp, Typ-I-Allergie, Immunreaktion vom Typ I, allergische Sofortreaktion) ist gekennzeichnet durch eine schnelle Reaktion des Immunsystems (innerhalb von Sekunden oder Minuten) bei Zweitkontakt auf das Allergen.
Der Erstkontakt, der in der Regel symptomlos verläuft, wird als Sensibilisierung bezeichnet. Dabei erkennen T- und B-Lymphozyten unabhängig voneinander das betreffende Antigen.

Die Zweitreaktion ist IgE-vermittelt. Dabei bindet das Allergen an das auf den Mastzellen (Bestandteil des Immunsystems) vorhandene IgE und Histamin wird ausgeschüttet. Des Weiteren werden dabei Entzündungsmediatoren wie Prostaglandine und Leukotriene freigesetzt. Folgende Beschwerden können auftreten: Urtikaria
(Nesselsucht) (anaphylaktische Reaktion: 15-20 min; IgE- vermittel: 6-8 h), Rhinitis (Nasenschleimhautentzündung), Angioödem (plötzlich auftretende Schwellungen der Haut oder Schleimhäute), Bronchospasmus (Verkrampfen der Muskeln, welche die Atemwege umspannen) bis hin zum anaphlaktischen Schock (schwerste allergische Reaktion, die tödlich enden kann).

Die Allergie vom Typ II (Zytotoxischer Typ) wird unterteilt in Typ IIa und Typ IIb. Der Typ IIa ist gekennzeichnet durch die Bildung IgG- oder IgM-Antikörper gegen körperzell-gebundene Antigene (Autoantikörper). Anschließend erfolgt eine Bindung der Antikörper an die Antigene mit anschließender Zerstörung der betroffenen Zellen durch Komplement, Makrophagen und NK-Zellen (natürliche Killerzellen).
Der Typ IIb ist gekennzeichnet durch eine Antikörper-Antigen-Interaktion wie bei Typ IIa. Die Zellzerstörung erfolgt hier jedoch nicht durch Bindung, sondern über eine Rezeptorbindung (Reaktion mit Hormonrezeptoren). Folgende Beschwerden können auftreten: keine Hautreaktionen, aber hämolytische Anämie, Thrombozytopenie (Mangel an Thrombozyten (Blutplättchen)) etc.

Die Allergie vom Typ III (Synonyme: Typ-III-Allergie, Allergie vom Immunkomplex-Typ, Typ-III-Überempfindlichkeitsreaktion, Immunkomplex-Typ, Arthus-Typ) ist gekennzeichnet durch die Bildung von Immunkomplexen (Allergen + Antikörper), die sowohl zellständig sein als auch frei im Blut flotieren ("schwimmen") können. Die Immunkomplexe bilden sich innerhalb von Stunden nach dem Allergenkontakt.
Die allergische Immunkomplex-Reaktion wird durch Antikörper (IgG, IgA, IgM) vermittelt. 
Die Immunkomplexe aktivieren das Komplementsystem  und stoßen eine Phagozytose ("Fressen der Zelle") der Komplexe durch Leukozyten (weiße Blutkörperchen) an, welche wiederum zytotoxische Enzyme freisetzt. Folgende Beschwerden können auftreten: Urtikaria (Nesselsucht), Vaskulitis (Gefäßentzündung), Nephritis (Nierenentzündung), Arthritis (Gelenkentzündung) etc.

Die Allergie vom Typ IV (Synonym: Allergische Spättyp-Reaktion) ist eine Allergie, die zellulär durch sensibilisierte T-Lymphozyten vermittelt wird. Sie wird den Arzneimittelwirkstoff bzw. durch Kontakt mit Zusatzstoffen (Kontaktallergie) in der Arzneimittelproduktion ausgelöst. Folgende Beschwerden können auftreten: Kontaktdermatitis (durch direkte Berührung der Haut mit Allergenen ausgelöste Entzündungsreaktion der Haut), Arzneimittelexantheme (multiformeartig, lichchenoid (flechtenähnlich); Reaktionszeit: 24-72 h)

Bei allergischen Reaktionen auf ein Arzneimittel bzw. auf deren Additiva spielen die Allergien von Typ I, IIa, III und IV eine Rolle. Neben den allergischen Reaktionen können des Weiteren pseudoallergische Reaktionen (krankhafte Reaktion auf eine auf den Körper einwirkende Noxe (Schadstoff), die zwar einer Allergie gleicht, aber nicht auf einer Antigen-Antikörper-Reaktion beruht) auftreten. Dabei handelt es sich um eine direkte IgE-unabhängige Freisetzung von Histamin aus den Mastzellen bei beispielsweise Antibiotika, Muskelrelaxantien und Opioiden.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern, nicht näher bezeichnet

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Drogenkonsum
    • Opiate – stark wirksame Schmerzmittel wie Codein

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Autoimmunerkrankungen, nicht näher bezeichnet
  • Einschränkung der Leberfunktion, nicht näher bezeichnet
  • Einschränkung der Nierenfunktion, nicht näher bezeichnet
  • Lymphoroliferative Erkrankungen, nicht näher bezeichnet
  • Virale Infekte wie HIV oder EBV

Medikamente

  • ACE-Hemmer4
  • Allopurinol
  • Analgetika
    • Nichtsaure Analgetika (Metamizol, Paracetamol)
    • Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) – Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen, Salicylate (Acetylsalicylsäure, ASS)
    • Opioidrezeptorantagonist (Naltrexon)
    • Phenazonderivate6
    • Pyrazolone6
  • Anthelminthika (Diethylcarbamazin, Mebendazol, Niclosamid)
  • Antibiotika
    • Aminoglykoside1
    • Betalactam-Antibiotika1 (β-Lactam-Antibiotika) (ca. 50 % aller Arzneimittelunverträglichkeiten; ca. 0,7-8 % aller Patienten mit β-Lactam-Antibiotika reagieren allergisch)
      • Aminopenicilline (Amoxicillin)
      • Cephalosporine
    • Chinolone (Ciprofloxacin, Moxifloxacin)
    • Chloramphenicol3
    • Epoxid-Antibiotika (Fosfomycin-Trometamol)
    • Polypeptid-Antibiotikum (Bacitracin3)
    • Makrolidantibiotika/Makrolide (Erythromycin)
    • Neomycin3
    • Nitrofurane (Nitrofurantoin)
    • Penicilline3
    • Sulfonamide1, 3, 6 (Sulfamethoxazol)
    • Sulfone (Dapson)
    • Staphylokokkenpenicilline (Flucloxacillin)
    • Tetracycline4, 6
    • Trimethoprim
  • Antiepileptika (Carbamazepin)
  • Antihistaminika3 (Cimetidin)
  • Antihypertonika
    • ACE-Hemmer (Enalapril)
    • Betablocker4
    • Methyldopa
  • Antimykotika
    • Allylamine (Terbinafin)
    • Griseofulvin
  • Antiprotozoika
    • Analogon des Azofarbstoffs Trypanblau (Suramin)
    • Pentamidin
  • Antipsychotika (Neuroleptika) – Chlorpromazin, Phenothiazin
  • Antitussiva
    • Opioide (Codein, Dihydrocodein, Hydrocodon)
    • nicht-opioide Antitussiva (Levodropropizin, Noscapin, Pentoxyverin)
  • Arsentrioxid
  • Chelatbildner
    • D-Penicillamin
    • Trieethylentetramin-Dihydrochlorid (Trien)
  • Chinidin4
  • Chloroquin4
  • Cinnarizin5
  • Diuretika (Furosemid, Hydrochlorothiazol, Thiazide4)
  • Folsäureantagonist (Methotrexat)
  • Fusionsinhibitoren (Enfuvirtid)
  • Gold4 (Goldsalze)
  • Heparin2
  • Hormone
    • Insuline2
    • Schilddrüsenmedikamente, nicht näher bezeichnet
  • Hydantoine1
  • Insektizide und Akarizide (Kontaktinsektizide)
    • Pyrethroide (Allethrin, Permethrin)
    • Pyrethrine (Pyrethrum)
  • Lithium4
  • Lokalanästhetika (Benzocain3, Lidocain3)
  • Perchlorate (Perchlorat)
  • Parasympatholytika (auch Anticholinergika genannt) – Atropin
  • Penicillamin5
  • Phytotherapeutika (Johanniskraut)
  • Röntgenkontrastmittel +  makulopapulöses Arzneimittelexanthem
  • Sedativa
    • Barbiturate1
    • Benzodiazepine
  • Tuberkulostatika (Isoniazid
  • Tyrosinkinaseinhibitoren (TKi) – Imatinab
  • Vasodilatatoren (Hydralazin1)
  • Virostatika
    • Nukleosidanaloga (Aciclovir, Cidofovir, Famciclovir, Foscarnet, Ganciclovir, Valaciclovir)
  • Zytokine2 (Interferon ß-1a, Interferon ß-1b, Glatirameracetat)
  • Zytostatika 
    • Alkylanzien (Adriamycin, Doxorubicin)
    • Platinderivate (Carboplatin)
    • Taxane (Paclitaxel)

1 Allergie vom Typ I (Soforttyp)
2 Allergie vom Typ III (Arthus-Phänomen)
3 Allergie vom Typ IV (Allergische Spättyp-Reaktion)/Allergische Kontaktdermatitis
4 Allergie vom Typ IV (Allergische Spättyp-Reaktion)/Lichen ruber artige oder psoriasiforme AME
5
Allergie vom Typ IV (Allergische Spättyp-Reaktion)/Blasenbildende AME

6 Fixes Arzneimittelexanthem (Exanthem, das nach erneuter Zufuhr des Medikaments an gleicher Hautstelle wieder erscheint)

Die Liste der Medikamente stellt nur die häufigsten Auslöser dar. Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht nicht.