Gliome – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Gliome sind Tumoren, die aus Zellen des neuroepithelialen Gewebes (Gewebe des Nervensystems) entstehen. Diese Tumoren betreffen primär die Gliazellen (stützende Zellen im zentralen Nervensystem) und können je nach Zellart in verschiedene Subtypen unterteilt werden, darunter Astrozytome, Oligodendrogliome und Ependymome.
Die genaue Ursache der Gliomentstehung ist bislang nicht vollständig geklärt, doch es wird vermutet, dass genetische und molekulare Faktoren eine wesentliche Rolle spielen. Zu den bekannten Mechanismen gehören:
- Genetische Mutationen: Mutationen in bestimmten Genen wie IDH1 und IDH2 (Isocitrat-Dehydrogenase) sowie Veränderungen in den Tumorsuppressor-Genen wie TP53 und PTEN wurden in Gliomen nachgewiesen. Diese Mutationen können zu unkontrolliertem Zellwachstum führen.
- Chromosomale Aberrationen: Veränderungen in der Struktur von Chromosomen, wie Deletionen auf Chromosom 1p/19q, sind typisch für bestimmte Gliome, insbesondere für Oligodendrogliome.
- Epigenetische Veränderungen: Diese betreffen Modifikationen an der DNA, die die Genexpression ohne Änderungen in der eigentlichen DNA-Sequenz beeinflussen, was ebenfalls zur Tumorentstehung beitragen kann.
Genetische Studien und Gliome
Eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS) zum häufigsten malignen Hirntumor, dem Glioblastom, hat bestätigt, dass es eine klare Zweiteilung zwischen high-grade Gliomen (wie dem aggressiven Glioblastom) und low-grade Gliomen gibt. Diese Einteilung basiert auf unterschiedlichen genetischen und molekularen Profilen. So sind high-grade Gliome durch eine schnellere Progression und eine schlechtere Prognose gekennzeichnet, während low-grade Gliome langsamer wachsen und eine bessere Überlebensrate aufweisen [7].
Die Abgrenzung dieser Gliom-Subtypen wird durch spezifische molekulargenetische Marker erleichtert, darunter Mutationen in den IDH-Genen, die häufig bei low-grade Gliomen vorkommen und mit einer besseren Prognose assoziiert sind.
Zusammenfassung
Gliome sind Tumoren des neuroepithelialen Ursprungs, die aus Gliazellen entstehen. Die genaue Ursache der Gliome ist noch unklar, doch genetische Mutationen und epigenetische Veränderungen spielen eine Schlüsselrolle bei ihrer Entstehung. Studien wie GWAS haben die molekulare Unterscheidung zwischen high-grade und low-grade Gliomen bestätigt, was wichtige therapeutische und prognostische Implikationen hat [7].
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern (nur ca. 1-5 % der Gliome sind hereditär/erblich bedingt; Patienten mit Medulloblastomen weisen in ca. 5 % der Fälle Prädispositionsgene auf, unter Berücksichtigung alle Krebsrisiko-Gene bei der Auswertung, hatten 11 % der Patienten ein erhöhtes Krebsrisiko [8])
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen, bezogen auf Gliome (Art von Hirntumoren, gebildet aus Gliazellen (Stützzellen des Nervengewebes)):
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Gene: CDKN2B-AS1, PARP1, TERT
- SNP: rs55705857 in einer intergenischen Region
- Allel-Konstellation: AG (6,0-fach)
- Allel-Konstellation: GG (> 6,0-fach)
- Allel-Konstellation: AG (6,0-fach)
- SNP: rs4977756 im Gen CDKN2B-AS1
- Allel-Konstellation: AG (1,39-fach)
- Allel-Konstellation: GG (1,93-fach)
- SNP: rs4295627 in einer intergenischen Region
- Allel-Konstellation: GT (1,36-fach)
- Allel-Konstellation: GG (1,85-fach)
- SNP: rs2736100 im Gen TERT
- Allel-Konstellation: GT (1,27-fach)
- Allel-Konstellation: GG (1,61-fach)
- SNP: rs1136410 im Gen PARP1
- Allel-Konstellation: CT (0,80-fach)
- Allel-Konstellation: CC (< 0,80-fach)
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Hirntumor der Untergruppe „Sonic Hedgehog-Medulloblastom“ – in 40 % aller Fälle angeboren [9]
- genetische Treiber bei der Entstehung des SHH ist ein Defekt bei einem Gen namens „BCOR“ und der Verlust eines Rezeptorgens namens „Ptch1“; BCOR gilt als sogenanntes Tumorsuppressorgen [10].
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen, bezogen auf Gliome (Art von Hirntumoren, gebildet aus Gliazellen (Stützzellen des Nervengewebes)):
- Entwicklungsgeschichtliche Fehlbildungen
- Geschlecht – Männer sind von Gliomen häufiger betroffen als Frauen
- Bildung – mindestens drei Jahre eine universitäre Ausbildung – versus Schullaufbahn nach neun Pflichtjahren beendet – führt zu einer höheren Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Gliomen [5]:
- Männer: 19 %
- Frauen: 23 %
- Hormonelle Faktoren
Verhaltensbedingte Ursachen
- Psycho-soziale Situation
- hoher Verdienst – bei Männern Risikoerhöhung für ein Glioms um 14 % [4]
Krankheitsbedingte Ursachen
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Onkogene Viren
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Hirnmetastasen (Metastasen/Tochtergeschwülste, symptomatische) ‒ bis zu 20 % der Fälle [5]; vor allem bei Bronchialkarzinom (Lungenkrebs), Mammakarzinom (Brustkrebs), malignes (bösartiges) Melanom (schwarzer Hautkrebs; höchste Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) für zerebrale Metastasierung/bis zu 70 % in Autopsiestudien [6]), Nierenzellkarzinom, Lymphome, Prostatakarzinom (Vorsteherdrüsenkrebs), Magen-Darm-Neubildungen, Schilddrüsenkarzinom; in 3-10 % der Fälle ist der Primärtumor unbekannt
Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Karzinogene
- Ionisierende Strahlen
Medikamente
- Zolpidem (Hypnotikum/Schlafmittel) – Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) benigner (gutartiger) Hirntumoren höher (Einnahmedauer: > 2 Monate Zolpidem; höchste Risiko für benigne Hirntumoren: Zolpidem-Exposition von ≥ 520 mg/Jahr) [2]
Strahlentherapie
- Computertomographische Diagnostik in einem Alter von unter 20 Jahren (5,6-jährige Nachbeobachtungszeit; zuvor eine Frist von fünf Jahren nach der CT verstrichen): In der Nachbeobachtungzeit traten 165 Hirntumoren auf, darunter 121 Gliome; mittlere kumulative Gehirndosis lag bei 47,4 mGy, bei Personen mit einem Hirntumor bei 76,0 mGy. Im Verlauf von fünf bis 15 Jahren entwickelten von 10.000 Kindern und Jugendlichen, bei denen eine einzelne Kopf-CT vorgenommen wurde, aufgrund der Strahlenexposition eine Person einen bösartigen Hirntumor [12].
- Nach einer Computertomographie (CT) im Kopf-Halsbereich ist das Tumorrisiko für Kinder erhöht. Dieses gilt vor allem für Schilddrüsenkarzinome (um 78 % erhöht) und Hirntumoren (um 60 % erhöht). Die Gesamtkrebshäufigkeit ist um 13 % erhöht [1].
- Die internationale Interphone-Studie mit 5963 Patienten mit Hirntumoren (2.644 Gliome, 2.236 Meningeome, 1.083 Akustikusneurinome) konnte keinen zweifelsfreien Zusammenhang zwischen den radiologischen Untersuchungen und erhöhten Odds Ratios für Gliome, Meningeome oder Akustikusneurinome feststellen. Dieses gilt auch für Untersuchung mit den am höchsten veranschlagten Gehirndosen, Schädel-Computertomographie (20 mGy) und zerebrale Angiographie (5 mGy) [11].
Weiteres
- Handy-Gebrauch (Mobiltelefone; schnurlose Festnetzgeräte) – statistisch signifikantes Risiko für Gliome bei einem Handy-Gebrauch > 1 Jahr; bes. hoch war das Risiko bei Exposition vor dem 20. Lebensjahr [3]
Literatur
- Chen JX et al.: Risk of Malignancy Associated with Head and Neck CT in Children: A Systematic Review. Otolaryngol Head Neck Surg 2014, online 22. Juli; doi: 10.1177/0194599814542588
- Harnod T et al.: Higher-Dose Uses of Zolpidem Will Increase the Subsequent Risk of Developing Benign Brain Tumors. http://dx.doi.org/10.1176/appi.neuropsych.14010006
- Hardell L et al.: Mobile phone and cordless phone use and the risk for glioma – Analysis of pooled case-control studies in Sweden, 1997-2003 and 2007-2009. Pathophysiology. 2015 Mar;22(1):1-13. doi: 10.1016/j.pathophys.2014.10.001.
- Khanolkar AR et al.: Socioeconomic position and the risk of brain tumour: a Swedish national population-based cohort study. J Epidemiol Community Health doi:10.1136/jech-2015-207002
- Lin X, DeAngelis LM: Treatment of Brain Metastases. J Clin Oncol 2015; 33: 3475-84
- Patel JK, Didolkar MS, Pickren JW, et al.: Metastatic pattern of malignant melanoma. A study of 216 autopsy cases. Am J Surg 1978; 135: 807-10
- Institute of Cancer Research. "Largest ever brain cancer study reveals new secrets to inherited risk." ScienceDaily. ScienceDaily, 27 March 2017.
- Waszak SM et al.: Spectrum and prevalence of genetic predisposition in medulloblastoma: a retrospective genetic study and prospective validation in a clinical trial cohort Lancet Oncol 2018 May 9. pii: S1470-2045(18)30242-0. doi: 10.1016/S1470-2045(18)30242-0
- Waszak SM et al.: Germline Elongator mutations in Sonic Hedgehog medulloblastoma. Nature 2020;580:396-401
- Kutscher LM et al.: Functional loss of a noncanonical BCOR–PRC1.1 complex accelerates SHH-driven medulloblastoma formation. Genes & Dev. 2020;34: 1161-1176 doi: 10.1101/gad.337584.120
- Auvinen A et al.: Diagnostic radiological examinations and risk of intracranial tumours in adults—findings from the Interphone Study. Int J Epidemiol 2021; https://doi.org/10.1093/ije/dyab140
- Hauptmann M et al.: Brain cancer after radiation exposure from CT examinations of children and young adults: results from the EPI-CT cohort study. Lancet Oncol 2023;24:45-53; https://doi.org/10.1016/S1470-2045(22)00655-6