Akustikusneurinom – Operative Therapie
Die vollständige Tumorentfernung ist nicht mehr in jedem Fall Priorität [1]. Ein beobachtendes Abwarten ("watchful waiting") ist indiziert, solange das Hörvermögen stabil ist und der Tumor nicht wächst.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
Kleine Tumoren (max. Durchmesser < 10-15 mm bzw. Volumen < 1,7 cm³):
- Beobachtendes Abwarten ("watchful waiting"), insbesondere bei rein intrakanalikulärer Lage und wenigen Symptomen.
- Gehörerhaltende Operation mit Chance auf dauerhafte Heilung möglich.
- Ausnahmen: Tumoren, die den Fundus des inneren Gehörgangs vollständig ausfüllen oder primär in der Fossa cochlearis, intracochleär oder intralabyrinthär wachsen (hier führt eine vollständige Entfernung im Regelfall zum Verlust des Hörens).
Mittelgroße Tumoren (max. Durchmesser 15-30 mm; Volumen 1,7-14 cm³):
- Mikrochirurgische Operation über einen retrosigmoidalen Zugang bei teilweiser Hirnstammimpression durch Ausdehnung im Kleinhirnbrückenwinkel; gute Chancen auf Hörerhaltung.
- Beobachtendes Abwarten zur Abschätzung des Wachstumsverhaltens.
Große Tumoren (Stadien 4a und 4b nach Samii, max. Durchmesser > 30 mm, Volumen bis zu 100 cm³):
- Beobachtendes Abwarten nur in Ausnahmefällen.
- Radikale Tumorentfernung in Einzelfällen möglich, jedoch meist ohne funktionelles Hörvermögen.
- Erhaltung des N. facialis ist umgekehrt proportional zur Tumorgröße [2,3].
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Hohes Operationsrisiko bei multimorbiden Patienten.
- Unkontrollierte Gerinnungsstörungen.
- Erwartete hohe postoperative Morbidität.
Operationsverfahren
Die totale Entfernung des Tumors unter Schonung der Nerven und des Gehirns erfolgt über verschiedene Zugangswege:
- Translabyrinthärer Zugang: Durch das Labyrinth des Innenohrs; angewendet, wenn das Hörvermögen bereits zerstört ist.
- Transtemporaler Zugang: Durch den Schäfenbeinbereich; genutzt bei großen Tumoren, die ausschließlich oder überwiegend im knöchernen Gehörgang liegen. Ermöglicht Erhaltung von Gesichtsnerv und Hörnerv.
- Suboccipitaler Zugang: Über die hintere Schädelgrube; bevorzugt bei mittleren und großen Tumoren, mit Erhaltungsmöglichkeiten für Gesichtsnerv und Hörnerv.
Postoperative Nachsorge
- Regelmäßige neurologische Kontrollen zur Überwachung von Gesichtsnerv- und Hörfunktion.
- Audiologische Nachsorge zur Evaluierung verbleibender Hörkapazität.
- Bildgebung (Magnetresonanztomographie, MRT) zur Erfassung eines möglichen Tumorrezidivs.
- Physiotherapie bei Gesichtsnervschwäche zur Verbesserung der motorischen Funktion.
Mögliche Komplikationen
- Fazialisparese: Prophylaxe durch intraoperatives Fazialis-Monitoring.
- Hörverlust: Prophylaxe durch intraoperative Überwachung der Hörfunktion (Monitoring des N. cochlearis).
- Operationsbedingte Schädigungen anderer Hirnnerven (z. B. N. trigeminus, okulomotorische Hirnnerven; selten).
- Ischämische Komplikationen und Nachblutungen (~1 %).
- Postoperative Narben- und Okzipitalneuralgien/Nervenschmerzen (selten).
Vergleich der Operationsmethoden
Methode | Technik | Vorteile | Nachteile |
---|---|---|---|
Translabyrinthärer Zugang | Durch das Labyrinth des Innenohrs | Vollständige Tumorentfernung möglich, gute Übersicht für den Chirurgen | Zerstörung des Hörvermögens |
Transtemporaler Zugang | Durch das Schäfenbein | Erhaltung von Gesichtsnerv und Hörnerv möglich | Eingeschränkte Sicht auf den Tumor |
Suboccipitaler Zugang | Zugang über hintere Schädelgrube | Hörerhalt möglich, Zugang für mittlere/große Tumoren | Risiko für Fazialisparese |
Fazit
Die operative Therapie des Akustikusneurinoms erfordert eine individuelle Abwägung zwischen Tumorgröße, Hörerhalt und Komplikationsrisiken. Bei kleinen und mittelgroßen Tumoren bestehen je nach Zugangsmethode Möglichkeiten zur Schonung des Gesichtsnervs und Erhaltung des Hörvermögens. Bei großen Tumoren ist der Fokus auf die Erhaltung neurologischer Funktionen zu legen. In Einzelfällen kann ein "watchful waiting" sinnvoll sein. Regelmäßige Verlaufskontrollen sind essenziell, um das Therapieergebnis langfristig zu sichern.
Literatur
- Carlson ML, Habermann EB, Wagie AE et al.: The changing landscape of vestibular schwannoma management in the united states – a shift toward conservatism. Otolaryngol Head Neck Surg 2015 Sep;153(3):440-6. doi: 10.1177/0194599815590105. Epub 2015 Jun 30.
- Satar B, Yetiser S, Ozkaptan Y: Impact of tumor size on hearing outcome and facial function with the middle fossa approach for acoustic neuroma: a meta-analytic study. Acta Otolaryngol 2014; 123(4):499-505 http://dx.doi.org/10.1080/00016480310000566a
- Sughrue ME, Yang I, Rutkowski MJ, Aranda D, Parsa AT: Preservation of facial nerve function after resection of vestibular schwannoma. Br J Neurosurg 2010 Dec;24(6):666-71. doi: 10.3109/02688697.2010.520761.