Zwangsstörungen – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Pathogenese der Zwangsstörung (Obsessive-Compulsive Disorder, OCD) ist komplex und basiert auf der Interaktion mehrerer Faktoren, darunter genetische, neurobiologische und psychologische Einflüsse. Es wird davon ausgegangen, dass OCD eine multifaktorielle Genese hat, bei der sowohl biologische als auch psychosoziale Faktoren eine Rolle spielen.

Neurobiologische Faktoren

Die zugrunde liegende Pathophysiologie der Zwangsstörung wird in der Dysfunktion bestimmter Gehirnkreisläufe vermutet, insbesondere in den kortiko-striato-thalamo-kortikalen Schleifen (Schaltkreise zwischen Großhirnrinde, Basalganglien und Thalamus), die normalerweise die Verarbeitung von Handlungen und die Hemmung von Impulsen steuern. Dabei spielt der Nucleus caudatus (Schweifkern) eine zentrale Rolle. Es wird vermutet, dass eine Überaktivität in diesem Bereich zu der typischen Symptomatik von zwanghaften Gedanken (Obsessionen) und Handlungen (Kompulsionen) führt.

Zusätzlich gibt es Hinweise darauf, dass Störungen im Serotoninstoffwechsel eine Schlüsselrolle spielen. Serotonin, ein Neurotransmitter (Botenstoff), der für die Regulierung von Stimmung, Angst und Impulskontrolle zuständig ist, ist bei Patienten mit OCD oft dysreguliert. Der Erfolg von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) bei der Behandlung der Störung unterstützt diese Hypothese.

Genetische Prädisposition

Genetische Studien zeigen eine hohe familiäre Häufung von Zwangsstörungen, was auf eine genetische Prädisposition hindeutet. Zwillingsstudien belegen, dass genetische Faktoren etwa 45–65 % der Varianz bei der Entwicklung von OCD ausmachen. Dabei wurden bestimmte Polymorphismen im Serotonin-Transporter-Gen sowie im Glutamat-Transporter-Gen mit der Störung in Verbindung gebracht. Diese genetischen Variationen könnten zu einer veränderten Funktion von Neurotransmittersystemen führen, die an der Verarbeitung von Angst und Impulskontrolle beteiligt sind.

Dopaminerge Dysregulation

Neben dem Serotonin wird auch der Neurotransmitter Dopamin (Botenstoff für Motivation und Belohnung) als ein Faktor bei der Entstehung von OCD diskutiert. Dopaminerge Überaktivität, insbesondere in den Basalganglien, könnte zur Aufrechterhaltung zwanghaften Verhaltens beitragen. Belege dafür finden sich unter anderem in der Koexistenz von Zwangsstörungen und anderen Erkrankungen, die mit dopaminergen Dysfunktionen assoziiert sind wie dem Tourette-Syndrom.

Immunologische und infektiöse Faktoren

Es gibt Hinweise darauf, dass autoimmunvermittelte Prozesse ebenfalls eine Rolle spielen könnten. Bei einer Untergruppe von Kindern und Jugendlichen mit plötzlichem Beginn von Zwangssymptomen (PANDAS, Pediatric Autoimmune Neuropsychiatric Disorders Associated with Streptococcal infections) wurde eine Assoziation mit Streptokokken-Infektionen festgestellt. Hierbei wird angenommen, dass durch die Infektion Autoantikörper gebildet werden, die das Gehirn angreifen und zu einer Entzündung im Bereich der Basalganglien führen.

Psychosoziale Faktoren

Auch psychosoziale Stressoren und traumatische Erlebnisse können bei prädisponierten Personen zum Ausbruch einer Zwangsstörung beitragen. Kognitive Verzerrungen, wie eine übertriebene Wahrnehmung von Gefahr oder Verantwortung, verstärken zwanghaftes Verhalten, das zur Reduktion von Ängsten führen soll. Verhaltensmodelle erklären Zwangsstörungen zudem durch eine Verstärkung der Zwangshandlungen als kurzfristige Strategien zur Angstreduktion.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der Zwangsstörung ist durch eine Kombination aus genetischen, neurobiologischen und psychosozialen Faktoren geprägt. Neurobiologisch spielen Dysfunktionen im Serotonin- und Dopamin-Stoffwechsel, aber auch immunologische Mechanismen eine zentrale Rolle. Weiterhin gibt es genetische Prädispositionen, die das Risiko für die Entwicklung einer Zwangsstörung erhöhen.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung wird angenommen, genaue Faktoren konnten jedoch bislang nicht benannt werden – In einer kontrollierten Familienstudie wurde eine Prävalenz der Zwangsstörung von 10,9 % bei den Angehörigen von Patienten mit Zwangsstörungen im Vergleich zu 1,9 % bei Kontrollprobanden festgestellt [1].
  • Erstgeborene

Verhaltensbedingte Ursachen 

  • Ernährung
    • Essstörungen – Erkrankungen wie Bulimia nervosa und Anorexia nervosa können das Auftreten von Zwangsstörungen begünstigen.
    • Mangelernährung – Ein Defizit an Mikronährstoffen, insbesondere Magnesium, Zink und B-Vitaminen, kann die psychische Stabilität beeinträchtigen.
  • Genussmittelkonsum
    • Alkoholmissbrauch – Chronischer Alkoholkonsum kann die Kontrolle von Impulsen und Gedanken verschlechtern.
    • Tabakkonsum – Nikotin kann die Stressanfälligkeit erhöhen und zwanghaftes Verhalten verschärfen.
    • Koffeinkonsum – Übermäßiger Konsum koffeinhaltiger Getränke kann Zwangsgedanken und innere Unruhe verstärken.
  • Drogenkonsum
    • Cannabis – Der Konsum kann obsessive Gedanken verstärken und die Entwicklung von Zwangsstörungen begünstigen.
    • Stimulanzien (z. B. Amphetamine, Kokain) – Übermäßige Stimulation des Zentralnervensystems kann zwanghafte Verhaltensmuster hervorrufen oder verschlimmern.
  • Psycho-soziale Situation
    • Perfektionismus – Übermäßige Selbstansprüche und das Bedürfnis nach Kontrolle verstärken Zwangsverhalten.

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Angststörungen
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  • Essstörungen wie Bulimia nervosa
  • Depression
  • Persönlichkeitsstörungen
  • Störungen des Sozialverhaltens
  • Tics

Literatur

  1. Pauls DL et al.: A family study of obsessive-compulsive disorder. Am J Psychiatry 1995. 152(1):76-84