Winterdepression – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die genaue Ätiopathogenese (Krankheitsursachen und -entstehung) der saisonalen Depression (SAD) ist noch nicht vollständig geklärt. Mehrere Faktoren scheinen bei der Entstehung dieser Störung eine Rolle zu spielen und beeinflussen sich gegenseitig. SAD ist gekennzeichnet durch ein saisonal wiederkehrendes Muster, das vor allem in den Wintermonaten auftritt und in den Frühjahrs- und Sommermonaten nachlässt.

Genetische Prädisposition

  • Sowohl bei der saisonalen Depression als auch bei der Major Depression (depressive Episode ohne saisonale Abhängigkeit) wird eine genetische Komponente vermutet. Studien deuten darauf hin, dass Personen mit einer genetischen Veranlagung ein höheres Risiko haben, an einer saisonalen Depression zu erkranken.
  • Bei Verwandten von SAD-Patienten ist das Risiko für die Entwicklung der Erkrankung signifikant erhöht.

Veränderungen im Neurotransmitter-System

Bei SAD zeigen sich Abweichungen im Neurotransmitter-Stoffwechsel, insbesondere in der serotoninergen und noradrenergen Aktivität:

  • Serotonin: Eine verminderte Verfügbarkeit von Serotonin (ein Neurotransmitter, der unter anderem die Stimmung reguliert) könnte eine zentrale Rolle spielen. Studien weisen darauf hin, dass Patienten mit SAD eine reduzierte serotoninerge Aktivität aufweisen, was eine verminderte Stressresistenz und eine erhöhte Anfälligkeit für depressive Verstimmungen zur Folge hat.
  • Noradrenalin: Noradrenalin ist ein Neurotransmitter, der unter anderem den Antrieb und die Wachsamkeit beeinflusst. Veränderungen in der noradrenergen Aktivität könnten die Symptome der Antriebslosigkeit und Müdigkeit bei SAD-Patienten erklären.
  • Diese Veränderungen im Neurotransmitter-System sind möglicherweise auf den geringeren Lichteinfluss in den Wintermonaten zurückzuführen, der die Synthese und Freisetzung dieser Botenstoffe im Gehirn beeinflusst.

Störung der Melatoninsekretion

  • Melatonin ist ein Hormon, das vor allem bei Dunkelheit in der Zirbeldrüse (Epiphyse) produziert wird und den Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers steuert. Bei SAD-Patienten wurde eine erhöhte Melatoninproduktion festgestellt, insbesondere während der Wintermonate.
  • Der erhöhte Melatoninspiegel könnte durch eine längere Dunkelheitsperiode bedingt sein und zu einer verzögerten Schlafphase und einem gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus führen. Dies trägt möglicherweise zur Entwicklung von Schläfrigkeit, Müdigkeit und depressiver Verstimmung bei.

Veränderte Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse)

  • SAD-Patienten zeigen eine Dysregulation der HPA-Achse, welche die Stressempfindlichkeit beeinflusst:
    • Es kommt zu veränderten Spiegeln des Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH) und von Cortisol, einem Stresshormon, das bei chronischem Stress in hohen Mengen ausgeschüttet wird.
    • Diese veränderten Cortisolspiegel können zu einer verstärkten Stressantwort führen, was die depressive Symptomatik verstärken kann.

Einfluss von Licht auf den zirkadianen Rhythmus

  • Der zirkadiane Rhythmus (biologische Uhr) wird durch Lichtreize reguliert. Bei Patienten mit SAD ist die Empfindlichkeit gegenüber Licht verändert: 
    • Ein Lichtmangel in den Wintermonaten führt zu einer Verlängerung der nächtlichen Melatoninproduktion, was den zirkadianen Rhythmus verschiebt und zu einer desynchronisierten inneren Uhr führt.
    • Diese Fehlanpassung äußert sich in einer verzögerten Phase des Schlaf-Wach-Rhythmus, einer verminderten Wachsamkeit am Tag und einer vermehrten Tagesmüdigkeit.

Psychosoziale Belastungsfaktoren

  • Eine psychosoziale Komponente kann die genetische und biologische Prädisposition verstärken. Personen, die in den Wintermonaten berufliche oder private Belastungen erleben, sind anfälliger für die Entwicklung einer saisonalen Depression.

Zusammenhang mit der Major Depression

  • Die saisonale Depression (SAD) teilt viele Merkmale mit der Major Depression, insbesondere in Bezug auf die Veränderungen des Neurotransmitter-Systems und der Stressantwort.
  • Bei einigen SAD-Patienten kann sich die Erkrankung im Verlauf in eine Major Depression ohne saisonale Abhängigkeit entwickeln, was auf eine gemeinsame pathophysiologische Grundlage hinweist.

Zusammenfassung

Die Pathogenese der saisonalen Depression ist multifaktoriell und umfasst genetische, biologische und psychosoziale Faktoren. Veränderte Neurotransmitteraktivitäten, insbesondere im Serotonin- und Noradrenalin-System, eine veränderte Melatoninsekretion, Dysregulationen in der HPA-Achse und eine gestörte Lichtwahrnehmung spielen eine zentrale Rolle bei der Krankheitsentstehung.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern wird vermutet
    • Zwillingsstudie zeigte gemeinsame genetische Faktoren für depressive Stimmung und Abendtyp [1]
    • Nahe Verwandte mit psychiatrischen Erkrankungen wie beispielsweise einer Schizophrenie

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Vitamin-D-Mangel – Reduzierte Aufnahme von Vitamin D durch Nahrung oder fehlende Sonnenexposition kann depressive Symptome verstärken.
    • Omega-3-Fettsäuren – Mangel an Omega-3-Fettsäuren (Docosahexaensäure, Eicosapentaensäure), z. B. durch wenig Fischkonsum, erhöht das Risiko für depressive Verstimmungen.
    • Mikronährstoffmangel – Defizite an Magnesium, Zink und B-Vitaminen können depressive Symptome fördern.
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol – Konsum oberhalb der WHO-Grenzwerte (Frau: > 40 g/Tag; Mann: > 60 g/Tag) erhöht das Risiko für depressive Verstimmungen.
    • Rauchen – Nikotinkonsum wird mit einem höheren Risiko für depressive Erkrankungen assoziiert.
    • Koffeinüberkonsum – Übermäßiger Konsum (z. B. > 400 mg/Tag) kann das Schlafverhalten stören und depressive Symptome begünstigen.
  • Drogenkonsum
    • Der Konsum von Substanzen wie Cannabis, Amphetaminen oder Kokain wird mit einer Dysregulation des Serotonin- und Dopaminsystems assoziiert, die Winterdepressionen verschlimmern können.
  • Körperliche Aktivität
    • Bewegungsmangel führt zu einer Verringerung der Serotonin- und Dopaminproduktion, die mit Winterdepressionen in Verbindung stehen kann.
  • Psycho-soziale Situation
    • Chronischer Stress, mangelnde soziale Unterstützung und Einsamkeit sind häufige Risikofaktoren für depressive Verstimmungen in der dunklen Jahreszeit.
  • Schlafqualität
    • Insomnie oder andere Schlafstörungen durch unregelmäßige Schlafenszeiten oder Schichtarbeit fördern depressive Symptome.
  • Übergewicht und Fettverteilung
    • Übergewicht (BMI ≥ 25) und eine zentrale Fettverteilung können mit erhöhten Entzündungsmarkern einhergehen, die depressive Verstimmungen fördern.

Medikamente

  • Antiarrhythmika
    • Klasse Ic-Antiarrhythmika (Flecainid)
    • Mexiletin
  • Antibiotika
    • Aminoglykoside (Amikacin, Gentamicin, Netilmicin, Sisomicin, Tobramycin)
    • Chinolone (Ciprofloxacin, Enoxacin, Fleroxacin, Grepafloxacin, Levofloxacin, Lomefloxacin, Ofloxacin, Rosoxacin, Sparfloxacin, Temafloxacin)
  • Antiepileptika (Felbamat, Gabapentin, Lamotrigin, Tiagabin, Topiramat, Valproinsäure/Valproat)
  • Antiparkinsonmittel
    • anticholinerge (Benzatropin, Biperiden, Bornaprin, Metixen, Orphenadrin, Pridinol, Procyclidin, Trihexyphenidyl )
    • dopaminerge (Amantadin, Cabergolin, Dihydroergocryptinmesilat, Levodopa, Pergolid)
  • Antipsychotika (Neuroleptika) – Chlorpromazin, Chlorprothixen, Clopenthixol, Clozapin, Benperidol, Bromperidol, Butyrophenone, Dixyrazin, Decanoat, Fluanison, Flupentixol, Fluphenazin, Fluspirilen, Haloperidol/-Decanoat, Levomepromazin, Melperon, Metofenazat, Neuroleptika, Olanzapin, Oxypertin, Perazin, Periciacin, Perphenazin/-Enantat, Phenothiazine, Pimozid, Pipamperon, Promazin, Promethazin, Prothipendyl, Reserpin, Risperidon, Sulforidazin, Thioridazin, Tiotixen, Trifluoperazin, Trifluperidol, Triflupromazin, Zotepin, Zuclopenthixol/-Azetat/-Decanoat
  • Betablocker (Propranolol, selten!)
  • Hormone
    • Antiandrogene (Bicalutamid, Cyproteronazetat, Flutamid)
    • Antiöstrogene (Tamoxifen)
    • Aromatasehemmer (Anastrozol)
    • Gestagene (Levonorgestrel, Lynestrenol, Medroxyprogesteronacetat, Norethisteron)
    • GnRH-Analoga (Goserelin)
    • Glucocorticoide (Cortison, Prednisolon)
    • Östrogene
  • H2-Antihistaminika (Cimetidin, Ranitidin)
  • Immunmodulatoren (Interferon α2, Interferon 2β)
  • Lokalanästhetika (Lidocain, Mepivacain, Procain)
  • Nicht-Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI)  (Efavirenz, Nevirapin)
  • Nukleosid-Analoga (Abacavir, Didanosin, Lamivudin, Stavudin, Zidovudin)
  • Opioide (Oxycodon)
  • Retinoide (Acitretin, Isotretinoin)
  • Virostatika (Didanosin, Ganciclovir, Lamivudin, Riabvirin, Ritonavir, Stavudin, Zalcitabin)
  • Zytokine (Interferon ß-1a, Interferon ß-1b, Glatirameracetat)
  • Zytostatika (Pentostatin)

Literatur

  1. Toomey R, Panizzon MS, Kremen WS, Franz CE, Lyons MJ. A twin-study of genetic contributions to morningness-eveningness and depression. Chronobiol Int 2015 Apr;32(3):303-9. doi: 10.3109/07420528.2014.971366.