Tetanie – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die hypocalcämische Tetanie ist eine krampfhafte Muskelanspannung, die durch erniedrigte Calciumspiegel im Blut ausgelöst wird. Dies führt zu einer Übererregbarkeit der Nerven und Muskeln. Die Pathogenese variiert je nach zugrundeliegender Ursache.
Hypocalcämische Tetanien (Tetanie, einhergehend mit erniedrigten Calcium-Blutwerten)
- Enterogene/primäre Calciummangel-Tetanie: Calcium-Resorptionsstörung oder Mangelernährung führt zu einer unzureichenden Aufnahme von Calcium im Darm, was letztlich zu einem erniedrigten Calciumspiegel im Blut führt.
- Parathreogene Tetanie: Nach Parathyreoidektomie (Entfernung der Nebenschilddrüsen) oder bei Hypoparathyreoidismus (Nebenschilddrüsenunterfunktion) kommt es zu einem Mangel an Parathormon (PTH), das normalerweise den Calciumspiegel im Blut reguliert.
- Pseudohypoparathyreoidismus (Martin-Albright-Syndrom): Bei dieser genetischen Erkrankung besteht eine Resistenz der Nieren und Knochen gegen Parathormon, was zu einem funktionellen Calciumdefizit führt, obwohl der PTH-Spiegel im Blut normal oder erhöht ist. Es gibt verschiedene Untertypen:
- Typ Ia: Zusätzliche Symptome wie Albright-Osteodystrophie (Knochenveränderungen wie Brachymetakarpie).
- Typ Ib: PTH-Resistenz ohne Albright-Osteodystrophie.
- Typ Ic: Wie Typ Ia, aber mit intakter cAMP-Produktion.
- Typ II: Fehlende Albright-Osteodystrophie, vermutliche Unterformen.
- Rekalzifizierungs-Tetanie: Nach einer Parathyreoidektomie kann es zu einem plötzlichen erhöhten Bedarf an Calcium (Calcium-Avidität) kommen, was eine Tetanie auslöst.
- Renale Tetanie: Eine Hyperphosphatämie (erhöhter Phosphatspiegel) aufgrund einer Niereninsuffizienz (Nierenfunktionsstörung) kann zu einem Calciumdefizit und damit zur Tetanie führen.
- Toxische Tetanie: Verschiedene toxische Substanzen wie Oxalate, Fluoride oder Citrate können zu einer Calciumverarmung im Blut führen und eine Tetanie auslösen.
Normocalcämische Tetanie (Tetanie, einhergehend mit normalen Calcium-Blutwerten)
- Idiopathische Tetanie: Tritt bei Neurasthenikern (Erschöpfungszustand) und Personen mit psychischen Störungen auf, ohne dass eine organische Ursache erkennbar ist.
- Hyperventilationstetanie: Bei Hyperventilation kommt es zu einer respiratorischen Alkalose (Störung des Säure-Basen-Haushalts), die durch eine Abnahme des Kohlendioxidgehalts im Blut zu einer Verschiebung des Calcium-Ionen-Gleichgewichts führt.
- Infektionen und Vergiftungen: Infektionen oder Arzneimittelvergiftungen durch Substanzen wie Adrenalin, Koffein oder Morphin können eine Tetanie auslösen.
- Zentrale Tetanie: Verletzungen oder Störungen im Bereich des Hypothalamus (Regulationszentrum im Gehirn) können eine zentrale Ursache der Tetanie sein.
- Magnesiummangeltetanie: Hypomagnesiämie (Magnesiummangel) führt zu einer gesteigerten Erregbarkeit der Nerven und Muskeln und kann so eine Tetanie auslösen.
- Magen-Tetanie: Tritt nach starkem Erbrechen auf, das zu einem Chloridmangel (Hypochlorämie) führt.
- Graviditäts-Tetanie: Durch Hyperemesis gravidarum (starkes Schwangerschaftserbrechen) oder Gestose (schwangerschaftsbedingte Erkrankungen) kann es zu Elektrolytstörungen kommen, die eine Tetanie auslösen.
Ätiologie (Ursachen)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – Eine Unterversorgung mit essenziellen Mikronährstoffen wie Calcium und Magnesium kann das Risiko für Tetanie erhöhen.
Siehe dazu: Prävention mit Mikronährstoffen.
Krankheitsbedingte Ursachen
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Calciumresorptionsmangel
- Calcium-Mangelernährung
- Hypochlorämie (zu niedriger Blutchloridspiegel) bzw. Hypochlorämie und Alkalose nach Erbrechen
- Idiopathischer Hypoparathyreoidismus
- Magnesiummangel bzw. Magnesiumverarmung
- Mangelernährung
- Pseudohypoparathyreoidismus – Parathormonresistenz, die unter anderem zu Kleinwuchs und geistiger Retardierung führt
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Infektionserkrankungen, nicht näher bezeichnet
Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)
- Hypothalamusläsionen (z. B. durch Trauma/Verletzung; Tumor, Enzephalitis), nicht näher bezeichnet – Verletzungen in einem Teil des Zwischenhirns
- Neurasthenie* (Nervenschwäche, von τὀ νεῦρὀν neuron „Nerv“ und ὰσθενὴς asthenès „schwach“)
- Psychopathie* (Kunstwort aus griech. ψυχή, psychḗ, „Seele“ und πάθος, páthos, „Leiden“; jeweils altgriechische Aussprache)
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99)
- Emesis gravidarum (Schwangerschaftserbrechen)
- Gestose – Bluthochdruck in der Schwangerschaft
Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)
- Hyperventilation (→ respiratorische (atmungsbedingter) Alkalose (Störung des Säure-Basen-Haushaltes), diese wiederum führt zur verminderten Calcium-Ionisierung)
Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)
- Hyperphosphatämie (Phosphatüberschuss) infolge einer Niereninsuffizienz (Nierenschwäche)
Weitere Ursachen
- Zustand nach Parathyreoidektomie (Nebenschilddrüsenentfernung)
Medikamente
- Bei Arzneimittelvergiftungen – Adrenalin, Guanidin, Koffein, Morphin
Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Citrate** – Citratzufuhr bei Massentransfusion bzw. Formen der Hämodialyse (Blutreinigungsverfahren)
- Fluoride**
- Oxalate**
*„Pseudo-Tetanie" mit Anfällen in bestimmten psychischen Situationen; trotz Normokalzämie (normaler Calcium-Blutspiegel) durch Calcium-Injektion kupierbar (gut zu unterdrücken)
**Durch chemische Bindung des Blut-Calciums