Synkope und Kollaps – Weitere Therapie
Allgemeine Maßnahmen [ESC Syncope Guidelines 2018 + S1-Leitlinie 2020]
- Sofort Notruf absetzen! (Rufnummer 112)
- Abklärung:
- Handelt es um eine Synkope oder liegen andere Gründe für den Kreislaufkollaps vor?
- Besteht ein Risiko, dass der Patient ein kardiovaskuläres Ereignis erleiden oder versterben könnte?
- Nachfolgende Fragen sollten sich der Arzt/die Ärztin bei der Abklärung von Ohnmachtsanfällen in der Notaufnahme stellen:
- Liegt eine ernstzunehmende Ursache für den Bewusstseinsverlust vor?
- Wenn die Ursache unbekannt ist, wie hoch ist das Risiko, dass der Bewusstseinsverlust ernste Gründe haben kann?
- Sollte der Patient stationär aufgenommen werden?
- Asymptomatische Patienten mit unklarer Synkope gelten bei folgenden Befunden als Hochrisikopatienten:
- Familienanamnese eines plötzlichen Herztodes bzw. Todesfall eines Familienmitglieds im Alter unter 30 Jahren
- hohes Lebensalter bzw. schwerwiegende Morbidität (Begleiterkrankung)
- Anamnese oder klinische Zeichen einer Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
- abnormales Elektrokardiogramm (EKG; Aufzeichnung der elektrischen Aktivitäten des Herzmuskels)
- Hämatokrit (Anteil der zellulären Bestandteile am Volumen des Blutes) < 30 bzw. Hinweise auf einen klinisch relevanten Volumenmangel
- Symptomatische Hochrisikopatienten und Patienten mit kardialer (herzbedingter) oder zerebrovaskuläre (gehirngefäßbedingter) Synkope bedürfen der weiteren Abklärung und müssen stationär aufgenommen werden.
- Bei behandlungsbedürftigen Sturzfolgen erfolgt eine stationäre Aufnahme unabhängig von der Risikosituation.
- Asymptomatische Patienten mit unklarer Synkope und niedrigem Risiko können zeitnah entlassen werden – die weitere Abklärung erfolgt ambulant.
- Asymptomatische Patienten mit unklarer Synkope gelten bei folgenden Befunden als Hochrisikopatienten:
- Medikamentenanamnese (bei neurogener orthostatischer Hypotension/orthostatischer Hypotension): "Auslösende oder verstärkende Medikationen wie Alpha-Blocker, Diuretika, Vasodilatanzien, Dopaminagonisten, trizyklische Antidepressiva oder Venodilatatoren sollten reduziert, beendet oder gewechselt werden" [S1-Leitlinie].
Therapie [ESC Syncope Guidelines 2018 + S1-Leitlinie 2020]
Karotis-Sinus-Massage (einseitiger Druck auf den Karotissinus); Indikation:
- Patient > 40 Jahre
- Ursache für die Synkope unklar und Reflexmechanismus nicht auszuschließen.
Orthostatische vasovagale Synkope
Patienten mit vasovagaler Synkope (VVS; Synonym: Reflexsynkope):
- Aufklärung über die günstige Prognose einer vasovagalen Synkope (VVS) (keine Herzkrankheit, keine reduzierte Lebenserwartung)
- Vermeiden von Auslösemechanismen: z. B. Flüssigkeitsmangel, langes Stehen, überwärmte Räume.
- Physikalische Maßnahmen: Allgemeine, kreislaufstärkende Maßnahmen
- Medikation bei jungen Patienten mit Hypotonie: s. u. medikamentöse Therapie
- Junge Patienten mit Prodromi (Frühsymptome einer Erkrankung): Gegendruckmanöver (inklusive Tilt-Training, falls erforderlich)
- Altere Patienten mit dominierender kardioinhibitorischer Reflexsynkope: Implantation eines Herzschrittmachers (HSM)
- Altere Patienten mit Hypertonie: Unterbrechung einer antihypertensiven (blutdrucksenkenden) Therapie oder Dosisreduktion bis zum Erreichen eines systolischen Zielblutdrucks (gemäß Leitlinien; s. u. Hypertonie (Bluthochdruck)
Patienten, die an Reflexsynkopen (z. B. vasovagale Synkope (VVS), Situationssynkope, Karotis-Sinus-Hypersensitivität) oder an einer orthostatischen Hypotonie* leiden, müssen über die Diagnose aufgeklärt und beruhigt werden. Sie müssen über die Risiken einer Rückfalls und Maßnahmen zur Rezidivprophylaxe informiert werden. Folgende Hinweise sollten dazu u. a. gegeben werden:
Allgemeine, kreislaufstärkende Maßnahmen können zur Besserung beitragen:
- Langsames morgendliches Aufstehen
- Ausreichende Flüssigkeits- (ca. 1,5-2,0 (2,5) l/Tag) und Kochsalzzufuhr (5-6 g/Tag)
- Wechselduschen
- Bürstenmassagen
- Saunabesuche
- Tragen einer elastischen Bauchbinde (abdominelle Bauchbinde) und/oder von Kompressionsstrümpfen
- Sport: empfehlenswert sind Schwimmen, Laufen und Tennis
- Yoga – Dehn- und Lockerungsübungen, kontrolliertes Atmen, das Halten bestimmter Körperpositionen; Meditation und Entspannungstechniken [1]
- Regelmäßiges Stehtraining (täglich mindestens 30 Minuten angelehnte Stehen (in sicherer Umgebung), dabei Füße in ca. 20 cm Abstand von der Wand) bei Patienten mit orthostatischer vasovagaler Synkope
- Schlafen mit erhöhtem Oberkörper
- Isometrische Gegenmanöver in der synkopalen Prodromalphase (Vorläuferphase der Synkope):
- Hocken oder Kreuzen der Beine oder Anspannung der Gesäß-, Bauch-, Bein- und Armmuskeln (= physikalische Gegendruckmanöver)
- Ggf. Unterbrechung einer antihypertensiven (blutdrucksenkenden) Therapie bzw. Dosisreduktion
Ausgewählte Patienten mit oder ohne kurze Prodromi (uncharakteristische Vorzeichen oder auch Frühsymptome einer Erkrankung): Einsetzen eines implantierbaren Eventrecorders (Ereignis-Recorder)
*Eine orthostatische Hypotonie wird definiert durch einen Blutdruckabfall innerhalb von 3 Minuten nach dem Lagewechsel vom Liegen zum Stehen; dabei fällt der systolische Blutdruck um mehr als 20 mmHg oder auf einen Wert unter 90 mmHg absolut; der diastolische Blutdruck fällt um mehr als 10 mmHg.
Neurogene orthostatische Hypotension (NOH)
Behandlung ursächlicher Grunderkrankungen wie beispielsweise Diabetes mellitus oder Parkinson-Syndrom
Vermeidung von Auslösemechanismen durch Verhaltensregeln:
- Vermeidung warmer oder heißer Umgebung (z. B. heißer Bäder, Duschen, Saunen wg. verstärktem venösen Poolings)
- Aufstehen nach Nachtschlaf: kein abruptes Aufstehen wg. Gefahr der Blutdrucksenkung
- ggf. vor dem Aufstehen vorbeugend Trinken von einem halben Liter Wasser
- bes. vorsichtiges Aufstehen beim nächtlichen Toilettengang
- Postprandialer Zustand (nach dem Essen): erhöhte Gefahr der orthostatischen Hypotension durch Vasodilatation bedingt durch üppige Mahlzeiten und/oder Alkoholkonsum
- vermeiden von Mahlzeiten vor längeren Stehbelastungen
- Alkoholkonsum zu einem späteren Zeitpunkt oder gar nicht
Physikalische Maßnahmen
- Tragen einer elastischen Bauchbinde (abdominelle Bauchbinde) und/oder von Kompressionsstrümpfen
- Ausreichende Flüssigkeits- (ca. 1,5-2,0 (2,5) l/Tag) und Kochsalzzufuhr (5-10 g/Tag) – insb. kurz vor Stehbelastung und vor Mahlzeiten
- Schlafen mit erhöhtem Kopfteil, d. h. Kopfende des Bettes um 20-30 cm erhöht
Medikation zur Reduktion der orthostatischen Hypotonie:
- Midodrin (Alpha-Sympathomimetikum; 3 × 2,5-10 mg/d) zur Verbesserung der Vasokonstriktion (Gefäßverengung)
- Fludrocortison (Mineralocorticoid; 1-2 × 0,5 mg/d) für eine Volumenvermehrung (nur für die Kurzzeittherapie zugelassen)
Posturales Tachykardie Syndrom
Vermeidung von Auslösemechanismen durch Verhaltensregeln:
- Häufige kleine Mahlzeiten anstatt einer großen Mahlzeit
- Vermeidung übermäßiger Bettruhe und körperlicher Schonung
- Langsames Aufstehen aus dem Liegen oder Sitzen
- Ausreichende Flüssigkeits- (ca. 1,5-2,0 (2,5) l/Tag) und Kochsalzzufuhr (5-10 g/Tag) – insb. kurz vor Stehbelastung und vor Mahlzeiten
- Ausdauertraining (30 bis 45 Minuten, dreimal pro Woche)
Konventionelle nicht-operative Therapieverfahren
Spezifische Therapie der führenden Arrhythmie.
Bei Vorliegen einer strukturellen (kardialen oder kardiopulmonalen) Erkrankung Behandlung derselben.
Kardiale Synkopen
- Herzschrittmacher (HSM) oder Pacemaker (PM)/Schrittmacher – bei Bradyarrhythmien (sehr langsamen Herzschlag mit einer Frequenz unter 50 Schlägen pro Minute ohne erkennbaren Rhythmus)
- Implantierbarer Kardioverter/Defibrillator (ICD) – bei hämodynamisch instabilen Tachyarrhythmien (zu schneller und absolut unrhythmischer Herzschlag: die Herzfrequenz liegt meist deutlich über 90/Minute)
- Katheterablation – bei ventrikulären und supraventrikulären Tachyarrhythmien (Tachyarrhythmien, die aus der Herzkammer kommen (ventrikulär) oder dem Vorhof (supraventrikulär))
Die Katheterablation (lat. ablatio „Abtragung, Ablösung“) der Gewebeanteile, die pathologische (krankhafte) elektrische Impulse senden, erfolgt mit Hilfe eines Katheter-basierten Verfahrens über das Herbeiführen einer Narbe.
ICD-Implantation
- Bei Patienten mit unerklärbarer Synkope und einem hohen Risiko für einen plötzlichen Herztod (PHT; siehe dazu unter der gleichnamigen Erkrankung) ist eine Abwägung der Vorteile einer ICD-Implantation gegen den Risiken vorzunehmen.
- Bei einer Synkope und eingeschränkter linksventrikulärer Auswurffraktion, allerdings oberhalb 35 % (d. h. ohne unstrittige ICD-Indikation), besteht eine ICD-Indikation (IIa C) [Syncope Guidelines 2018].
Literatur
- Sharma G et al.: Effect of Yoga on Clinical Outcomes and Quality of Life in Patients With Vasovagal Syncope (LIVE-Yoga). Journal of the American College of Cardiology 2021. https://doi.org/10.1016/j.jacep.2021.09.007
Leitlinien
- Moya A, Sutton R, Ammirati F, Blanc et al.: for the Task Force for the Diagnosis and Management of Syncope; European Society of Cardiology (ESC); European Heart Rhythm Association (EHRA); Heart Failure Association (HFA); Heart Rhythm Society (HRS): Guidelines for the diagnosis and management of syncope (version 2009). Eur Heart J 2009; 30: 2631-71. Epub 2009 Aug 27.
- Brignole M, Moya A, de Lange F et al.: 2018 ESC Guidelines for the diagnosis and management of syncope. European Heart Journal, ehy037, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehy037 Published: 19 March 2018
- S1-Leitlinie: Synkopen. (AWMF-Registernummer: 030-072), Januar 2020 Langfassung
- S2k-Leitlinie: Synkopen im Kindes- und Jugendalter. (AWMF-Registernummer: 023-004), Februar 2020 Langfassung