Synkope und Kollaps – Differentialdiagnosen

Kardiale ‒ das Herz betreffende ‒ Ursachen

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Adams-Stokes-Anfall – Synkope (kurzzeitige Bewusstlosigkeit) aufgrund einer kurzen Asystolie (Aussetzen der elektrischen und mechanischen Herzaktion für mehr als 2 Sekunden) infolge Sinusknotenarrest, SA-Blockierung oder AV-Blockierung [Patient sieht aus wie tot und hat bei Erholung eine auffällige Gesichtsrötung] (über einen Beobachter/dabei Anwesenden sollten Informationen zum Ablauf eingeholt werden)
  • Aortendissektion (Synonym: Aneurysma dissecans aortae) – akute Aufspaltung (Dissektion) der Wandschichten der Aorta (Hauptschlagader), mit einem Einriss der inneren Schicht der Gefäßwand (Intima) und einer Einblutung zwischen der Intima und der Muskelschicht der Gefäßwand (äußere Media), im Sinne eines Aneurysma dissecans (krankhafte Ausweitung der Schlagader); Symptome: akut einsetzender Vernichtungsschmerz mit Ausstrahlung in den Rücken; bei heftigem Thoraxschmerz(Brustschmerzen) häufig als Myokardinfarkt missgedeutet; Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen): 4,6 Fälle auf 100.000 Einwohner 
    Beachte: Bei Notaufnahme-Patienten, die sich wegen Rücken- oder Brustschmerzen bzw. aufgrund einer Synkope (kurzzeitige Bewusstlosigkeit) vorstellen, muss an eine Aortendissektion gedacht werden.
  • Arrhythmogene Syndrome
    • Long-QT-Syndrom – gehört zur Gruppe der Ionenkanalerkrankungen (Kanalopathien); Herzerkrankung mit pathologisch verlängertem QT-Intervall im Elektrokardiogramm (EKG); Erkrankung ist entweder kongenital (vererbt) oder erworben, dann meist als Folge einer unerwünschten Arzneimittelwirkung (s. u. "Herzrhythmusstörung durch Medikamente"); kann bei sonst herzgesunden Menschen zum plötzlichen Herztod (PHT) führen.
    • Brugada-Syndrom – wird den „primären kongenitalen (angeborenen) Kardiomyopathien“ und dort den sogenannten Ionenkanalerkrankungen zugerechnet; in 20 % der Erkrankungsfälle liegt eine autosomal-dominante Punktmutation des SCN5-Gens zu Grunde; charakteristisch sind das Auftreten einer Synkope (kurzzeitige Bewusstlosigkeit) und ein Herzstillstand, was erst durch Herzrhythmusstörungen wie polymorphe ventrikuläre Tachykardien oder Kammerflimmern auftritt; Patienten mit dieser Erkrankung sind scheinbar völlig herzgesund, können aber bereits im Jugend- und frühen Erwachsenenalter einen plötzlichen Herztod (PHT) erleiden.
    • arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC; ARVCM; Synonyme: Arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie-Kardiomyopathie; ARVD; ARVC) – Einlagerung von Binde- und Fettgewebe im Muskelgewebe des rechten Ventrikels (Herzkammer)
  • Herzklappenfehler (Vitien) wie die Aortenstenose, Mitralklappenstenose oder Pulmonalstenose
  • Herzrhythmusstörungen ‒ sowohl bradykarde (langsame) als auch tachykarde (schnelle) Störungen (z. B. ventrikuläre Tachykardie!)
    • Bradykarde Herzrhythmusstörungen: Sick-Sinus-Syndrom (Herzrhythmusstörungen, die auf Fehlfunktionen des Sinusknotens und der Erregungsleitung auf Vorhofebene beruhen); AV-Blockierungen II. und III. Grades
    • Tachykarde Herzrhythmusstörungen: Supraventrikuläre Tachykardien; Kammertachykardien/Kammerflimmern (z. B. nach Myokardinfarkt, Ionenkanalerkrankungen wie das Brugada-Syndrom oder das lange QT-Syndrom [Romano-Ward-Syndrom])
  • Hirnstammischämie – Minderdurchblutung des Hirnstamms
  • Hypertrophische obstruktive Kardiomyopathie (HOCM) – Herzmuskelerkrankung, die mit folgenden Symptomen und Komplikationen einhergehen kann: Dyspnoe (Atemnot), Angina pectoris ("Brustenge"; plötzlich auftretender Schmerz in der Herzgegend), Herzrhythmusstörungen, Synkope (kurz andauernde Bewusstlosigkeit) und plötzlicher Herztod (PHT)
  • Karotissinussyndrom (Karotis-Sinus-Syndrom; Synonyme: hypersensitives Carotissinussyndrom (HCSS), Syndrom des hypersensitiven Karotissinus) – hyperaktiver Karotissinusreflex, der Ursache für eine Bradykardie bis hin zur kurzfristigen Asystolie (vollständiges Aussetzen der elektrischen und mechanischen Herzaktion für mehr als 2 Sekunden; bei Karotissinussyndrom: 6 Sekunden oder ein Abfall des Blutdrucks von mindestens 50 mmHg systolisch)/akuter Kreislaufstillstand mit synkopalen Beschwerden sein kann;  bei 20 % aller Patienten über 60 Jahre kann eine Karotis-Sinus-Hypersensitivität nachgewiesen werden, aber weniger als 1 % haben ein nachweisbares Karotis-Sinus-Syndrom
  • Koronare Herzkrankheit (KHK; Herzkranzgefäßerkrankung) – belastungsabhängige Präsynkope oder Synkope als alleinige Manifestation einer KHK (sehr selten)
  • Lungenembolie (LE; Verschluss eines Lungengefäßes durch einen Thrombus (Blutpfropf), meist auf Grund einer Venenthrombose)
    • 1,4 % der Patienten mit Synkope; in den nächsten 2 Jahren der Nachbeobachtungszeit kamen 0,9 % hinzu [4]
    • LE ist für eine von sechs schweren Synkopen verantwortlich [1]
    • Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) für eine LE bei Patienten, die sich zur Abklärung der Synkope in einer Notaufnahme vorgestellt hatten, lag bei unter 1 % [3].
  • Myokardinfarkt (Herzinfarkt), stummer
  • Orthostatische Hypotension (OH): Blutdruckabfall im Stehen auf Grund einer unzureichenden peripheren Vasokonstriktion (Gefäßverengung)
  • Perikardtamponade (Herzbeuteltamponade) ‒ Kompression des Herzens durch Flüssigkeit wie Blut im Herzbeutel
  • Pulmonale Hypertonie (Lungenhochdruck)
  • Subarachnoidalblutung (SAB; Blutung zwischen der Spinnengewebshaut und der weichen Hirnhaut; Häufigkeit: 1-3 %); Symptomatik: Vorgehen nach "Ottawa-Regel für Subarachnoidalblutung":
    • Lebensalter ≥ 40 Jahre
    • Meningismus (Symptom der schmerzhaften Nackensteifigkeit bei Reizungen und Erkrankungen der Hirnhäute)
    • Synkope (kurzzeitige Bewusstlosigkeit) bzw. Bewusstseinsstörung (Somnolenz, Sopor und Koma)
    • Beginn der Cephalgie (Kopfschmerzen) während körperlicher Aktivität
    • Donnerschlagkopfschmerz/Vernichtungskopfschmerz (ca. 50 % der Fälle)
    • Eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS)
  • Venöse Thromboembolie (VTE) 1,4 % [2]
  • Zerebrale Ischämie ‒ Minderdurchblutung des Gehirn

Neurogene ‒ das Nervensystem betreffende ‒ Ursachen  

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Basilarismigräne ‒ Form von Migräne
  • Epileptische Anfälle
  • Hyperventilation – gesteigerte Atmung, die über den Bedarf hinaus geht
  • Hysterie
  • Narkolepsie – gehört zur Gruppe der Hypersomnie (Schlafsucht)
  • Neurogene Synkope, z. B. durch Schmerz, Angst, Stress [hier werden neuerdings die neurokardiogenen Synkopen, die orthostatische Hypotension und das posturale Tachykardiesyndrom ( unterschieden]
    Posturales Tachykardiesyndrom (POTS) ((lat.) posture = die Körperhaltung betreffend; Synonyme: posturale orthostatische Tachykardiesyndrom oder orthostatische Intoleranz) – besondere Form der orthostatischen Dysregulation bei der beim Wechsel in die aufrechte Stellung kein Blutdruckabfall auftritt; Anstieg der Herzschlagfrequenz um mindestens 30 Schläge/min innerhalb von 10 Minuten nach dem Aufrichten oder auf mindestens 120 Schläge/min absolut und kein pathologischer Blutdruckabfall (systolischer Abfall nicht mehr als um 20 mmHg und diastolischer Abfall nicht mehr als um 10 mmHg); Auftreten: Frauen (80 % der Fälle),  insb. jüngere Frauen; Alter zwischen 15 und 50 Jahren; Spontanheilung bei ca. 50 % der Patienten innerhalb eines Jahres
  • Orthostatische Synkope, z. B. durch Medikamente wie Antihypertensiva (Blutdrucksenker), vermindertes Blutvolumen oder eingeschränkte körperliche Verfassung
  • Psychogenen Synkope (Ausschluss ist eine IIb-Kann-Empfehlung)
  • Schlafapnoe-Syndrom (Atemaussetzer im Schlaf)
  • Transitorische ischämische Attacke (TIA) – plötzlich auftretende Durchblutungsstörung des Gehirns, die zu neurologische Störungen führt, die sich innerhalb von 24 Stunden zurückbilden

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)

  • Vasovagale Reaktion (Ohnmacht) ‒ durch eine Reizung des Vagus, zum vegetativen Nervensystem zählend, ausgelöste Synkope

Weiteres

  • Reflexsynkopen, v.a. durch Defäkation (Stuhlgang), Husten, Miktion (Wasserlassen): Miktions- und Hustensynkope
  • Risikosituationen wie z. B. Stehen in warmer Umgebung, heiße Bäder; während des Essens; bei Kopfdrehung oder Druck auf den Karotissinus; nach körperlicher Anstrengung → neurogener orthostatische Hypotension/orthostatische Hypotension
  • Starke Schmerzen

Metabolische ‒ den Stoffwechsel betreffende ‒ Ursachen

Blut, blutbildende Organe – Immunsystem (D50-D90)

  • Anämie (Blutarmut)

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Dehydratation (Flüssigkeitsmangel)
  • Hyperventilation (übermaßig schnelles und tiefes Atmen) mit Hypokapnie (zu geringer Kohlendioxid-Wert im Blut)
  • Hypoglykämie (Unterzuckerung)
  • Hypoxie (Sauerstoffmangel)

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)

  • Fieber

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Alkoholintoxikation

Weitere Ursachen

Biographische Ursachen

  • Lebensalter: Anstieg mit dem Alter

Krankheitsbedingte Ursachen

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Sars-CoV-2 (Synonyme: neuartiges Coronavirus (2019-nCoV); 2019-nCoV (2019-novel Coronavirus; Coronavirus 2019-nCoV); Wuhan-Coronaviru) – bei der Infektion der Atemwege mit dem Sars-CoV-2 kommt es zu einer atypischen Pneumonie (Lungenentzündung), die den Namen COVID-19 (engl. coronavirus disease 2019, Coronavirus-Krankheit-2019) erhalten hat.
    Bei akuten Erkrankungen und Long-COVID-Patienten: häufiger Fälle von orthostatischer Intoleranz oder posturalen orthostatischen Tachykardie-Syndromen.

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Vorhofmyxom ‒ gutartige Neubildung im Herzvorhof

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Angstattacke
  • Epileptischer Anfall
  • Psychogene Bewusstseinsstörung (hier: psychogene Pseudosynkope: hohe Attackenfrequenz mit geringer Verletzungsneigung; zum Teil mit ungewöhnlichen Verrenkungen in der Attacke oder Augenschluss)

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
  • Sturz (hier: kryptogene Sturzattacke, diese läuft ohne Bewusstseinsstörung ab; Ursache ist nicht geklärt)
  • Valsalva-induzierte Synkopen

Medikamente

  • Acetylcholinesterasehemmer (AChE-Hemmer)
  • Angiotensinrezeptor-Neprilysin-Antagonisten (ARNI) – duale Wirkstoffkombination: Sacubitril/Valsartan
  • Antiarrhythmika – Amiodaron (QT-Verlängerung)
  • Antidepressiva – trizyklische Antidepressiva*
  • Antihypertensiva – Alphablocker* (Arzneistoffe, die als Antagonisten an α1- und an α2-Adrenozeptoren die Wirkung von Adrenalin und Noradrenalin), Betablocker*
  • Diuretika* – u. a. Thiaziddiuretika (Elektrolystörungen: Hyponatriämien: 22,1 Prozent; Hypokaliämien: 19,0 Prozent; am höchsten war das Risiko bei Chlortalidon; am geringsten Hydrochlorothiazid; dazwischen lagen Metolazon und Indapamid [5])
  • Dopaminagonisten*
  • Nitrate*
  • Pentamidin
  • Prostazyklin-Analoga  Epoprostenol, Iloprost, Treprostinil
  • Psychopharmaka, die das QT-Intervall verlängern
  • Vasodilatanzien*

*insb. bei neurogener orthostatischer Hypotension/orthostatischer Hypotension

Weiteres

  • Innere Blutungen
  • Hustensynkopen
  • Intoxikation (Vergiftung) mit Alkohol und anderen Drogen
  • Postprandiale Synkope ‒ nach dem Essen auftretende Synkope
  • Schlucksynkopen
  • Sturzattacken ohne Bewusstseinsverlust ("drop attacks")
  • Vasovagale Synkope, weil der Impfling zu schnell aufgestanden ist.

Literatur

  1. Prandoni P et al.: Prevalence of Pulmonary Embolism among Patients Hospitalized for Syncope. N Engl J Med 2016; 375:1524-1531 October 20, 2016 doi: 10.1056/NEJMoa1602172
  2. Verma AA et al.: Pulmonary Embolism and Deep Venous Thrombosis in Patients Hospitalized With Syncope: A Multicenter Cross-sectional Study in Toronto, Ontario, Canada. JAMA Intern Med 2017 May 8. doi: 10.1001/jamainternmed.2017.1246
  3. Costantino G et al.: Prevalence of Pulmonary Embolism in Patients With Syncope. JAMA Intern Med. Published online January 29, 2018. doi:10.1001/jamainternmed.2017.8175
  4. Badertscher P et al.: Prevalence of Pulmonary Embolism in Patients With Syncope. J Am Coll Cardiol 2019;74:744-755; https://doi.org/10.1016/j.jacc.2019.06.020
  5. Ravioli SR et al.: Risk of electrolyte disorders, syncope and falls in patients taking thiazide diuretics: results of a cross-sectional study Am J Med 8 May 2021 https://doi.org/10.1016/j.amjmed.2021.04.007