Subclavian-Steal-Syndrom – Einleitung

Beim Subclavian-Steal-Syndrom handelt es sich ein sogenanntes Anzapfsyndrom. Damit wird ein Zustand bezeichnet, bei dem es infolge einer örtlich begrenzten Blutströmungsumkehr zu einem Blutentzug in einem bestimmten Areal kommt.

Synonyme und ICD-10: Vertebralisanzapfsyndrom; ICD-10-GM G45.8: sonstige zerebrale transitorische Ischämie und verwandte Syndrome) h

Anatomie und Funktionen

Arteria subclavia

Die Arteria subclavia ist eine bedeutende Arterie, die die oberen Gliedmaßen und bestimmte Anteile des Kopfes und Halses mit Blut versorgt. Sie entspringt auf unterschiedlichen Wegen je nach Körperseite:

  • Rechte Seite: Hier geht die Arteria subclavia als Ast des Truncus brachiocephalicus (Arm-Kopf-Stamm) hervor, welcher selbst ein großer Ast der Aorta ist.
  • Linke Seite: Die linke Arteria subclavia entspringt direkt aus dem Aortenbogen (Arcus aortae), einem großen Bogen der Aorta.

Nach ihrem Ursprung verläuft die Arteria subclavia in einem Bogen nach oben und lateral (seitwärts) und tritt in den Halsbereich ein, wo sie unter anderem folgende Äste abgibt:

  1. Arteria vertebralis: Diese Arterie zieht durch die Querfortsätze der Halswirbel hinauf und versorgt Teile des Gehirns. Ein Verschluss der Arteria subclavia vor dem Abgang der Arteria vertebralis führt zur Umkehr des Blutflusses in der Arteria vertebralis, was charakteristisch für das Subclavian-Steal-Syndrom ist.
  2. Arteria thoracica interna: Diese Arterie versorgt die vordere Brustwand und Teile der Brustdrüse.
  3. Truncus thyrocervicalis: Dieser versorgt die Schilddrüse, Teile des Halses und der oberen Brust.
  4. Truncus costocervicalis: Diese Arterie versorgt die oberen Interkostalräume und die hinteren Halsmuskeln.

Nach der Passage des ersten Rippenknochens tritt die Arteria subclavia in die Achselhöhle ein und wird zur Arteria axillaris, welche weiter in die Arteria brachialis übergeht, um den Arm zu versorgen.

Funktionen

  1. Blutversorgung der oberen Gliedmaßen: Die Arteria subclavia und ihre Äste versorgen die Arme mit sauerstoffreichem Blut.
  2. Versorgung des Gehirns: Die Arteria vertebralis, ein Ast der Arteria subclavia, zieht durch die Halswirbel und versorgt Teile des Gehirns, insbesondere die hinteren Abschnitte.
  3. Versorgung des Halses und der Brust: Die weiteren Äste der Arteria subclavia versorgen den Hals, die Schilddrüse, die oberen Interkostalräume (Zwischenrippenräume) und die vordere Brustwand.

Pathophysiologie beim Subclavian-Steal-Syndrom

  • Bei einer Stenose (Verengung) oder einem Verschluss der Arteria subclavia proximal (vor) des Abgangs der Arteria vertebralis kommt es zu einer Umkehr des Blutflusses in der Arteria vertebralis. Dieser rückläufige Blutfluss führt dazu, dass Blut aus dem vertebrobasilären Kreislauf (welcher das Gehirn versorgt) "gestohlen" wird, um die distale (weitere) Versorgung des Arms sicherzustellen.
  • Unter Belastung des betroffenen Arms verstärkt sich dieser Effekt, was zu einer Minderversorgung des Gehirns und somit zu neurologischen Symptomen führen kann, wie Schwindel, Sehstörungen und Synkopen (kurzzeitige Bewusstlosigkeit).

Formen der Erkrankung

Das Subclavian-Steal-Syndrom kann je nach Ausprägung und betroffener Seite (rechts oder links) sowie dem Grad der Blutströmungsumkehr variieren. Die Hauptkriterien für die Klassifizierung sind:

Einseitiges Subclavian-Steal-Syndrom

  • Rechtsseitiges Subclavian-Steal-Syndrom: Hierbei kommt es zu einer Umkehr des Blutflusses in der rechten Arteria vertebralis aufgrund einer Stenose oder eines Verschlusses der rechten Arteria subclavia proximal des Abgangs der Arteria vertebralis.
  • Linksseitiges Subclavian-Steal-Syndrom: Diese Form tritt auf, wenn die linke Arteria subclavia proximal des Abgangs der linken Arteria vertebralis verengt oder verschlossen ist, was zu einer Blutflussumkehr in der linken Arteria vertebralis führt.

Beidseitiges Subclavian-Steal-Syndrom

  • Sehr selten tritt das Syndrom beidseitig auf, wobei sowohl die rechte als auch die linke Arteria subclavia betroffen sind. Dies führt zu einer Blutflussumkehr in beiden Arteriae vertebrales, was zu erheblichen Beeinträchtigungen der Durchblutung des Gehirns führen kann.

Komplettes Subclavian-Steal-Syndrom

  • Kompletter Verschluss: Bei einem vollständigen Verschluss der Arteria subclavia kommt es zu einer vollständigen Umkehr des Blutflusses in der Arteria vertebralis.
  • Teilweiser Verschluss: Bei einer signifikanten, aber nicht vollständigen Stenose kann es zu einer partiellen Umkehr des Blutflusses kommen, die unter Belastung des betroffenen Arms deutlicher wird.

Funktionelles Subclavian-Steal-Syndrom

  • Diese Form tritt auf, wenn unter Belastung des Arms (z. B. durch körperliche Arbeit oder Sport) eine vorübergehende Umkehr des Blutflusses in der Arteria vertebralis auftritt, ohne dass eine vollständige Stenose (Verengung) der Arteria subclavia vorliegt.

Symptomatisches vs. Asymptomatisches Subclavian-Steal-Syndrom

  • Symptomatisches Subclavian-Steal-Syndrom: Patienten zeigen klinische Symptome wie Schwindel, Sehstörungen, Synkopen (kurzzeitige Bewusstlosigkeit), oder transiente ischämische Attacken (TIA).
  • Asymptomatisches Subclavian-Steal-Syndrom: Patienten haben keine klinischen Symptome, die Umkehr des Blutflusses wird oft zufällig durch bildgebende Verfahren diagnostiziert.

Diese Klassifikationen helfen, den Schweregrad und die potenziellen klinischen Auswirkungen des Subclavian-Steal-Syndroms zu beurteilen und die geeignete Therapie zu planen.

 

Ursachen 

  • Atherosklerose (Arterienverkalkung): Häufigste Ursache
  • Arterielle Thrombosen (Blutgerinnsel): Können zu Verengungen oder Verschlüssen führen
  • Angeborene Fehlbildungen der Blutgefäße: Seltene Ursache
  • Entzündliche Gefäßerkrankungen (z. B. Arteriitis): Können zu Schädigungen und Verengungen führen

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer zu Frauen beträgt 1,5-2 : 1.

Häufigkeitsgipfel:
Die Erkrankung tritt bei zugrunde liegender Atherosklerose vorwiegend bei über 50-Jährigen auf.

Prävalenz
(Krankheitshäufigkeit)

  • 1,3 % bei Patienten mit angefordertem Karotis-/Vertebralisdoppler (in Europa), davon ca. 5 % mit neurologischer Symptomatik.
  • 2,5 % der Bevölkerung in den USA, davon 5,3 % symptomatisch.
  • Insgesamt wird die Prävalenz höher geschätzt, da viele Fälle asymptomatisch verlaufen.

Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen): Daten zur Inzidenz sind begrenzt und variieren je nach Studienlage und Region.

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Bei einem Verschluss der Arteria subclavia proximal des Abgangs der Arteria vertebralis tritt eine Flussumkehr in der Arteria vertebralis auf.
  • Belastung des Arms kann zu neurologischen Symptomen führen, da die hirnversorgenden Arterien aufgrund der verminderten Perfusion nicht ausreichend versorgt werden.

Prognose

  • Asymptomatische Fälle: Oft gute Prognose, wenn Risikofaktoren wie Atherosklerose kontrolliert werden.
  • Symptomatische Fälle: Benötigen oft eine interventionelle oder chirurgische Behandlung zur Wiederherstellung der normalen Blutflussrichtung.
  • Unbehandelt: Können schwere neurologische Komplikationen auftreten, einschließlich Schlaganfall.