Sprechstörungen/Sprachstörungen – Operative Therapie
Hirn-Computer-Interface (BCI) bei Anarthrie nach Schlaganfall
Das Hirn-Computer-Interface („Brain-to-voice“-Neuroprothese) ist ein invasives (eingreifendes), implantatgestütztes Therapieverfahren, das Patienten mit Anarthrie (Unfähigkeit zu sprechen) nach Schlaganfall (Hirninfarkt) eine funktionelle Kommunikation über ein direktes Interface zwischen Gehirn (Großhirn) und Sprachprozessor ermöglicht. Ziel ist es, Sprachabsichten (gewollte Sprechvorgänge) kortikal (im Großhirn) zu erfassen und in akustische Sprache (hörbare Sprache) umzuwandeln, um trotz motorischer Sprachlähmung eine verbale Interaktion zu ermöglichen.
Wirkmechanismus
Das System basiert auf der Implantation (chirurgische Einpflanzung) eines Elektrodenarrays (Anordnung aus vielen Messelektroden) direkt über kortikalen Spracharealen (sprachverarbeitenden Hirnzentren), z. B. Gyrus praecentralis (vordere Hirnwindung) und Temporallappen (Schläfenlappen).
- Die EEG-ähnlichen Signale (Gehirnströme) werden über einen perkutanen Konnektor (durch die Haut geführter Anschluss) an einen Computer übermittelt.
- Dort erfolgt mittels künstlicher Intelligenz (KI, selbstlernende Software) eine Echtzeit-Analyse der neuronalen Aktivitätsmuster (elektrischen Signale des Gehirns).
- Die erkannten Sprachintentionen (Sprechabsichten) werden anschließend durch einen Sprachsynthesizer (automatischer Stimmen-Erzeuger) als gesprochene Sprache (hörbare Sprache) ausgegeben – perspektivisch auch personalisiert (an die eigene Stimme angepasst) im Originalstimmprofil (ursprünglicher Klang der Stimme) des Patienten.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Anarthrie (Verlust der Sprechfähigkeit) nach Schlaganfall (Hirninfarkt), insbesondere bei Hirnstamminfarkten (Schlaganfall im unteren Hirnbereich) mit intakten kortikalen Sprachrepräsentationen (erhaltenen Sprachzentren im Gehirn)
- Langfristige motorische Aphasie (gestörte Sprachmotorik) bei erhaltenem Sprachverständnis (Verstehen von Sprache) und Sprachplanung (innerliches Formulieren von Sätzen)
- Patienten mit hoher Motivation, guter kognitiver Kapazität (geistiger Leistungsfähigkeit) und stabilem Allgemeinzustand
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Kontraindikationen für neurochirurgische Eingriffe (Operationen am Gehirn) am Schädel, z. B. Gerinnungsstörungen oder aktive Infektionen
- Schwere generalisierte Hirnatrophie (starke Schrumpfung des Gehirns) oder diffuse kortikale Läsionen (ausgedehnte Hirnschäden)
- Nicht-kommunikative (nicht ausdrucksfähige) oder schwer kognitiv beeinträchtigte (geistig eingeschränkte) Patienten
- Ablehnung eines invasiven Eingriffs (Verweigerung der Operation) durch den Patienten
Studienlage
In einer aktuellen Studie erreichte eine Patientin mit post-stroke Anarthrie eine Sprachrate von bis zu 78 Wörtern pro Minute mit einer Fehlerrate von lediglich 25 % [1]. Entscheidend war der Einsatz eines hochauflösenden 253-Kanal-Elektrodenarrays, das größere Bereiche des Sprachkortex (inkl. prä- und postzentralem Gyrus) abdeckte.
Durch Training des KI-Algorithmus mit Aufnahmen der individuellen Stimme konnten zudem personalisierte Sprachausgaben erzeugt werden. Die Latenzzeit zwischen Signal und Sprachsynthese wurde mittlerweile auf etwa 1 Sekunde reduziert, was eine konversationsfähige Interaktion ermöglicht.
Literatur
- Littlejohn KT et al.: A streaming brain-to-voice neuroprosthesis to restore naturalistic communication Nat Neurosci 28, 902-912 (2025). https://doi.org/10.1038/s41593-025-01905-6