Spinale Muskelatrophie – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die 5q-spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine autosomal-rezessiv vererbbare Erkrankung, die durch Mutationen im SMN1-Gen (Survival Motor Neuron 1) auf Chromosom 5 verursacht wird. Das vom SMN1-Gen kodierte SMN-Protein (Survival of Motor Neuron) spielt eine zentrale Rolle für die Funktion und das Überleben von alpha-Motoneuronen, die für die aktive Kontraktion der Skelettmuskulatur verantwortlich sind. Ein Mangel oder Funktionsverlust dieses Proteins führt zur Degeneration der alpha-Motoneuronen, was in der Folge eine fortschreitende Muskelatrophie verursacht.
Genetische Mutationen
Die Ursache für die SMA sind in mehr als 90 % der Fälle Rasterschubmutationen, konkret Deletionen im SMN1-Gen. Diese führen zu einem erheblich veränderten und funktionsunfähigen SMN-Protein. In den restlichen Fällen handelt es sich um Missense-Mutationen (sinnverändernde Punktmutationen), bei denen eine Aminosäure in der Proteinstruktur verändert wird, was ebenfalls die Funktion des Proteins beeinträchtigt.
Funktion des SMN-Proteins
Das SMN-Protein ist unerlässlich für die Motoneuronenfunktion. Es spielt eine zentrale Rolle im RNA-Splicing, einem Prozess, bei dem RNA-Transkripte geschnitten und modifiziert werden, bevor sie in Proteine übersetzt werden. Das Fehlen eines funktionellen SMN-Proteins führt dazu, dass Motoneuronen nicht überleben können, was die Degeneration der alpha-Motoneuronen verursacht und die progressive Muskelschwäche und Atrophie auslöst.
Rolle des SMN2-Gens
Neben dem SMN1-Gen existiert das SMN2-Gen, das funktionell ähnlich ist, aber durch eine geringfügige genetische Abweichung (Unterschied in nur wenigen Nukleotiden) zu einem alternativen Splicing führt. In 90 % der Fälle wird das entscheidende Exon 7 des SMN2-Gens beim Splicing herausgeschnitten (Exon Skipping), wodurch ein ebenfalls funktionsunfähiges Protein entsteht. Somit kann das SMN2-Gen nur etwa 10 % der notwendigen SMN-Proteinmenge bereitstellen, was nicht ausreicht, um das Fehlen des SMN1-Proteins zu kompensieren.
Kopienzahl des SMN2-Gens und klinische Variabilität
Die Anzahl der SMN2-Genkopien variiert von Person zu Person und hat einen entscheidenden Einfluss auf den Krankheitsverlauf. Je mehr Kopien des SMN2-Gens vorhanden sind, desto mehr funktionelles SMN-Protein wird produziert, was zu einem milderen Krankheitsverlauf führt. Dies spiegelt sich in den unterschiedlichen Typen der SMA wider:
- SMA Typ 1: Dies ist die schwerste Form der SMA, bei der die meisten Betroffenen nur 1-2 Kopien des SMN2-Gens haben. Diese Patienten zeigen meist bereits im Säuglingsalter schwere Symptome, wie Muskelhypotonie und Atemprobleme.
- SMA Typ 2: Patienten mit Typ 2 haben in der Regel 3 Kopien des SMN2-Gens und zeigen einen etwas milderen Verlauf. Sie sind in der Lage, zu sitzen, aber nicht zu gehen, und erleben eine langsamere Progression der Muskelschwäche.
- SMA Typ 3: Bei dieser milderen Form der SMA besitzen die Betroffenen meistens 3-4 Kopien des SMN2-Gens. Diese Patienten können normalerweise gehen und zeigen erst im Jugend- oder Erwachsenenalter Symptome.
Molekulare Mechanismen
Die Degeneration der alpha-Motoneuronen beruht auf einem Mangel an SMN-Protein, der zu einem gestörten RNA-Splicing in Motoneuronen führt. Dieser Defekt beeinträchtigt den Transport von mRNA und die Bildung von Spliceosomen, was den normalen Zellstoffwechsel und die Funktionsfähigkeit der Motoneuronen behindert. Durch die fortschreitende Schädigung der Motoneuronen kommt es zu Muskelatrophie, weil die Signale für die Kontraktion der Muskeln ausbleiben.
Zusammenfassung
Die 5q-spinale Muskelatrophie ist eine durch autosomal-rezessive Mutationen im SMN1-Gen verursachte Erkrankung, die zu einer Degeneration der alpha-Motoneuronen führt. Die Variabilität im Krankheitsverlauf hängt stark von der Anzahl der SMN2-Genkopien ab, die die Menge an funktionellem SMN-Protein bestimmt. Je mehr Kopien des SMN2-Gens vorhanden sind, desto milder ist der Krankheitsverlauf. Die Pathogenese beruht auf der fehlenden Funktion des SMN-Proteins, das für die Aufrechterhaltung der Motoneuronen essentiell ist.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen: Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Gene: SMN1 (s. o.)
- SNPs: 26 mögliche SNPs im SMN1-Gen
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen: Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
Literatur
- Campbell L et al.: Genomic variation and gene conversion in spinal muscular atrophy: implications for disease process and clinical phenotype. Am J Hum Genet. 1997 Jul; 61 (1): 40-50. doi: 10.1086/513886