Soziale Phobie – Einleitung

Bei der sozialen Phobie – umgangssprachlich soziale Ängste genannt – auch krankhafte Schüchternheit genannt, handelt es sich gewissermaßen um eine Angst vor anderen Menschen und vor ihnen auszuführende Handlungen. Meist sind die Betroffenen sehr schüchtern.

Synonyme und ICD-10: soziale Angststörungen; Sozialphobie, Phobie; soziale Neurose; ICD-10-GM F40.1: Soziale Phobien

Definition

Im ICD-10-GM F40.1 wird die soziale Phobie wie folgt beschrieben: "Furcht vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen, die zu Vermeidung sozialer Situationen führt. Umfassendere soziale Phobien sind in der Regel mit niedrigem Selbstwertgefühl und Furcht vor Kritik verbunden. Sie können sich in Beschwerden wie Erröten, Händezittern, Übelkeit oder Drang zum Wasserlassen äußern. Dabei meint die betreffende Person manchmal, dass eine dieser sekundären Manifestationen der Angst das primäre Problem darstellt. Die Symptome können sich bis zu Panikattacken steigern".

Die soziale Phobie zählt zu den primären Angststörungen und somit zu den häufigen Erkrankungen im Bereich der Psychiatrie. Sie ist die häufigste Angststörung in Deutschland.

Formen der sozialen Phobie

  • Generalisierte soziale Phobie
    • Diese Form ist durch eine weitreichende Angst vor vielen sozialen Situationen gekennzeichnet. Betroffene fürchten oft, in den meisten sozialen Interaktionen negativ bewertet oder peinlich berührt zu werden. Die Angst kann das alltägliche Leben erheblich beeinträchtigen.
  • Spezifische soziale Phobie
    • Diese Form bezieht sich auf die Angst vor spezifischen sozialen Situationen. Ein häufiges Beispiel ist die Redeangst (Glossophobie), bei der Betroffene extreme Angst vor dem Sprechen in der Öffentlichkeit oder vor einer Gruppe haben.
  • Leistungsbezogene soziale Phobie
    • Diese Variante ist charakterisiert durch Angst in Leistungssituationen, in denen die Person beobachtet wird. Beispiele sind Prüfungen, sportliche Wettkämpfe oder das Vorführen von Fähigkeiten vor anderen.
  • Interaktionsbezogene soziale Phobie
    • Hierbei haben Betroffene Angst vor sozialen Interaktionen, wie zum Beispiel Small Talk, Gespräche mit Fremden oder das Treffen neuer Leute. Diese Form kann dazu führen, dass die Person soziale Kontakte meidet und sich sozial isoliert.
  • Paruresis (schüchterne Blase)
    • Diese spezifische soziale Phobie betrifft das Wasserlassen in öffentlichen Toiletten oder in Anwesenheit anderer Menschen. Betroffene haben Schwierigkeiten, in solchen Situationen zu urinieren.
  • Parcopresis (schüchterner Darm)
    • Diese Form betrifft das Stuhlgangverhalten in öffentlichen Toiletten oder in der Nähe anderer Menschen. Betroffene vermeiden es oft, in solchen Situationen auf die Toilette zu gehen.
  • Erythrophobie
    • Die Angst vor dem Erröten in sozialen Situationen. Betroffene fürchten, dass das Erröten von anderen als Schwäche oder Verlegenheit wahrgenommen wird, was zu noch stärkerem Erröten führen kann.

Diese verschiedenen Formen der sozialen Phobie können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und sich auf verschiedene Lebensbereiche auswirken. Die Therapieansätze, wie kognitive Verhaltenstherapie (CBT) oder Expositionstherapie, werden oft an die spezifischen Bedürfnisse und Ängste der Betroffenen angepasst.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Frauen sind annähernd doppelt so häufig betroffen wie Männer. In Therapie befinden sich hingegen mehr Männer als Frauen.

Häufigkeitsgipfel: Die soziale Phobie beginnt meist im Jugendalter (um das 15. Lebensjahr herum). Selten sind Personen > 30 Jahre betroffen. Die genauen Daten sind schwer zu ermitteln, da die Betroffenen häufig erst zu spät einen Arzt aufsuchen.

Die Lebenszeitprävalenz (Krankheitshäufigkeit während des gesamten Lebens) liegt für Männer bei ca. 11 % und für Frauen bei ca. 15 %. Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) liegt bei ca. 2 %  (in Deutschland).

Die folgende Tabelle zeigt die 12-Monats-Prävalenz einer sozialen Phobie [in %] Erwachsener (in Deutschland) [1]

  Gesamt Männer Frauen Altersgruppe
        18-34 35-49 50-64 65-79
Soziale Phobie 2,7 1,9 3,6 4,6 3,1 2,1 0,7

Verlauf und Prognose

Verlauf

Die soziale Phobie beginnt meistens im Jugendalter, typischerweise um das 15. Lebensjahr, und ist selten bei Personen über 30 Jahren. Die Betroffenen vermeiden es, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, was häufig zu Problemen im privaten und beruflichen Umfeld führt. Unbehandelt kann die Erkrankung in sozialer Isolation enden und nimmt in der Regel einen chronischen Verlauf. Eine frühzeitige Therapie kann den Verlauf jedoch erheblich verbessern. Die systemische Therapie, die den sozialen Kontext psychischer Störungen berücksichtigt und insbesondere Interaktionen innerhalb der Familie und der sozialen Umwelt betrachtet, hat sich als wirksam erwiesen.

Prognose

Die Prognose einer sozialen Phobie ist umso günstiger, je früher die Erkrankung erkannt und behandelt wird. Eine unbehandelte soziale Phobie kann zu erheblichen Beeinträchtigungen im täglichen Leben und zu einer Verschlechterung der Lebensqualität führen. Betroffene haben ein erhöhtes Risiko für soziale Isolation und Arbeitslosigkeit.

Komorbiditäten

Ca. 80 % der Betroffenen haben eine psychische Komorbidität/Begleiterkrankung (insb. Depressionen, Angststörungen).

Die folgende Tabelle zeigt die psychische Komorbidität einer sozialen Phobie [in %] (in Deutschland) [2]

  Irgendeine psychische
Störung
Depressive Störungen
(ICD-10-GM F32-34)
Somatoforme Störungen
(ICD-10-GM F42)
Zwangsstörungen
(ICD-10-GM F42)
Alkoholabhängigkeit
(ICD-10-GM F10.2)
Essstörungen
(ICD-10-GM F50)
Soziale Phobie  87,8  65,3  31,3  11,5  10,3  0,0

Literatur

  1. Jacobi F, Hofler M, Strehle J et al.: Mental disorders in the general population: Study on the health of adults in Germany and the additional module mental health (DEGS1-MH). Nervenarzt 2014; 85 (1): 77-87
  2. Jacobi F, Wittchen HU, Holting C et al.: Prevalence, comorbidit y and correlates of mental disorders in the general population: results from the german Health Interview and Examination Survey (GHS). Psychol Med 2004; 34 (4): 597-611

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen, Behandlung. (AWMF-Registernummer: 028-022), Oktober 2019 Langfassung
  2. S3-Leitlinie: Behandlung von Angststörungen. (AWMF-Registernummer: 051-028), April 2021 Kurzfassung Langfassung