Schreiender Säugling – Anamnese
Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik beim exzessiv schreienden Säugling dar.
Familienanamnese
- Gibt es in Ihrer Familie häufig Erkrankungen, die mit Magen-Darm-Problemen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder neurologischen Störungen verbunden sind?
- Gibt es in Ihrer Familie psychische Erkrankungen, Angststörungen oder Depressionen?
- Bestehen in Ihrer Familie Allergien, Asthma bronchiale oder Hauterkrankungen (z. B. Neurodermitis, Urtikaria (Nesselsucht))?
- Bestehen genetische Erkrankungen mit Beteiligung des Nervensystems (z. B. Arnold-Chiari-Syndrom, Cri-du-Chat-Syndrom, Trisomien)?
- Gibt es bekannte Stoffwechsel- oder endokrine Erkrankungen in der Familie (z. B. Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion), Diabetes mellitus)?
Soziale Anamnese
- Gibt es Hinweise auf psychosoziale Belastungen innerhalb der Familie?
- Gibt es Unstimmigkeiten in der Eltern-Kind-Interaktion oder zwischen den Eltern?
- Liegen schwierige soziale oder finanzielle Umstände vor?
- Gibt es Umgebungsfaktoren, die das Schreiverhalten beeinflussen (Lärm, Raucherhaushalt, Schadstoffe, Umzug)?
Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)
- Seit wann schreit das Kind exzessiv?
- seit Geburt?
- seit einigen Wochen oder Tagen?
- hat sich das Schreien in den letzten Tagen intensiviert?
- Wann und wie oft schreit das Kind?
- über 3 Stunden pro Tag und das an mehr als 3 Tagen pro Woche (Dreierregel für Regulationsstörungen)?
- Schreien insbesondere am Abend oder nach den Mahlzeiten?
- in bestimmten Situationen?
- Gibt es bestimmte Auslöser für das Schreien?
- Stillen/Fläschchen?
- körperliche Berührung oder Bewegung?
- Liegeposition?
- Umgebungseinflüsse wie Licht, Lärm oder Temperaturveränderungen?
- Gibt es bekannte Ursachen oder Symptome, die das Schreien begleiten?
- Hat das Kind Fieber oder Anzeichen einer Infektion? (z. B. Diphtherie, Virusinfektionen, Sepsis (Blutvergiftung), Pneumonie (Lungenentzündung), Otitis media (Mittelohrentzündung))
- Muss das Kind häufig Aufstoßen oder Erbrechen?
- Hat das Kind Husten, Atemnot* oder pfeifende Atmung*? (z. B. Pseudokrupp, Pharyngitis (Rachenentzündung), Asthma bronchiale)
- Zeigt das Kind Anzeichen neurologischer Erkrankungen (z. B. Enzephalitis (Gehirnentzündung), Meningitis (Hirnhautentzündung), Migräne)?
- Bestehen Hautveränderungen wie Ausschläge, Ekzeme oder Nesselsucht? (z. B. Kuhmilchproteinallergie, Neurodermitis)
- Gibt es Hinweise auf orthopädische oder muskuloskelettale Ursachen (z. B. Osteomyelitis, KISS-Syndrom)?
- Gibt es Anzeichen für eine Stoffwechselstörung oder endokrine Erkrankung (z. B. Hypoglykämie (Unterzuckerung), Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion), Vitamin-B12-Mangel)?
- Wie schreit das Kind?
- hochfrequent, schrill?
- lang anhaltend?
- untröstlich, ohne erkennbare Ursache?
- Wie reagiert das Kind auf Beruhigungsversuche?
- Tragen, Wiegen, Stillen oder Fläschchen?
- Saugen an Schnuller oder Finger?
- Körperkontakt oder bestimmte Körperhaltungen?
- Autofahrten oder andere rhythmische Bewegungen?
Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese
- Wie ist das Trinkverhalten des Kindes?
- Wird das Kind gestillt, teil gestillt oder ausschließlich mit der Flasche ernährt?
- Hat sich das Trinkverhalten in den letzten Tagen verändert?
- Erbricht das Kind nach dem Trinken oder spuckt es viel?
- Leidet das Kind unter Schluckstörungen oder Hustenanfällen während des Trinkens?
- Wie ist die Ausscheidung?
- Hat sich die Farbe, Konsistenz oder Häufigkeit des Stuhlgangs verändert?
- Besteht eine Stuhlverweigerung oder harter Stuhlgang?
- Wie oft uriniert das Kind? Hat sich die Urinmenge oder -farbe verändert?
- Gibt es Hinweise auf eine Kuhmilchproteinallergie oder Laktoseintoleranz?
- Wird eine Spezialnahrung verwendet?
- Zeigt das Kind Symptome wie Hautausschlag, Atemprobleme oder blutigen Stuhl?
Eigenanamnese inkl. Schwangerschafts- und Geburtsanamnese
- Verlauf der Schwangerschaft:
- Gab es Schwangerschaftsdiabetes, Präeklampsie oder Infektionen während der Schwangerschaft?
- Gab es Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum während der Schwangerschaft?
- War das Fruchtwasser auffällig (grünlich, mekoniumhaltig)?
- Geburt:
- Wurde das Kind spontan, per Kaiserschnitt oder mit Saugglocke/Zange entbunden?
- Gab es Auffälligkeiten während der Geburt? (z. B. Sauerstoffmangel, Nabelschnurprobleme, Reanimation?)
- War das Kind ein Frühchen oder hatte es ein geringes Geburtsgewicht?
- Neonatale Phase:
- Gab es Anpassungsstörungen nach der Geburt?
- Lag das Kind auf der Neugeborenen-Intensivstation?
- Gab es Gelbsucht?
- Vorerkrankungen:
- Hat das Kind bereits bekannte Erkrankungen oder Fehlbildungen?
- Hat das Kind bereits Antibiotika oder Medikamente erhalten?
- Wurde das Kind schon einmal wegen ähnlicher Symptome untersucht oder behandelt?
- Impfstatus:
- Ist das Kind entsprechend der STIKO-Empfehlungen geimpft?
- Gab es in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung Unruhe oder Fieber?
- Allergien:
- Sind Allergien gegen Nahrungsmittel oder Medikamente bekannt?
- Gibt es Hautveränderungen wie Ekzeme oder Nesselsucht?
- Hat das Kind Atemprobleme (z. B. Keuchen, pfeifende Atmung)?
Medikamentenanamnese
- Bekommt das Kind aktuell Medikamente (z. B. Vitamin D, Fluorid, Probiotika, Schmerzmittel, Antibiotika)?
- Hat das Kind kürzlich eine Medikamentenumstellung erfahren?
- Gab es eine medikamentöse Reaktion oder Unverträglichkeiten?
Umweltanamnese
- Gibt es Raucher in der häuslichen Umgebung?
- Ist das Kind Schadstoffen oder Tierhaaren ausgesetzt?
- Gab es kürzlich einen Umzug oder größere Veränderungen im Umfeld?
- Gibt es auffällige Umweltreize (Lärm, starke Gerüche)?
Ggf. auch Anamnese von Mutter und Vater durch kurze Screeningfragebogen wie Edinburgh Postnatal Depression Scale [1] (Deutsche Version)
* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)
Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.
Literatur
- Cox J, Holden J, Sagovsky R: Detection of postnatal depression. Development of the 10-item Edinburgh postnatal depression scale. Br J Psychiatry 1987 Jun;150:782-6.