Schizophrenie – Ursachen

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Schizophrenie ist eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung, deren Entstehung durch das Zusammenspiel von genetischen und Umweltfaktoren bedingt ist. Schätzungen zufolge wird etwa 80 % des Risikos für die Entwicklung von Schizophrenie durch genetische Faktoren beeinflusst. Dazu tragen unter anderem SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms) bei, die etwa 30-50 % des genetisch bedingten Risikos erklären können.

Genetische Faktoren und Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell

Das Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell nach Zubin und Nücherlein bietet einen Erklärungsansatz für die Entstehung der Schizophrenie. Dieses Modell geht davon aus, dass die genetische Veranlagung (Vulnerabilität) eine Person anfälliger für die Entwicklung der Erkrankung macht. Stressfaktoren und eine verminderte Fähigkeit, mit Belastungen umzugehen (Coping), tragen dazu bei, dass die Krankheit ausbricht. Zu den wesentlichen Risikofaktoren gehören genetische Prädispositionen sowie Entwicklungsstörungen während der Hirnentwicklung.

Histologische Veränderungen im Gehirn

Histologische (feingewebliche) Untersuchungen von Schizophrenie-Patienten zeigen eine Vielzahl von strukturellen Veränderungen im Gehirn:

  • Hirnatrophie: Eine Verringerung der Gehirnmasse, was auf Gehirnschwund hindeutet.
  • Reduktion des Volumens von Hippocampus und Amygdala: Der Hippocampus ist eine zentrale Schaltstation im limbischen System, das für die Verarbeitung von Emotionen und das Triebverhalten verantwortlich ist. Die Amygdala, ebenfalls Teil des limbischen Systems, ist wesentlich an der Angstentstehung beteiligt. Diese Volumenminderungen könnten mit der gestörten emotionalen und kognitiven Verarbeitung bei Schizophrenie zusammenhängen.

Neurotransmitter-Ungleichgewichte

Die Rolle von Neurotransmittern in der Pathogenese der Schizophrenie wird intensiv diskutiert, aber es gibt widersprüchliche Befunde. Ein möglicher Faktor könnte ein GABA-Mangel (Gamma-Amino-Buttersäure) sein. GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im Gehirn und spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung neuronaler Erregbarkeit. Studien haben gezeigt, dass ein GABA-Mangel mit der Schwere der klinischen Symptomatik korrelieren könnte [2].

Zusammenfassung

Die Schizophrenie ist eine Folge eines multifaktoriellen Geschehens, bei dem genetische und umweltbedingte Faktoren eine entscheidende Rolle spielen. Genetische Prädispositionen wie SNPs tragen erheblich zum Erkrankungsrisiko bei. Strukturelle Veränderungen im Gehirn, insbesondere eine Atrophie des Hippocampus und der Amygdala, sowie ein Neurotransmitter-Ungleichgewicht, wie ein möglicher GABA-Mangel, sind wichtige Bestandteile der Pathogenese. Das Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell verdeutlicht die Wechselwirkung zwischen genetischer Veranlagung und äußeren Stressfaktoren, die zum Ausbruch der Krankheit führen können [2].

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung durch Eltern, Großeltern (wird auf mindestens 80 % geschätzt)SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism) können aktuell 30-50 % des genetisch bedingten Schizophrenierisikos erklären
    • Erkrankungsrisiko erhöht sich mit dem Grad der genetischen Verwandtschaft zu einer Person, die an Schizophrenie leidet
      • Für monozygotische Zwillinge beträgt die Konkordanzrate etwa 50 %
      • Kindern von zwei betroffenen Eltern 27,3 % [3]
      • KInder von einem betroffenen Elternteil 7,0 % [3]
      • Verwandten ersten Grades ca. 9 %
      • Verwandten dritten Grades ca. 2 %
    • Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
      • Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
        • Gene: DRD2
        • SNP: rs6277 im Gen DRD2
          • Allel-Konstellation: CT (1,4-fach)
          • Allel-Konstellation: CC (1,6-fach)
    • Genetische Erkrankungen
      • Mikrodeletionssyndrom 22q11 – Veränderungen auf dem langen Arm des Chromosoms 22 an Position 11: Fehlen eines Gens (Ausschaltung des Gens DGCR8 [7]), das normalerweise eine unkontrollierte Hirnaktivität im Cortex (Großhirnrinde) verhindert; Folgen sind Anomalien des Herzens und des Gesichts, Thymusaplasie (teilweises oder vollständiges Fehlen des Thymus), Gaumenspalte, Hypocalcämie (Calciummangel) und primärer Hypoparathyreoidismus (Nebenschilddrüsenunterfunktion) sowie Entwicklungsverzögerungen; des Weiteren besteht ein 30-fach erhöhtes Risiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung an einer Psychose zu erkranken; Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) 1 von 3.000 Menschen
  • Höheres Alter der Eltern bei der Geburt
  • Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen wie intrauterine Mangelernährung oder Rhesusfaktorinkompatibilität (Rhesusunverträglichkeit)
  • Geburt im Winter oder frühen Herbst
  • Ethnischer Minderheitenstatus
  • Frühe Entwicklungsstörungen
  • Niedrige Intelligenz

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Ungesunde Ernährungsgewohnheiten – Eine Ernährung, die reich an gesättigten Fetten und Zucker ist, kann Entzündungsreaktionen im Gehirn fördern, die mit psychotischen Symptomen assoziiert sind.
    • Vitamin-D-Mangel – Niedrige Vitamin-D-Spiegel werden mit einem erhöhten Risiko für psychotische Symptome in Verbindung gebracht, insbesondere in Bevölkerungen mit geringer Sonnenexposition.
  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen) – Tabakkonsum wird mit einem erhöhten Risiko für psychotische Erkrankungen assoziiert, insbesondere bei regelmäßigem Konsum [1].
    • Koffein (hoher Konsum) – Exzessiver Koffeinkonsum kann Angstzustände und Schlafstörungen verstärken, die bei prädisponierten Personen psychotische Symptome auslösen oder verschlimmern können.
  • Drogenkonsum
    • Amphetamine – Substanzen wie Ecstasy (MDMA: 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin) oder ähnlich wirkende Sympathomimetika, einschließlich Methamphetamine ("Crystal Meth"), erhöhen das Risiko für psychotische Episoden [5].
    • Cannabis (Haschisch und Marihuana) – Langfristiger Konsum von Cannabis steht in einem klaren Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Schizophrenie, insbesondere bei genetischer Prädisposition [6].
    • Halluzinogene – Der Konsum von Psychedelika erhöht das Risiko, innerhalb von drei Jahren eine Schizophrenie-Spektrum-Störung (SSD) zu entwickeln, vor allem bei Patienten ohne vorherige Psychosediagnose [8].
    • Kokain – Der Konsum von Kokain wird mit einem erhöhten Risiko für psychotische Episoden assoziiert, insbesondere bei langzeitigem Missbrauch.
  • Psycho-soziale Situation
    • Psychosoziale Belastungsfaktoren in der Kindheit – Traumatische Erfahrungen in der Kindheit, wie Missbrauch oder Vernachlässigung, erhöhen die Vulnerabilität für psychotische Erkrankungen.
    • Belastendes familiäres Klima – Ein konfliktreiches oder emotional instabiles Familienumfeld kann das Risiko für Schizophrenie verstärken.
    • Schlechte soziale Anpassung – Soziale Isolation und Schwierigkeiten bei der Integration in soziale Strukturen gelten als Risikofaktoren.
    • Mobbing und Diskriminierung – Chronische negative soziale Erfahrungen können bei gefährdeten Personen die Entwicklung von Psychosen fördern.
    • Migration – Personen mit Migrationshintergrund haben ein erhöhtes Risiko für psychotische Erkrankungen, möglicherweise aufgrund von Diskriminierung und kultureller Isolation.

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Epilepsie (Krampfleiden)
  • Psychotische Erkrankungen wie schizoaffektive Störungen oder schizoide Persönlichkeitsstörungen

Weitere Ursachen

  • Funktionelle Störungen des Gehirns/Kopfverletzungen
  • Kognitive Dysfunktion
  • Traumata

Literatur

  1. Gurillo P et al.: Does tobacco use cause psychosis? Systematic review and meta-analysis. doi: http://dx.doi.org/10.1016/S2215-0366(15)00152-2
  2. Orhan F et al.: CSF GABA is reduced in first-episode psychosis and associates to symptom severity. Molecular Psychiatry advance online publication 14 March 2017; doi: 10.1038/mp.2017.25
  3. Gottesman II et al.: Severe mental disorders in offspring with 2 psychiatrically ill parents. Arch Gen Psychiatry. 2010 Mar;67(3):252-7. doi: 10.1001/archgenpsychiatry.2010.1.
  4. Klosterkotter J und Muller H. Prävention schizophrener und anderer psychotischer Störungen. [Hrsg.] Joachim Klosterkotter und Wolfgang Maier. Handbuch praventive Psychiatrie. 2017; 11:227.83, Schattauer, Stuttgart
  5. Chen CK et al.: Morbid risk for psychiatric disorder among the relatives of methamphetamine users with and without psychosis. Am J Med Genet B Neuropsychiatr Genet 2005 Jul 5;136B(1):87-91.
  6. Andréasson S et al.: Cannabis and schizophrenia: a longitudinal study of Swedish conscripts. Lancet 1987 Dec 26;2(8574):1483-6.. Https://​doi.​org/​10.​1016/​S0140-6736(87)92620-1
  7. Khan TA et al.: Neuronal defects in a human cellular model of 22q11.2 deletion syndrome Nature Medicine 2020
  8. Myran DT et al.l: Emergency Department Visits Involving Hallucinogen Use and Risk of Schizophrenia Spectrum Disorder JAMA Psychiatry. Published online November 13, 2024. doi:10.1001/jamapsychiatry.2024.3532