Schädel-Hirn-Trauma – Differentialdiagnosen
Gibt es keinen sicheren Anhalt für ein Unfallereignis, so kommen bei einer bewusstseinseingetrübten Person die folgenden Differentialdiagnosen in Frage.
Erkrankungen, die zu Bewusstseinsstörungen führen können:
Atmungssystem (J00-J99)
- Coma hyperkapnium – Koma, welches durch eine starke Erhöhung des Kohlendioxid-Gehaltes im Blut bedingt ist
Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)
- Addison-Krise – dekompensierte Addison-Krankheit; diese beschreibt die primäre Nebennierenrindeninsuffizienz, die unter anderem zu einem Ausfall der Cortisol-Produktion führt
- Coma basedowicum – Koma bei Stoffwechselentgleisung im Rahmen eines Morbus Basedow (Schilddrüsenerkrankung)
- Coma diabeticum (Koma bei Stoffwechselentgleisung im Rahmen eines Diabetes mellitus/Zuckerkrankheit):
- diabetische Ketoazidose (DKA; Synonym: ketoazidotisches Koma; schwerwiegende Stoffwechselentgleisung (Ketoazidose) bei Insulinmangel) – vorwiegend beim Diabetes mellitus Typ 1
- hyperosmolare, nichtketotische Koma oder Syndrom (HNKS; Synonyme: hyperosmolares diabetisches Koma; hyperglykämisches Koma) – typisch für Diabetes mellitus Typ 2
- Coma hypochloraemicum – Koma bei Stoffwechselentgleisung im Rahmen eines starken Salzmangelsyndroms
- Coma hypoglycaemicum – Koma infolge einer starken Hypoglykämie (Unterzuckerung)
- Coma posthypoglycaemicum – Koma nach einer längeren Hypoglykämie (Unterzuckerung)
- Coma pyloricum – Koma bei Stoffwechselentgleisung im Rahmen einer dekompensierten Pylorusstenose (Magenpförtnerverengung)
- Hypercalcämische Krise – lebensbedrohliche Form des Hyperparathyreoidismus (Nebenschilddrüsenüberfunktion)
- Hyperproteinämisches Koma (Hyperviskositätssyndrom, HVS) – Koma aufgrund einer Veränderung der Viskosität des Blutes, die zu einer Einschränkung des Fließvermögens führt
- Hypokaliämische Tetanie – neuromuskuläre Übererregbarkeit durch einen Mangel an Kalium
- Hypocalcämische Tetanie – neuromuskuläre Übererregbarkeit durch einen Mangel an Calcium
- Hypophyseninsuffizienz (Hypophysenunterfunktion) – Unfähigkeit der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse), genügend Hormone zu produzieren
- Myxödemkoma (hypothyreotes Koma) – lebensbedrohliche Verlaufsform der Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose), die mit einer schweren Bewusstseinsstörung einhergeht
Herzkreislaufsystem (I00-I99)
- Apoplex (Schlaganfall)
- Basilaristhrombose – Verschluss einer Basisarterie des Hirnstammes, der mit schweren neurologischen Schäden einhergeht
- Hirnsinusthrombose – Verschluss eines venösen Hirnblutleiters
- Hirnstammblutung
- Hirnstamminfarkt
- Intrakranielle Blutung (Blutung innerhalb des Schädels; parenchymatöse, subarachnoidale, sub- und epidurale sowie supra- und infratentorielle Blutungen)/intrazerebrale Blutung (ICB; Hirnblutung)
- Subarachnoidalblutung (SAB; Blutung zwischen der Spinnengewebshaut und der weichen Hirnhaut); Häufigkeit: 1-3 %); Symptomatik: Vorgehen nach "Ottawa-Regel für Subarachnoidalblutung":
- Alter ≥ 40 Jahre
- Meningismus (Symptom der schmerzhaften Nackensteifigkeit bei Reizungen und Erkrankungen der Hirnhäute)
- Synkope (kurzzeitige Bewusstlosigkeit) bzw. Bewusstseinsstörung (Somnolenz, Sopor und Koma)
- Beginn der Cephalgie (Kopfschmerzen) während körperlicher Aktivität
- Donnerschlagkopfschmerz/Vernichtungskopfschmerz (ca. 50 % der Fälle)
- Eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS)
Hohe Laktatspiegel im Serum bei der Notaufnahme sind mit einer erhöhten Mortalitätsrate (Sterberate) assoziiert [1]; schon länger bekannt ist, dass zerebrale Laktatwerte und das Verhältnis der zerebralen Laktat-zu-Pyruvatwerte erhöht sind - Subdurales Hämatom (SDH) – Hämatom (Bluterguss) unter der harten Hirnhaut zwischen Dura mater (harte Hirnhaut) und Arachnoidea (Spinnengewebshaut); Risikogruppe: Patienten unter Antikoagulation (Gerinnungshemmung)
- akutes subdurales Hämatom
Symptome: Bewusstseinsstörungen bis hin zur Bewusstlosigkeit - chronisches subdurales Hämatom
Symptome: uncharakteristische Beschwerden wie beispielsweise Druckgefühl im Kopf, Cephalgie (Kopfschmerzen), Vertigo (Schwindel), Einschränkung bzw.Verlust von Orientierung und Konzentrationsfähigkeit
- niedrig dosierte Acetylsalicylsäure: Odds Ratio von 1,24 (95-Prozent-Konfidenzintervall: 1,15-1,33)
- Clopidogrel: Odds Ratio von 1,87 (1,57-2,24). Vitamin-K-Antagonisten (VKA): Odds Ratio von 3,69 (3,38-4,03)
- direkte orale Antikoagulantien (DOAK): Odds Ratio von 1,73 (1,31-2,28)
- Vitamin-K-Antagonisten + Thrombozytenaggregationshemmer (TAH): Odds Ratio von 4,00 (3,40-4,70)
- Vitamin-K-Antagonisten mit Clopidogrel: Odds Ratio von 7,93 (4,49-14,02)
- akutes subdurales Hämatom
Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)
- Leberausfallkoma – Koma, welches sich im Verlauf einer Leberzirrhose entwickeln kann
- Leberzerfallkoma (endogenes Leberkoma) – Koma, welches durch einen akuten Untergang von Leberzellen bedingt ist
Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)
- Hirntumoren, nicht näher bezeichnet
Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)
- Coma vigile (akinetischer Mutismus) – Stummheit bei allgemeiner Hemmung der motorischen Funktionen, die vor allem bei psychiatrischen Erkrankungen oder Verletzungen/Tumoren des Gehirns bedingt ist
- Epilepsie
- Erhöhter Hirndruck
- Hirnabszess – abgekapselte Eiteransammlung im Gehirn
- Meningoenzephalitis – kombinierte Entzündung des Gehirns (Enzephalitis) und der Hirnhäute (Meningitis)
Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)
- Coma urämicum – Koma, welches durch eine Urämie (Auftreten harnpflichtiger Substanzen im Blut oberhalb der Normwerte) bedingt ist
Ursachen (äußere) von Morbidität und Mortalität (V01-Y84)
- Coma dyspepticum (infantum) – Koma bedingt durch Exsikkose (Austrocknung) bei einem Säugling im Rahmen einer Intoxikation (Vergiftung), meist nach einem Darminfekt
- Schütteltrauma – Kinder vor dem 3. Lebensjahr mit unklarer Anamnese und einem Missverhältnis zum neurologischen Status; 10-30 % der Kinder sterben an den Folgen eines Schütteltraumas
Beachte: Mehr als 90 % aller schweren intrakraniellen Verletzungen im Säuglings- und Kleinkindalter sind Folge einer Misshandlung.
Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)
- Hirnkontusion (Hirnprellung)
- Hirnmassenblutung
Weiteres
- Headbanging (Bewegung des Kopfs im Takt der Musik: schnell vor- und rückwärts, seitwärts, im Kreis oder in Achterform)
- Kindesmisshandlung
Medikamente
- Antiarrhythmika
- Klasse Ib-Antiarrhythmika (Lidocain)
- Acetylcholinesterasehemmer (Donezepil, Galantamin, Rivastigmin)
- Alpha-Sympatholytika (Phenoxybenzamin)
- Hypnotika
- Muskelrelaxantien
- Benzodiazepine (Tetrazepam)
- Opiate
- Sedativa
- Triptane (Sumatriptan)
Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Vergiftungen wie durch:
- Alkaloide
- Alkohol
- Hypnotika (Schlafmittel)
- Kohlenmonoxid
- Kohlenwasserstoffe (aliphatisch, aromatisch)
- Opiate (Schmerzmittel wie Morphin)
- Sedativa (Beruhigungsmittel)
- Zyanwasserstoff/Kaliumzyanid
Literatur
- Aisiku IP et al.: Admission serum lactate predicts mortality in aneurysmal subarachnoid hemorrhage. Am J Emerg Med 2016; online 30. Dezember; doi: 10.1016/j.ajem.2015.12.079
- Gaist D et al.: Association of Antithrombotic Drug Use With Subdural Hematoma Risk. JAMA. 2017;317(8):836-846. doi:10.1001/jama.2017.0639