Riechstörungen (Dysosmie) – Differentialdiagnosen

Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien (Q00-Q99)

  • CHARGE-Syndrom ("coloboma, heart defect, atresia choanae, retarded growth and development, genital abnormality, ear abnormality") – genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang; Charakteristika sind Kolobom (Spaltbildung), Vitium (Herzfehler), Choanalatresie (Verschluss der hinteren Nasenöffnung), Wachstums- und Entwicklungsverzögerung, Anomalien der Geschlechtsorgane, Ohrfehlbildungen
  • Neuroektodermales Syndrom Typ Johnson (Synonyme: Alopezie-Anosmie-Taubheit-Hypogonadismus-Syndrom, Johnson-Mcmillin-Syndrom)
     – genetische Erkrankung mit autosomal-dominantem Erbgang; charakterisiert durch Kombination von Alopecia (Haarausfall), Riechstörung, Schallleitungsschwerhörigkeit, Fehlbildung der Ohren und Hypogonadismus (Keimdrüsenunterfunktion)

Atmungssystem (J00-J99)

  • Allergische Rhinitis (AR; Heuschnupfen) – Riechstörungen gelten bei dieser Krankheit als Leitsymptom (Häufigkeit 20-40 %)
  • Septumdeviation (Nasenscheidewandverkrümmung)
  • Polyposis nasi – Auftreten multipler Nasenpolypen (mechanische Verlegung des Duftstroms zur Regio olfactoria)
  • Sinunasal bedingte Riechstörungen (Riechstörungen treten schleichend im Verlauf von Monaten und Jahren auf):
    • Chronische Sinusitis (Nebenhöhlenentzündung)
    • Chronisch-rezidivierende Rhinosinusitis (RS; gleichzeitige Entzündung der Nasenschleimhaut („Rhinitis“) und der Schleimhaut der Nasennebenhöhlen)
    • Rhinosinusitis – gleichzeitige Entzündung der Nasenschleimhaut („Rhinitis“) und der Nasennebenhöhlen ("Sinusitis")

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) – Patienten ab 60. Lebensjahr, die sowohl mit Insulin als auch mit oralen Antidiabetika behandelt wurden, zeigten eine Phantosmie (Wahrnehmung von Gerüchen in Abwesenheit einer Reizquelle) dreimal häufiger als Nichtdiabetiker oder Diabetiker, die nur mit Insulin therapiert wurden [2]
  • Hypercholesterinämie – behandelte Patienten mit Hypercholesterinämie gaben doppelt so häufig eine Phantosmie zu Protokoll wie Personen mit Cholesterinwerten im Normbereich [2]
  • Kallmann-Syndrom (Synonym: olfaktogenitales Syndrom) – genetische Erkrankung, die sowohl sporadisch auftreten, als auch autosomal-dominant, autosomal-rezessiv und X-chromosomal-rezessiv vererbt werden kann; Symptomkomplex aus Hypo- bzw. Anosmie (verminderter bis fehlender Geruchssinn) in Verbindung mit Hoden- bzw. Ovarialhypoplasie (mangelhafte Entwicklung des Hodens bzw. der Eierstöcke); Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) bei Männern 1 : 10.000 und bei Frauen 1 : 50.000
  • Schilddrüsenfehlfunktionen – Hypothyreose beeinflusst die Funktion der Riechzellen.
  • Vitamin-Mangelzustände
    • Vitamin-B12-Mangel – Neuropathien führen zu Riechstörungen.
    • Zinkmangel – Häufig beobachtet bei Riechstörungen.
    • Vitamin-D-Mangel – Beeinträchtigt Regeneration der Riechschleimhaut.

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Virusinfektionen → postvirale Riechstörung: Frauen häufiger als bei Männern; > 50. Lebensjahr; Besserung bei ca. 60 % der Betroffenen; Auftreten beispielsweise bei:
      • Influenza
      • SARS-CoV-2 (Synonyme: neuartiges Coronavirus (2019-nCoV); 2019-nCoV (2019-novel Coronavirus; Coronavirus 2019-nCoV); Wuhan-Coronavirus): ca. 30 % der positiv getesteten Patienten mit milden Symptomen haben eine Hypo- bis Anosmie als eines ihrer Hauptsymptome angegeben.
  • Borreliose – Infektionsserologie zur Abklärung bei Verdacht.

Kreislaufsystem (I00-I99) 

  • Apoplex (Schlaganfall) – Apoplex-Patienten haben eine 76 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für eine Phantosmie [2]
  • Hypertonie (Bluthochdruck) – Hypertonie-Patienten haben eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Phantosmie [2]

Leber, Gallenblase und Gallenwege – Pankreas (Bauchspeicheldrüse) (K70-K77; K80-K87)

  • Leberinsuffizienz (akute Leberinsuffizienz; chronische Leberinsuffizienz)

Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)

  • Morbus Paget (Osteodystrophia deformans) – Erkrankung des Skelettsystems, bei der es allmählich zu einer Verdickung der Knochen, vor allem der Wirbelsäule, des Beckens, der Extremitäten und des Schädels kommt
  • Autoimmunerkrankungen
    • SLE (systemischer Lupus erythematodes) – Nachweis durch ANA (antinukleäre Antikörper).
    • Vaskulitiden (z. B. Morbus Wegener)  – Diagnostik durch ANCA (antineutrophile cytoplasmatische Antikörper).

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Neubildungen im Bereich des Gehirns – Besonders im Bereich der Regio olfactoria.

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Depression – Hyposmie (vermindertes Riechvermögen): depressive Wiesen in Geruchstest deutliche Defizite auf [3]
  • Familiäre Dysautonomie (Riley-Day-Syndrom) – genetisch bedingte Erkrankung, die autosomal-rezessiv vererbt wird; betrifft fast ausschließlich ashkenasische Juden; die Erkrankung führt zur Fehlfunktion des autonomen Nervensystems 
  • Morbus Alzheimer – Frühzeitige olfaktorische Dysfunktion als mögliche Frühmarker der Erkrankung.
  • Morbus Parkinson (Schüttellähmung) – Hyposmie (Minderung der Geruchswahrnehmung) geht der Diagnose um bis zu 10 Jahre voraus [1]
  • Multiple Sklerose (MS)
  • Progressive Paralyse – Erscheinungsform der Neurosyphilis, die als Psychose mit neurologischen Ausfällen verläuft
  • Psychose

Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)

  • Respiratorische Dysosmie – Riechstörungen aufgrund behinderter Nasenatmung

Urogenitalsystem (N00-N99)

  • Urämie – Riechstörungen durch urämische Toxine im Rahmen einer chronischen Niereninsuffizienz (Nierenfunktionsstörung).

Verletzungen, Vergiftungen und andere Folgen äußerer Ursachen (S00-T98)

  • Allergie, nicht näher bezeichnet
  • Commotio cerebri (Gehirnerschütterung)
  • Contusio cerebri (Gehirnkontusion)
  • Formaldehydvergiftung
  • Kohlenmonoxidvergiftung
  • Frakturen (Knochenbrüche) des Schädels
  • Schädel-Hirn-Trauma (SHT) – Mechanische Schädigung der Riechbahn (Fila olfactoria) durch Schädelbasisverletzungen.

Weiteres

Biographische Ursachen

  • Alter: Physiologische Dysosmie (Riechstörung) tritt in zunehmendem Alter auf; ab dem 50. Lebensjahr haben circa ein Viertel der Bevölkerung ein verschlechtertes Riechvermögen (Presbyosmie)
    • Gustatorische Wahrnehmung (süß, sauer, salzig, bitter, umami) wird gestört durch:
      • Abnahme der Papillen im Mundbereich
      • Veränderungen der Speichelproduktion/-Zusammensetzung
      • zentralnervöse Verarbeitung der Signale

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen) – Schädigt die Riechschleimhaut (olfaktorisches Epithel) und beeinträchtigt die Funktion der Riechzellen.
    • Alkoholkonsum – Langfristiger Alkoholmissbrauch kann neurotoxisch wirken und das Riechvermögen stören.
  • Drogenkonsum
    • Kokain – Die intranasale Applikation führt zu Schleimhautatrophie, Nasenseptumperforationen und irreversiblen Riechstörungen.
      • Pulverförmiges Kokain – Direkte Schädigung des olfaktorischen Epithels.
      • Crack-Kokain – Zusätzliche thermische Schädigung der Nasenschleimhaut durch Erhitzen.
    • Amphetamine – Stimulanzien beeinträchtigen die zentrale Riechverarbeitung und begünstigen Schleimhautatrophien.
  • Psycho-soziale Situation
    • Chronischer Stress – Beeinflusst die Regeneration der Riechzellen durch erhöhte Cortisolspiegel.
    • Exposition gegenüber Duftstoffen – Übermäßiger Einsatz von Parfüms oder chemischen Duftstoffen kann olfaktorische Intoleranz auslösen.

Medikamente

  • Medikamentennebenwirkungen wie beispielsweise:
    • ACE-Hemmer
    • Amphetamine
    • Antidepressiva wie Amytriptylin
    • Antihypertonika wie Diltiazem (Calciumantagonist), Nifedipin (Calciumantagonist)
    • Antikoagulantien (Phenprocoumon)
    • Aminoglycoside
    • Andauernde Verwendung von Nasenspray
    • Interferon
    • L-Dopa
    • Penicillamin
    • Thiamazol
    • Zytostatika wie Cisplatin, Methotrexat

Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Chemische/toxische Einwirkungen, nicht näher bezeichnet  (z. B. z. B. Gase, Metalle, Lösungsmittel; Pestizide)
  • Formaldehydvergiftung
  • Kohlenmonoxidvergiftung

Literatur

  1. Chen H et al.: Olfaction and incident Parkinson disease in US white and black older adults. Neurology 10.1212/WNL.0000000000004382 Published online before print September 6, 2017, doi: http:/​/​dx.​doi.​org/​10.​1212/​WNL.​0000000000004382
  2. Bainbridge KE, Byrd-Clark D: Phantom odor perception and vascular conditions among adults in the United States: National Health and Nutrition Examination Survey 2011-2014 Laryngoscope first published: 25 March 2019 https://doi.org/10.1002/lary.27936
  3. Kim BY, Bae JH: Olfactory Function and Depression: A Meta-Analysis. Ear Nose Throat J 2022; https://doi.org/10.1177/01455613211056553