Polyneuropathien – Prävention

Zur Prävention einer Polyneuropathie muss auf eine Reduktion individueller Risikofaktoren geachtet werden.

Verhaltensbedingte Risikofaktoren

  • Ernährung
    • Lebensmittel mit Acrylamid – Acrylamid, ein potenziell genotoxischer Stoff (Gruppe-2A-Karzinogen), entsteht beim Frittieren, Grillen und Backen und kann zur Entwicklung von Polyneuropathien beitragen.
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – Defizite an Vitamin B12, Thiamin (Vitamin B1), und anderen essenziellen Mikronährstoffen erhöhen das Risiko für Polyneuropathien (siehe „Prävention mit Mikronährstoffen“).
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol – Chronischer Alkoholkonsum ist eine häufige Ursache der alkohol-assoziierten Polyneuropathie. Typische Symptome sind sensible Störungen wie Taubheit, Kribbeln oder Gangunsicherheit.
    • Tabak (Rauchen) – Rauchen ist mit einer mäßigen Erhöhung des Risikos für diabetische periphere Neuropathien (DPN) assoziiert [1].
  • Drogenkonsum
    • Lachgas (Distickstoffmonoxid) – Chronischer Missbrauch dieser Partydroge führt zu einem Vitamin-B12-Mangel und neurologischen Schäden, einschließlich Polyneuropathien.
  • Schlechte Einstellung des Glukose-Serumspiegels
    • Hyperglykämie (erhöhter Blutzuckerspiegel) – Ungenügende Kontrolle des Blutzuckers bei Diabetes mellitus ist eine der Hauptursachen für die diabetische Polyneuropathie (DPN).

Medikamente  toxische Polyneuropathie

  • Antiinfektiva – Chinolone/Fluorchinolone/Gyrasehemmer (Ciprofloxacin, Moxifloxacin, Nalidixinsäure, Norfloxacin, Lomefloxacin, Levofloxacin, Ofloxacin), Chloroquin (D), Dapson (A), Dideoxycytidin, Isoniazid, Nitrofurantoin (A), Metronidazol (A), Thalidomid
  • Antiarrhythmika – Amiodaron (G), Flecainid (A), Procainamid (D)
  • Antirheumatika und Immunsuppressiva – Chloroquin, Colchicin, Gold, Tacrolimus
  • Bortezomib (Proteasom-Inhibitor) (A)
  • Digoxin (Herzglykoside) (A)
  • Hydralazin (Antihypertonika) (A)
  • Immuncheckpointinhibitoren (wie z. B. Ipilimumab, Nivolumab und Pembrolizumab) → akute inflammatorische demyelinisierende oder axonale Polyneuropathien (AIDP [akute entzündliche demyelinisierende Polyradikuloneuropathie]/ASMAN [akute sensomotorische axonale Neuropathie]/AMN [Adrenomyeloneuropathie]) und CIDP
  • Immunmodulatoren  – Tacrolimus (D)
  • Immunsuppressiva – Leflunomid (A)
  • Interferon-α (A)
  • Levodopa (Antiparkinsonikum)  (A)
  • Lithium (A)
  • Gold (G)
  • Psychiatrische Medikation und Sedativa – Disulfiram, Lithium
  • Phenytoin (A)
  • Reverse Transkriptase-Inhibitoren 
  • Statine (A) 
  • Thalidomid (A)
  • TNF-α-Antagonisten (D)
  • Tuberkulostatikum – Isoniazid (A)
  • Vitamin-B6-Überdosierung (A)
  • Zytostatika (Chemotherapie-induzierte Neuropathie (CIN)/Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN)) – Doxorubicin (A),  Etoposid (A), Gemcitabin (A), Ifosfamid (A), Platin(derivate) (A), Cisplatin, Vincristin, Vincaalkaloide (A), Taxane (A; z. B. Paclitaxel)), Taxol (A) oder Proteasomen-Inhibitoren

Legende: A = axonal; D = demyelinisierend; G = gemischt axonal-demyelinisierend

Umweltbelastungen – Intoxikationen (Vergiftungen)  toxische Polyneuropathie 

  • Arsen
  • Kohlenwasserstoffe
  • Schwermetalle wie Blei, Thallium, Quecksilber 
  • Schwefelkohlenstoff
  • Trichlorethylen
  • Triorthokresylphosphat (TKP)
  • Wismut (wg. Wismut-haltigem Dentalmaterial oder bei langdauernder Behandlung mit Wismut-Präparaten)

Prophylaxe einer Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie (CIPN)

  • Gemäß einer Studie konnten die Symptome einer CIPN bei Mammakarzinom-Patienten (Brustkrebspatienten) durch Kühlen der Hände und Füße 30 Minuten vor, während und 30 bis 60 Minuten nach der Chemotherapie mithilfe eines Gerätes verringert bzw. sogar vermieden werden. Nachfolgend ein Vergleich Kühlung (Verum-Gruppe) versus nicht Kühlung (Kontrolle) [2]:
    • ohne Symptome (42 % versus 10 %)
    • milde Symptome (Grad 1) (51 % versus 45 %)
    • Symptome, die den Alltag beeinträchtigen (Grad 2) (6 % versus 40 %)
    • Toxizitätsgrad 3 (1 % versus 5 %)

Präventionsfaktoren (Schutzfaktoren)

  • Ernährung
    • Ausgewogene Ernährung – Regelmäßige Zufuhr von Mikronährstoffen wie Vitamin B12, Thiamin (Vitamin B1), Folsäure und Omega-3-Fettsäuren (Docosahexaensäure, Eicosapentaensäure) kann das Risiko für Polyneuropathien verringern.
    • Vermeidung von Acrylamid-haltigen Lebensmitteln – Begrenzung des Konsums von stark frittierten, gegrillten oder gebackenen Speisen.
  • Lebensstil
    • Regelmäßige körperliche Aktivität – Verbessert die Insulinsensitivität und fördert die periphere Durchblutung, wodurch das Risiko für diabetische und alkohol-assoziierte Polyneuropathien gesenkt wird.
    • Alkoholreduktion – Verzicht oder deutliche Reduzierung von Alkohol zur Verhinderung alkohol-assoziierter Polyneuropathien.
  • Medikamentöse Prävention
    • Optimale Blutzuckerkontrolle – Insulintherapie oder orale Antidiabetika zur Prävention von diabetischer Polyneuropathie.
    • Substitution von Mikronährstoffen – Einnahme von Vitamin-B-Komplexen oder spezifischen Nahrungsergänzungsmitteln bei nachgewiesenem Mangel.

Sekundärprävention

Die Sekundärprävention zielt darauf ab, frühzeitig Symptome einer Polyneuropathie zu erkennen und gezielt therapeutische Maßnahmen einzuleiten, um das Fortschreiten zu verhindern.

  • Screening bei Risikogruppen
    • Diabetes mellitus – Regelmäßige Kontrolle der Blutzuckerwerte und neurologische Untersuchungen zur Früherkennung von Neuropathien.
    • Chronischer Alkoholkonsum – Neurologische Tests zur Erkennung sensibler und motorischer Veränderungen.
    • Vitamin-B12-Mangel – Regelmäßige Laborkontrollen bei Patienten mit Risikofaktoren wie vegetarischer Ernährung, Protonenpumpenhemmern oder Lachgas-Missbrauch.
  • Diagnostische Verfahren
    • Nervenleitgeschwindigkeit – Zur Identifizierung von Schädigungen der peripheren Nerven.
    • Vibrationsempfindlichkeit und Monofilament-Test – Tests zur frühen Erkennung sensibler Defizite.
  • Therapeutische Interventionen
    • Optimierung der Blutzuckereinstellung – Senkung des HbA1c zur Reduktion neurologischer Schäden.
    • Mikronährstoffsubstitution – Ausgleich von Vitamin-B12- und Thiamin-Mangel.

Tertiärprävention

Die Tertiärprävention zielt darauf ab, die Lebensqualität von Patienten mit bereits bestehender Polyneuropathie zu verbessern und Komplikationen zu minimieren.

  • Langzeittherapie
    • Schmerztherapie – Einsatz von Medikamenten wie Gabapentin, Pregabalin oder trizyklischen Antidepressiva zur Linderung neuropathischer Schmerzen.
    • Physiotherapie und Ergotherapie – Verbesserung der Mobilität und Funktionalität durch gezielte Übungen und Hilfsmittel.
  • Lebensstilinterventionen
    • Regelmäßige Bewegung – Fördert die Durchblutung und lindert neuropathische Beschwerden.
    • Angepasste Ernährung – Ausgewogene Kost mit ausreichendem Gehalt an Mikronährstoffen.
  • Psychosoziale Unterstützung
    • Beratung und Selbsthilfegruppen – Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung.
    • Schulungen – Aufklärung über Krankheitsmanagement, insbesondere bei Diabetes.

Literatur

  1. Clair C et al.: The Effect of Cigarette Smoking on Diabetic Peripheral Neuropathy: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Gen Intern Med, online 7. Mai 2015; doi: 10.1007/s11606-015-3354-y
  2. Schaper T et al.: CIPN-Prophylaxe: neues Thermoheilverfahren hilft. gynäkologie + geburtshilfe 2021:26:64-65 https://doi.org/10.1007/s15013-021-4165-3