Myasthenia gravis – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Myasthenia gravis dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie Erbkrankheiten?
  • Gibt es in Ihrer Familie Erkrankungen, die häufig vorkommen?
  • Bestehen in Ihrer Familie autoimmune oder neurologische Erkrankungen?
  • Gab es in Ihrer Familie bereits Fälle von Myasthenia gravis oder ähnlichen neuromuskulären Erkrankungen?

Soziale Anamnese

  • Welchen Beruf üben Sie aus? Besteht eine erhöhte körperliche Belastung?
  • Gibt es psychosoziale Belastungen oder stressbedingte Faktoren, die Ihre Symptome verschlechtern?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Wie lange besteht diese Symptomatik schon?
  • Ist die Muskelschwäche gleichbleibend oder fluktuierend?
  • Treten die Symptome schubweise oder kontinuierlich auf?
  • Wann tritt die Muskelschwäche auf? Morgens? Abends? Nach körperlicher Anstrengung?
  • Wo genau tritt die Muskelschwäche auf (z. B. Gesicht, Arme, Beine, Rumpf)?
  • Haben Sie das Gefühl, es fehlt Ihnen die Kraft?
  • Können Sie problemlos Treppensteigen?
  • Sind Sie nach Bewegung schnell erschöpft?
  • Haben Sie bei/nach körperlicher Belastung Atemnot?*
  • Hat sich an Ihren Augen etwas verändert?
    • Hängt ein oder beide Augenlider?
    • Sehen Sie Doppelbilder?*
  • Leiden Sie unter Kaubeschwerden, Trinkschwäche, Schluck- oder Sprechstörungen?*
  • Haben Sie Schwierigkeiten beim Sprechen, eine nasale Stimme oder Artikulationsprobleme?
  • Treten beim Essen oder Trinken Erstickungsanfälle auf?*
  • Sind Ihnen Lähmungen aufgefallen? Wenn ja, seit wann bestehen diese und wo sind sie genau lokalisiert?
  • Ist Ihre Rumpf- und Wirbelsäulenmuskulatur betroffen?
  • Haben Sie Gleichgewichtsstörungen?*
  • Leiden Sie unter Gedächtnisstörungen?*
  • Bestehen Sensibilitätsstörungen?*
  • Leiden Sie unter trockenen Schleimhäuten oder vermehrtem Schwitzen?
  • Haben Sie bemerkt, dass sich die Symptome in bestimmten Situationen (z. B. Stress, seelische Belastung, Infekte, bestimmte Medikamente) verschlechtern?
  • Gibt es bestimmte Medikamente oder Nahrungsmittel, die Ihre Beschwerden verstärken?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Haben Sie ungewollt an Gewicht verloren? Geben Sie bitte uns Ihr Körpergewicht (in kg) und Ihre Körpergröße (in cm) an.
  • Bestehen Appetitveränderungen?

Eigenanamnese

  • Vorerkrankungen:
    • Autoimmunerkrankungen (z. B. Rheuma, Hashimoto-Thyreoiditis, Lupus erythematodes)?
    • Endokrine Erkrankungen (z. B. Schilddrüsenfunktionsstörungen)?
    • neurologische Erkrankungen (z. B. Multiple Sklerose, Myopathien, frühere Myasthenie-Episoden)?
  • Operationen:
    • Haben Sie in der Vergangenheit Operationen durchlaufen?
    • Wurde bei Ihnen eine Thymektomie (Entfernung der Thymusdrüse) durchgeführt?
  • Bestehen bekannte Allergien (z. B. Medikamente, Nahrungsmittel)?
  • Sind Sie schwanger oder planen eine Schwangerschaft?

Medikamentenanamnese

  • D-Penicillamin, Chloroquin (Antimalariamittel) – können myasthene Syndrome hervorrufen

Eine bestehende Myasthenia gravis kann durch folgende Faktoren verschlechtert werden:

  • Entzündungen
  • Fieber
  • Hitze
  • Hormonelle Schwankungen – während der Menstruation
  • Infektionen
  • Körperliche Belastungen
  • Medikamente (Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht nicht!)
    • Analgetika
      • Flupirtin
      • Morphinpräparate 
    • Antiarrhythmika – Chinidin, Ajmalin, Mexitil, Procainamid 
    • Antibiotika
      • Aminoglykoside – v. a. Streptomycin, Neomycin, weniger Tobramycin
      • Makrolide – z. B. Erythromycin
      • Ketolide – Telithromycin/Ketek
      • Lincomycine
      • Polymyxine
      • Gyrase-Hemmer – Levofloxacin, Ciprofloxacin, Prulifloxacin
      • Sulfonamide
      • Tetrazykline
      • Penicilline – nur in besonders hoher Dosierung
    • Antidepressiva – Substanzen vom Amitriptylin-Typ 
    • Antikonvulsiva – Benzodiazepine, Carbamazepin, Diphenylhydantoin, Ethosuximid, Gabapentin 
    • Antimalariamittel – Chinin, Chloroquin und Analoge 
    • Antirheumatika – Chloroquin, Etanercept 
    • Betablocker – Oxprenolol, Pindolol, Practolol, Propranolol, Timolol – auch bei topischer Anwendung als Augentropfen 
    • Botulinum-Toxin
    • Calciumantagonisten – Verapamil, Diltiazem, Nifedipin und Verwandte 
    • Diuretika – Azetazolamid, Benzothiadiazine, Schleifendiuretika 
    • Glucocorticoide (eine klinisch relevante Verschlechterung ist selten bei mittleren Dosen oder einschleichender Dosierung)
    • Interferone – Interferon-alpha (Einzelfälle) 
    • Lithium
    • Lokalanästhetika – Procain (Ester-Typ), die heute verwendeten Substanzen vom Amid-Typ sind unproblematisch 
    • Magnesium – hohe Dosen als Laxanzien (Abführmittel)
    • Monoklonale Antikörper
      • Checkpoint-Inhibitoren: z. B. Durvalumab (selten)
    • Muskelrelaxanzien
      • Curare-Derivate – wegen erhöhter Empfindlichkeit initial (beginnend) 10-50 % der normalen Dosierung wählen
      • Succhinylcholin – Sollte grundsätzlich nicht eingesetzt werden, da es nicht mit Pyridostigmin antagonisiert werden kann!
    • Narkotika
    • Psychopharmaka – Chlorpromazin, Promazin und Verwandte, alle Benzodiazepine und Strukturverwandte wie Zolpidem, Zopiclon 
    • Statine (HMG-CoA-Reduktase-Hemmer: Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pitavastatin, Pravastatin, Rosuvastatin, Simvastatin) – Auslösung oder Verschlechterung von Myasthenia gravis oder okulärer Myasthenie (Häufigkeit nicht bekannt) [1]
  • Schilddrüsenerkrankungen
  • Seelische Belastungen
  • Vibrationen

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.

Literatur

  1. Medicines and Healthcare products Regulatory Agency. Statins: very infrequent reports of myasthenia gravis; 26.9.2023. Verfügbar unter: https://www.gov.uk/drug-safety-update/statins-very-infrequent-reports-of-myasthenia-gravis.

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome. (AWMF-Registernummer: 030-087), November 2022 Langfassung