Multiple Sklerose (MS) – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik der Multiplen Sklerose (MS) dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in Ihrer Familie häufig neurologische Erkrankungen (z. B. Multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Epilepsie)?
  • Gibt es in Ihrer Familie schwere Augenerkrankungen (z. B. Optikusneuritis (Sehnervenentzündung), Retinitis pigmentosa (genetisch bedingte, progressive Erkrankung der Netzhaut, die zu einem fortschreitenden Verlust des Sehvermögens führt))?

Sozialanamnese

  • Bestehen psychosoziale Belastungen, etwa durch beruflichen oder familiären Stress, Konflikte oder soziale Isolation?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Augenbeschwerden:
    • Haben Sie Schmerzen bei Augenbewegungen bemerkt? Wenn ja, wie lange bestehen diese?*
    • Haben Sie eine Verschlechterung der Sehstärke bemerkt? Wenn ja, beschreiben Sie Ihren Seheindruck:
      • Verschwommenes Sehen bis zum vollständigen Sehverlust?*
      • Gestörtes Farbempfinden (Farben erscheinen schmutzig oder blass)?*
    • Verschlechtert sich Ihre Sehstärke nach körperlicher Anstrengung, wie Sport oder heißem Duschen?
    • Sind diese Beschwerden bereits in der Vergangenheit aufgetreten?
  • Neurologische Symptome:
    • Haben Sie Probleme mit der Blasenkontrolle (Blasenschwäche, häufiges Wasserlassen)?
    • Treten Gangstörungen oder Unsicherheiten beim Gehen auf?
    • Hatten Sie in letzter Zeit Beinahe-Stürze oder Stürze? Haben Sie Angst zu stürzen?
    • Spüren Sie Gefühlsstörungen, wie Kribbeln oder Taubheit in Armen oder Beinen?*
    • Haben Sie Geschmacks- oder Geruchsstörungen bemerkt?
    • Leiden Sie unter Konzentrationsschwierigkeiten oder Wortfindungsstörungen?
    • Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Gedächtnis schlechter wird?
    • Fühlen Sie sich ungewöhnlich müde oder erschöpft (Fatigue)?
    • Tritt die Müdigkeit auch ohne körperliche Anstrengung auf?
    • Hat sich Ihre Leistungsfähigkeit im Alltag deutlich verringert?
    • Haben Sie sexuelle Funktionsstörungen bemerkt (z. B. Erektionsstörungen oder verminderte Libido)?
    • Haben Sie Sprechstörungen bemerkt (z. B. undeutliche Sprache)?
    • Fühlen Sie sich depressiv verstimmt?
    • Haben Sie das Gefühl innerer Leere, Niedergeschlagenheit oder Interessenverlust?
  • Haben Sie Schmerzen? Wenn ja, wo genau treten diese auf und in welchen Situationen?
  • Wie lange können Sie maximal schmerzfrei gehen (maximale Gehstrecke)?
  • Schlafstörungen:
    • Leiden Sie unter Ein- oder Durchschlafstörungen?
    • Wachen Sie morgens nicht erholt auf?
    • Haben Sie das Gefühl unruhiger Beine (Restless-Legs-Syndrom)?
    • Wachen Sie durch plötzliche Bewegungen Ihrer Beine auf (Periodic Limb Movement Disorder)?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Ernähren Sie sich ausgewogen oder essen Sie häufig Fleisch und tierische Fette?
  • Wie häufig essen Sie Fisch? Welchen Fisch essen Sie gerne?

Eigenanamnese

  • Haben Sie neurologische Erkrankungen, rheumatologische Erkrankungen, Infektionen oder Tumorerkrankungen in der Vergangenheit gehabt?
  • Wurden in der Vergangenheit relevante operative Eingriffe durchgeführt?
  • Sind Ihnen Allergien bekannt, z. B. gegen Medikamente, Lebensmittel oder Umweltstoffe?

Medikamentenanamnese

  • TNF-alpha-Blocker – ein um 38 Prozent erhöhtes Risiko für entzündliche ZNS-Erkrankungen: insbesondere für demyelinisierende Erkrankungen [2]

Diagnostische Kriterien, die für eine Multiple Sklerose sprechen

  1. Es müssen klinisch objektivierbare neurologische Störungen vorliegen.
  2. Es muss überwiegend ein Befall der weißen Substanz des zentralen Nervensystems vorliegen.
  3. Anamnestisch oder klinisch müssen mindestens zwei Areale des zentralen Nervensystems betroffen sein.
  4. Der klinische Verlauf muss entweder aus zwei oder mehr Schüben unter Beteiligung verschiedener Läsionsorte bestehen, wobei die Schübe mindestens 24 Stunden andauern und nicht weniger als einen Monat Abstand haben sollen; oder einem kontinuierlichen oder schrittweisen Progress der Erkrankung über mindestens sechs Monate, wenn begleitend spezifische Laborveränderungen bestehen. Die Magnetresonanztomographie gilt als beweisend, wenn mindestens drei Monate nach einem klinisch isolierten Syndrom eine neue Läsion nachweisbar ist.
  5. Die neurologischen Symptome können nicht mit einer anderen Erkrankung assoziiert werden.

Die Multiple Sklerose wird gemäß den oben genannten Kriterien eingeteilt in:

  • Sichere MS – alle fünf Kriterien sind erfüllt.
  • Wahrscheinliche MS – alle fünf Kriterien sind erfüllt, bis auf (a) nur eine objektive neurologische Störung trotz zweier symptomatischer Episoden oder (b) nur eine symptomatische Episode trotz zweier objektiver neurologischer Befunde.
  • Risikoperson – die Kriterien 1, 2 und 5 sind erfüllt; der/die Betroffene weist nur eine symptomatische Episode und eine objektive Störung auf.

* Falls diese Frage mit "Ja" beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.

Literatur

  1. Kyle ME et al.: Ubiquitous Aspirin A Systematic Review of Its Impact on Sensorineural Hearing Loss. Otolaryngol Head Neck Surg October 30, 2014 0194599814553930, doi: 10.1177/0194599814553930
  2. Xie W et al.: Risk of Inflammatory Central Nervous System Diseases After Tumor Necrosis Factor–Inhibitor Treatment for Autoimmune Diseases A Systematic Review and Meta-Analysis Author Affiliations JAMA Neurol. 2024;81(12):1284-1294. doi:10.1001/jamaneurol.2024.3524