Morbus Alzheimer – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die Pathogenese des Morbus Alzheimer ist multifaktoriell und komplex. Die genauen Ursachen sind bislang nicht vollständig geklärt, aber es wird vermutet, dass eine Kombination von genetischen, metabolischen und infektiösen Faktoren, einschließlich Slow-Virus-Infektionen, eine Rolle spielt. Weitere mögliche Einflussfaktoren sind toxische, infektiöse und immunologische Mechanismen. Die Krankheit ist gekennzeichnet durch eine fortschreitende Neurodegeneration, die zu einem signifikanten kognitiven Abbau führt.
Beta-Amyloid und Amyloid-Plaques
Im Gehirn von Alzheimer-Patienten bilden sich charakteristische Ablagerungen von Beta-Amyloid-Plaques, die als Marker der Krankheit gelten. Diese Plaques beeinträchtigen die synaptische Kommunikation zwischen den Neuronen, was zu einer Verschlechterung der kognitiven Funktionen führt. Beta-Amyloid ist ein kleines Proteinfragment, das sich außerhalb der Nervenzellen ansammelt und die normale Funktion der Neuronen stört, indem es die Erregungsübertragung und die zelluläre Energieversorgung des Gehirns negativ beeinflusst.
Beta-Amyloid verhindert auch den ordnungsgemäßen Transport von Proteinen in die Mitochondrien (Kraftwerke der Zellen), was zu einer Beeinträchtigung des Energiestoffwechsels der Nervenzellen führt. Diese Störung trägt wesentlich zur Zellschädigung und zum Neuronentod bei [8].
Glutamat und neuronale Übererregung
Ein weiterer zentraler Mechanismus bei Alzheimer ist die Überproduktion des Neurotransmitters Glutamat, ausgelöst durch die Ansammlung von Beta-Amyloid. Glutamat, das normalerweise zur Erregung von Nervenzellen und zur Unterstützung von Lern- und Gedächtnisvorgängen beiträgt, wird bei Alzheimer-Patienten in übermäßigen Mengen freigesetzt. Diese permanente Überstimulation der Nervenzellen führt zu deren Funktionsverlust.
Beta-Amyloid beeinflusst auch den Abtransport von Glutamat aus dem synaptischen Spalt, wodurch eine pathologische Erregung der Neuronen verstärkt wird. Diese dauerhafte Übererregung trägt zur Zerstörung von Nervenzellen bei und verschärft den kognitiven Abbau [26].
Rolle des Hyperinsulinismus und der Amyloid-Ablagerungen
Ein erhöhter Insulinspiegel im Zusammenhang mit Diabetes mellitus Typ 2 steht im Verdacht, den Beta-Amyloid-Spiegel im Blut zu erhöhen. Dies führt zu einer verstärkten Ablagerung von Amyloid im Gehirn und einer Beschleunigung der neurodegenerativen Prozesse. Es wird angenommen, dass ein Zusammenhang zwischen Hyperinsulinismus und dem Auftreten von Alzheimer besteht, da Insulin den Beta-Amyloid-Stoffwechsel beeinflusst.
Amyloid-Pathologie und Neurodegeneration
Die Amyloid-Pathologie beschleunigt die Neurodegeneration, ist jedoch nicht der alleinige Mechanismus. Studien haben gezeigt, dass Patienten mit Amyloid-Pathologie und auffälligen Neurodegenerationsmarkern eine deutlich schnellere kognitive Verschlechterung aufweisen. Es wurden jedoch auch Patienten mit Alzheimer-Demenz nachgewiesen, die keine signifikanten Amyloid-Ablagerungen, aber dennoch alle pathologischen Neurodegenerationsmarker zeigten [13].
Ein weiteres wichtiges Element der Alzheimer-Pathogenese sind die Tau-Proteine, die sich im Verlauf der Erkrankung entlang der neuronalen Netzwerke ausbreiten. Diese Tau-Pathologie korreliert stark mit der Schwere der klinischen Symptome. Eine tau-PET-Untersuchung zeigte, dass die Symptomatik der Patienten umso ausgeprägter war, je weiter fortgeschritten die Tau-Pathologie war [30].
Fehlen ausgedehnter Amyloid-Ablagerungen
Interessanterweise weisen etwa ein Viertel der Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Demenz keine ausgeprägten Amyloid-Ablagerungen im Gehirn auf. Bei Patienten, die den genetischen Risikofaktor ApoE-ε4-Allel auf dem Chromosom 19 tragen, liegt dieser Anteil sogar nur bei einem Drittel [15]. Dies deutet darauf hin, dass neurodegenerative Prozesse auch unabhängig von der Amyloid-Pathologie eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Alzheimer spielen können.
Toxische Wirkung von Beta-Amyloid-Oligomeren
Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass nicht nur die großen Beta-Amyloid-Plaques, sondern vor allem die kleinen Oligomere von Beta-Amyloid besonders toxisch für die Nervenzellen sind. Diese Oligomere bilden kleinere, aber viel schädlichere Ablagerungen im Inneren der Nervenzellen und führen zu einer deutlichen Funktionsstörung der Neuronen. Diese Beta-Amyloid-Oligomere spielen eine Schlüsselrolle in der pathologischen Veränderung und im Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung [19].
Aeta-Amyloid und neuronale Hemmung
Eine weitere bedeutende Rolle bei der Alzheimer-Pathogenese spielt das Peptid Aeta-Amyloid (Amyloid-η), das die neuronale Stimulation hemmt. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass die medikamentöse Hemmung der Beta-Sekretase zwar die Beta-Amyloid-Last reduziert, jedoch gleichzeitig zu einer Überproduktion von Aeta-Amyloid führt. Diese Überproduktion kann die neuronale Aktivität und damit die kognitive Funktion weiter beeinträchtigen [16].
Zusammenfassung
Die Pathogenese des Morbus Alzheimer beruht auf einer Kombination von Amyloid-Pathologie, Tau-Pathologie und neurodegenerativen Prozessen. Während Beta-Amyloid-Plaques und Oligomere zentrale Elemente sind, die zu einer synaptischen Dysfunktion und Übererregung der Neuronen führen, spielen auch Hyperinsulinismus und Tau-Proteine eine wichtige Rolle. Ein bedeutender Anteil der Patienten zeigt jedoch keine ausgeprägten Amyloid-Ablagerungen, was auf die Relevanz weiterer neurodegenerativer Mechanismen hinweist [13, 15, 19, 26, 30].
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
Genetische Belastung – Zwillingsstudien schätzen die Heritabilität (Vererblichkeit) auf 60 % bis 80 %. Verwandtschaft ersten Grades; es wird aber auch noch von zweit- und drittgradig Verwandten beeinflusst [25];
- Genetisches Risiko abhängig von Genpolymorphismen:
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Gene: APOE, CLU, GRN, OTC, PSEN1
- SNP: rs429358 im Gen APOE
- Allel-Konstellation: CT (Ein ApoE4 Allel) (3-fach)
- Allel-Konstellation: CC (Zwei ApoE4 Allele)
- SNP: rs7412 im Gen APOE
- Allel-Konstellation: CT (Ein ApoE2 Allel)
- Allel-Konstellation: CC (Zwei ApoE2 Allele)
- SNP: rs11136000 im Gen CLU
- Allel-Konstellation: AG (0.84-fach erniedrigtes Alzheimer-Risiko in europäischen Populationen)
- Allel-Konstellation: AA (0.84-fach erniedrigtes Alzheimer-Risiko in europäischen Populationen)
- SNP: rs10519262 in einer intergenischen Region
- Allel-Konstellation: AG (1,9-fach)
- Allel-Konstellation: AA (> 1,9-fach)
- SNP: rs5848 im Gen GRN
- Allel-Konstellation: TT (1,36-fach)
- SNP: rs5963409 im Gen OTC
- Allel-Konstellation: AG (1,19-fach)
- Allel-Konstellation: AA (1,19-fach)
- SNP: rs3025786 im Gen PSEN1
- Allel-Konstellation: CT (erniedrigt das Alzheimerrisiko leicht, wenn ApoE4 vorliegt)
- Allel-Konstellation: CC (erniedrigt das Alzheimerrisiko leicht, wenn Apoe4 vorliegt)
- SNP: rs597668 in einer intergenischen Region
-
- Allel-Konstellation: CT (1,18-fach)
- Allel-Konstellation: CC (1.39-fach)
- SNP: rs744373 in einer intergenischen Region
- Allel-Konstellation: CT (1,13-fach)
- Allel-Konstellation: CC (1.28-fach)
- Gene: APOE, CLU, GRN, OTC, PSEN1
- Genomweite Assoziationsstudie (GWAS) hat insgesamt 75 Genorte gefunden, darunter 42 bisher nicht bekannte [34]
- Genetische Erkrankung
- Gene/SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismus; engl.: single nucleotide polymorphism):
- Höheres Alter der Mutter bei der Geburt (> 32 Jahre)
- Lebensalter – zunehmendes Alter (> 65. Lebensjahr; exponentieller Anstieg)
- Niedriger Bildungsstand
- Hormonelle Faktoren
- Frühe Menopause (Zeitpunkt der letzten Regelblutung) und später Hormontherapie (→ vermehrte Ablagerung von Tau-Fibrillen, die neben den Beta-Amyloiden das zentrale Kennzeichen der neurodegenerativen Erkrankung ist) [35]
- Östrogen-Mangel im Gehirn
- Multiparität ("Mehrgebärende"): Frauen mit ≥ 5 Kindern erkrankten 68 % häufiger als in der Vergleichsgruppe mit weniger Kindern (Odd Ratio [OR] = 1,68, 95 % Konfidenzintervall [CI] 1,04-2,72); Frauen, die mehr als einen Abort erlitten hatten, hatten ein etwa halb so hoch Risiko wie Frauen, die nie einen Abort hatten (OR = 0,43, 95 % CI 0,24-0,76 bei einem Abort; OR 0,56, 95 % CI 0,34-0,92 bei ≥ 2 Aborten) [24].
Fazit: Der moderat erhöhte Östrogenspiegel im ersten Trimester der Schwangerschaft liegt im optimalen Bereich; danach Anstieg im Laufe der Schwangerschaft bis zum 40-Fachen des normalen Höchstwertes.
- Berufe – Fußballer (Profifußballer: 5-fach erhöhtes Risiko wg. Kopfbälle für Morbus Alzheimer [28]), Rugby-Spieler (Morbus Alzheimer, Demenz oder chronisch-traumatischer Enzephalopathie (CTE))
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Gesättigte und Trans-Fettsäuren – Vermehrte Aufnahme, insbesondere in verarbeiteten Lebensmitteln wie Margarine, erhöht das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen.
- Omega-3-Fettsäuren – Ein geringer Verzehr von fettem Fisch und pflanzlichen Omega-3-Quellen, wie Walnüssen, verstärkt das Risiko besonders bei genetisch prädisponierten Personen (z. B. ApoE-ε4-Träger) [4].
- Mikronährstoffmangel – Besonders Defizite an Vitamin D, B12 und Antioxidantien können kognitive Funktionen beeinträchtigen.
- Erhöhter Zuckerkonsum – Eine Ernährung mit hohem glykämischen Index kann entzündliche Prozesse und Amyloid-Ablagerungen fördern.
- Genussmittelkonsum
- Alkohol – Bereits moderater Konsum (> 1 Standardgetränk/Tag) wirkt neurotoxisch und erhöht das Risiko einer kognitiven Beeinträchtigung.
- Tabak (Rauchen) [2] – Rauchen schädigt das Gehirn durch oxidativen Stress und vaskuläre Schäden; die Wirkung ist bei ApoE-ε4-Nichtträgern besonders ausgeprägt [14].
- Körperliche Aktivität
- Bewegungsmangel – Geringe körperliche Aktivität trägt zu Übergewicht und Insulinresistenz bei und erhöht das Alzheimer-Risiko um bis zu 21 % [23].
- Psycho-soziale Situation
- Stress und psychische Belastungen – Chronischer Stress kann durch eine dauerhafte Cortisolbelastung neurodegenerative Prozesse fördern.
- Soziale Isolation – Fehlende soziale Interaktionen sind mit einer beschleunigten kognitiven Beeinträchtigung assoziiert.
- Schlafqualität
- Tagsüber mehr und längere Schlummerphasen; insb. bei kognitiven Defiziten [33]
- Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) – Übergewicht im mittleren Lebensalter erhöht systemische Entzündungsmarker und beeinträchtigt die Gehirngesundheit.
Krankheitsbedingte Ursachen
- Apoplex (Schlaganfall)
- Depression?
- Depressionen gehen einher mit einem doppelt so hohen Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz [20]
- Depression könnte ein Prodromalsymptom (Symptom, das auf eine Krankheit hinweist) für Morbus Alzheimer sein und nicht Ursache dessen [21]
- Diabetes mellitus Typ 2 (Insulinresistenz)
- Hypertonie (Bluthochdruck)
- Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)
- Infektionen
- Helicobacter pylori-Infektion – Bei Menschen über 50 Jahren kann das Risiko nach einer Infektion mit Symptomen um durchschnittlich 11 Prozent erhöht sein, rund zehn Jahre nach der Infektion sogar um 24 Prozent [35]
- HSV-1-Infektion (Herpes-simplex-Virus) – verdoppelt das Risiko für Morbus Alzheimer [10, 11]
- Parodontitis (Entzündung des Zahnhalteapparates) – Parodontitis hängt in unserer Bevölkerung mit präklinischer AD zusammen [32]
- Metabolisches Syndrom [1] – klinische Bezeichnung für die Symptomkombination Adipositas (Übergewicht), Hypertonie (Bluthochdruck), erhöhte Nüchternglucose (Nüchternblutzucker) und Nüchterninsulin-Serumspiegels (Insulinresistenz) und Fettstoffwechselstörung (erhöhte VLDL-Triglyceride, erniedrigtes HDL-Cholesterin). Des Weiteren ist häufig auch eine Koagulationsstörung (vermehrte Gerinnungsneigung), mit einem erhöhten Risiko für Thromboembolien nachzuweisen.
Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten
- ApoE-ε4-Allel auf dem Chromosom 19 [3] – ca. zehn- bis zwölffach erhöhte Demenzrisiko unter Personen mit zwei Allelen für das Apolipoprotein E4 (ApoE4)
- Hypercholesterinämie: LDL-Cholesterin-Erhöhung
- prospektive Studien zeigen, dass hohe Cholesterin-Serumspiegel im mittleren Lebensalter und ApoE4 gemeinsam das Risiko einer Morbus Alzheimer-Erkrankung erhöhen
- genetisch-bedingt erhöhte Cholesterinspiegel scheinen maßgeblich zu einer frühen Alzheimer-Demenz (engl. Early-onset autosomal dominant Alzheimer disease, EOAD) ) beizutragen; neben ApoE-Genen ist anscheinend auch das Gen für Apolipoprotein B (ApoB) relevant [27].
Beachte: ApoB ist ein wesentlicher Bestandteil des LDL-Cholesterins.
- Hyperhomocysteinämie
Medikamente
- Benzodiazepine – gehen bei Verschreibung von > 91 Tagesdosen mit einer um 51 % erhöhten Rate von Alzheimer-Erkrankungen einher [9].
In einer Kohortenstudie mit über 4700 Teilnehmern wurde der Medikamentenkonsum in den zehn Jahren vor Studienbeginn anhand der Verschreibungsdaten zuverlässig ermittelt und es wurden alle zwei Jahre die kognitiven Leistungen der Teilnehmer erfasst. Die Studienteilnehmer waren zu Beginn der Studie im Schnitt 74 Jahre alt. Der Studienverlauf deutet darauf hin, dass die Demenz den Benzodiazepinkonsum antreibt und nicht umgekehrt [18]. - Diuretika, Antiepileptika oder ACE-Hemmer – diese können zu einer Medikamenten-induzierte Hyponatriämie (Natriummangel) führen, mit der Folge einer sekundären Demenz
- Hormonablative Therapie (HAT; Synonyme: Hormonablation; engl. androgen deprivation therapy, ADT; Hormontherapie, die das männliche Geschlechtshormon Testosteron vorenthält); Multivariat-Analyse: Risiko um 66 % erhöht [17]
- Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker) bei älteren Patienten [12]
Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Aluminium? [5]; contra [22]
- Luftschadstoffe: Feinstaub (PM2,5) – 13 % erhöhte Erkrankungsrisiko pro 5 µg/m3 mehr Feinstaub am Wohnort (Hazard Ratio 1,13; 1,12 bis 1,14); Assoziation war bis zu einer PM2,5-Konzentration von 16 µg/m3 dosisabhängig [31].
- Kupfer? [6]
- Mangan [7]
Weiteres
- Übertragung durch Wachstumshormone: In Großbritannien sind mehrere Personen im mittleren Alter an Alzheimer erkrankt, die in ihrer Kindheit Wachstumshormon erhalten haben, das aus den Hypophysen (Hirnanhangsdrüse) Verstorbener extrahiert wurde [37].
Fazit: Pathogene Beta-Amyloid- und Tau-Varianten können sich demnach in einigen Fällen prionartig im Gehirn ausbreiten.
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